Bahnvorstand zu Einbrüchen in NRW-Stellwerke„Die Gefahr von systematischen Sabotageakten ist gegeben“

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Nahezu menschenleer zeigen sich die Bahnsteige auf dem Hauptbahnhof. Ein kaputtes Stellwerk hat den Betrieb im Kölner Hauptbahnhof nahezu vollständig lahmgelegt. Es könnten keine Züge durch den Bahnhof fahren. Als Folge komme es zu erheblichen Verspätungen und Zugausfällen.

Anfang September 2022 war der Kölner Hauptbahnhof für drei Tage wegen des kaputten Zentralstellwerks völlig lahmgelegt. Der Grund damals: ein Wasserrohrbruch.

Nach den Sabotageakten in vier NRW-Stellwerken bereitet Philipp Nagl, Vorstand der DB Netz AG, die Bevölkerung auf weitere Sabotage vor. Erkenntnisse über mögliche Täter gibt es noch nicht.

Nach den Einbrüchen in vier unbesetzte Stellwerke an Bahnstrecken in Nordrhein-Westfalen, bei denen bisher unbekannte Täter am Wochenende in Leverkusen, Essen-Kray, Essen-Stadtwald und Schwelm durch Manipulationen Teile des Schienennetzes stromlos gestellt und damit den Zugverkehr beeinträchtigt hatten, hat die Bahn damit begonnen, den Einbruchschutz zu erhöhen. Die Staatsanwaltschaft Essen ermittelt, hat aber noch keine neuen Erkenntnisse.

„Wenn wir wie in diesen Fällen ein Muster in den Angriffen auf unsere Infrastruktur erkennen, versuchen wir zu reagieren“, sagte Philipp Nagl, Vorstandschef der DB Netz AG, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Natürlich werden wir die Türen zu diesen Stellwerken, die zum Teil sehr alt sind, besser schützen.“

Schnellfahrstrecken werden mit Drohnen überwacht

Der Schutz der kritischen Infrastruktur habe oberste Priorität. Es sei aber illusorisch zu glauben, das 34.000 Kilometer lange Streckennetz der DB mit 2600 Stellwerken und 65.000 Weichen könne flächendeckend und lückenlos überwacht werden.

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Seit Herbst 2022 setze man zusätzliche Sicherheitskräfte ein, deren Zahl sei auf 4300 gestiegen. Hinzu kommen 5500 Bundespolizisten. Im Kampf gegen Kriminelle setze die DB immer mehr auf technische Hilfen. Neben mobiler und stationärer Videotechnik kämen auch im Rheinland verstärkt Trittschallsensoren und Wärmebildkameras zum Einsatz. Die sollen anschlagen, wenn sich an Strecken, auf Bahnhöfen und Abstellanlagen unbefugte Personen aufhalten.

Die Schnellfahrstrecken Köln-Aachen und Köln-Frankfurt werden nach Angaben der Bahn regelmäßig mit Drohnen überflogen. Damit könne man an schlecht zugänglichen Stellen Metall- und Kupferdiebstähle schneller erfassen. Überdies trügen Drohnen dazu bei, Vandalismus und Graffitischäden zu verhindern.

Von Vandalismus bis zu Eingriffen in den Bahnbetrieb

Aus Sicht von DB-Vorstand Nagl gibt es „drei unterschiedliche Motive, warum Menschen die Infrastruktur beschädigen“. Neben Dieben, die es auf Kabel oder Buntmetalle abgesehen haben und einem „mehr oder weniger geplanten Vandalismus“ seien es gezielte Beschädigungen „bis hin zu Eingriffen in den Bahnbetrieb.“

Die Palette reiche „von terroristischen Beschädigungen wie vor Jahren im Großraum Sachsen, wo Linksextreme systematisch Kabel durchtrennt und Kabelkanäle angezündet hatten“, bis zum Fall vom Oktober 2022, als Unbekannte in Berlin und Herne die Glasfaserkabel zerschnitten und damit das interne Kommunikationssystem zwischen Lokführern und Leitstellen unterbrachen. „In diesen Fällen kennen wir das Motiv nicht, aber es steckt offensichtlich eine systematische Idee dahinter“, so Nagl. Das gelte auch für die Vorfälle vom vergangenen Wochenende in NRW. „Da gibt es bei den Tätern die krudesten Theorien: Dass angeblich amerikanische Militärdaten durch unsere Glasfaserkabel laufen. So bunt wie diese Welt ist, so bunt sind auch die Motive.“ Von einer auffälligen Häufung kann aus Sicht des DB-Vorstands aber keine Rede sein.

Alle Infrastruktur-Daten sind öffentlich zugänglich

Die Bahn habe in den vergangenen 20 Jahren als Folge der Liberalisierung „voll auf Transparenz gesetzt. Wir haben viele Infrastrukturdaten öffentlich zugänglich gemacht. Das gilt auch für alle Planungsverfahren. Die Pläne für das Beteiligungsverfahren liegen öffentlich aus“, so Nagl. „Die kann jede und jeder einsehen.“

Bei allen Ausschreibungen von Streckensanierungen oder Neubauten erhielten auch Dritte den vollen Einblick in die technischen Unterlagen. Die Bahn sei sogar verpflichtet, interne Ausschreibungen zwischen den einzelnen Konzerntöchtern öffentlich zu machen, um Privaten den Zugang zum Wettbewerb zu ermöglichen.

Bahn hat täglich mit Cyberattacken zu kämpfen

„Gleichzeitig fragt man uns, wie es sein kann, dass die ganze Welt weiß, wo unbesetzte Stellwerke stehen. Aus diesem Dilemma kommen wir nicht heraus. Wir können die Infrastrukturdaten nicht DB intern halten. Die Infrastruktur ist öffentliches Eigentum. Natürlich ist dadurch die Gefahr von systematischen Anschlägen gegeben, wie bei jeder anderen öffentlichen Infrastruktur auch“, so der Infrastrukturvorstand.

Die Bahn müsse sich täglich mit dem Thema Cyberattacken und Cybersicherheit auseinandersetzen. Von Forderungen aus der Politik, die Sicherheitsstandards zu erhöhen, die nach dem Wochenende wieder laut geworden waren, hält Nagl wenig. „Wir müssen verhindern, nach jedem Sabotageakt grundlegende Debatten zu führen. Man kann die Infrastruktur nicht zu 100 Prozent schützen. Das muss man einfach so sehen.“

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) und der Bundesverband für den Schutz Kritischer Infrastruktur (BSKI) hatten nach den Vorfällen vom vergangenen Wochenende gefordert, die Bahn und der Bund müssten „sich mehr und intensiver mit dem Schutz der Infrastruktur beschäftigen“, so Krischer.

„Wir haben ja eine Beteiligung an den britischen Eisenbahnen. Deshalb habe ich mich schon häufiger mit den Kollegen zu Sicherheitsfragen ausgetauscht“, sagt Philipp Nagl. In Großbritannien habe man sehr viel Erfahrung mit Sicherheitsthemen wegen der IRA-Historie. „Sie vertreten die Auffassung, dass die Infrastruktur als ein öffentliches Gut auch von allen gemeinsam geschützt werden muss.“

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