HeilberufeWo kein Arbeiten auf Distanz möglich ist und Schutzkleidung fehlt

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Sandra Zimmer und Dietmar Stock haben keine Atemschutzmasken mehr.

Sandra Zimmer und Dietmar Stock haben keine Atemschutzmasken mehr.

Leverkusen – Wie soll ich eine manuelle Therapie durchführen, mit zwei Metern Abstand? Wie soll ich ein Kind an einer Sprossenwand sichern mit zwei Metern Abstand? Wie soll ich eine Lymphdrainage durchführen mit zwei Metern Abstand? Wie soll ich Gangtraining durchführen und den Patienten sichern mit zwei Metern Abstand?

Zum Heilen verpflichtet

All diese Fragen stellen sich die Mitarbeiter der Leverkusener Ergo- und Physiotherapiepraxis Stock. „Als Heilberufe sind wir verpflichtet, weiter für die Patienten da zu sein“, sagt Sandra Zimmer. Sie seien aktuell auch froh über jeden Patienten, der noch in die Praxis kommt. Denn eigentlich besteht die Arbeit der Therapeuten zu 50 Prozent aus Hausbesuchen – diese wurden in den letzten Tagen nahezu alle abgesagt. „Und auch heute hatten wir wieder gefühlte 20 Absagen“, berichtet Zimmer.

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Hauptsächlich kommen noch Kinder in die Praxis. Doch auch das birgt Probleme. Da es keine Kinderbetreuung oder Schule mehr gibt, werden häufig die Geschwisterkinder mitgebracht. Im ohnehin schon kleinen Wartezimmer der Praxis wurden von vier Stühlen zwei weggestellt, um den Abstand zwischen den Wartenden zu vergrößern – mit mehreren Kindern ist das natürlich nicht machbar. „Und das Schlimmste ist, dass wir überhaupt keine Schutzkleidung mehr haben, auch Desinfektionsmittel wird knapp“, klagt Zimmer. „Wir sind absolut am Limit und wissen nicht, woher wir uns noch etwas besorgen sollen.“ Krankenhäuser würden selbstverständlich mit Schutzkleidung beliefert, die kleinen Praxen aber nicht. Damit kommt die Angst dazu, sich selbst zu infizieren, vor allem bei der Arbeit mit Kindern, die das Virus übertragen können, ohne Symptome zu zeigen. „Wenn einer von uns positiv getestet wird, wird die Praxis geschlossen und unter Quarantäne gestellt“, sagt Zimmer. Für Praxisinhaber Dietmar Stock wäre das allerdings nur das zweitschlimmste Szenario, denn in dem Fall würde zumindest das Gesundheitsamt die Lohnkosten mittragen. Auf allen anderen laufenden Kosten wie Miete, Strom und Versicherungen, würde er sitzen bleiben, bei null Einnahmen.

Angst vor dem Shutdown

„Das Schlimmste was passieren könnte, wäre aber, wenn Frau Merkel sagt, dass die Praxen schließen müssen. Dann gibt es gar kein Geld“, sagt Stock. Was über kurz oder lang zur Insolvenz führen würde. Zunächst werden sie nun versuchen, sich mit dem Abbau von Überstunden und Urlaubstagen über Wasser zu halten, danach droht Kurzarbeitergeld. „Für uns als Mitarbeiter ist das hart, aber akzeptabel“, sagt Zimmer. Für den Inhaber wäre es katastrophal, er bliebe – nach aktueller Lage – auf allen Kosten sitzen.

Logopädin ohne Mundkontakt

Die gleichen Sorgen hat eine Leverkusener Logopädin, die nicht beim Namen genannt werden möchte. Viele Patienten kommen nicht, sie und ihre Kollegen müssen aber trotzdem da sein, Stichwort: Behandlungspflicht. „Die Auflage ist: Erhöhte hygienische Maßnahmen. Aber wie sollen wir das machen, ohne Mundschutz und Desinfektionsmittel?“ Gruppentherapien sind ohnehin schon verboten, ebenso intra-orales Arbeiten, also Behandlungen im Mundraum. Damit fällt der Großteil der Behandlungsmethoden weg. Und damit die Lebensgrundlage der Mitarbeiter.

Geburtsvorbereitung per Video

Auch die Hebammenpraxis in Opladen hat weiter geöffnet. Schwangerenvorsorge und Wochenbettbetreuung finden weiterhin statt, Kurse nicht mehr. Das ist ein Problem, schließlich lassen sich Geburten nicht auf die Zeit nach Corona verschieben. „Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen“, sagt Hebamme

Dagmar Bialek und bietet ihre Kurse ab Ende der Woche als Videokurse an: Schwangeren- und Rückbildungsyoga und sogar am mehrstündigen Wochenendkurs zur Geburtsvorbereitung können werdende Eltern demnächst vor dem Computer teilnehmen. Dazu muss man sich vorher anmelden und einloggen, schließlich müssen die Hebammen die Kosten mit der Krankenkasse abrechnen können

Offen bis zum Schluss

In der Physio- und Ergotherapiepraxis Stock sind die Mitarbeiter trotz aller Schwierigkeiten froh über jeden Patienten der noch kommt. Aus gesundheitlichen Bedenken abgewiesen wird hier niemand. „Zu uns kommen nur Leute mit ärztlichen Attest und das ist für uns auch die Legitimation, sie behandeln zu dürfen“, sagt Zimmer. Natürlich lege es im Ermessen des Patienten, ob er kommen möchte. „Von unseren Mitarbeitern bleibt jeder, der auch nur einen leichten Schnupfen hat, zu Hause. Aktuell sind wir alle gesund“, versichert Zimmer. Viele Patienten tauchen auch gar nicht erst auf, weil sie denken, dass ohnehin alles geschlossen ist. Zimmer sagt jedem, der anruft: „Wir melden uns, wenn wir schließen müssen, bis dahin sind wir auf.“

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