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„Löschen Sie die Bilder!“Lehrer, Anwälte und Pfarrer unter Impfgegnern in Opladen

Lesezeit 3 Minuten
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In Opladen wurde eine Arztpraxis durchsucht.

Leverkusen – Sie waren am 3. Februar vor Ort in Leverkusen-Opladen, als die Staatsanwaltschaft und die Polizei die Räume einer Arztpraxis durchsuchen ließen: Die Reporter des „Kölner Stadt-Anzeiger“ Timon Brombach und Ralf Krieger. Hier schildern sie, wie sie die Situation empfunden haben. Gegen den Arzt besteht der Anfangsverdacht, massenhaft unbegründete Atteste ausgestellt zu haben, dass Patientinnen und Patienten nicht geimpft werden dürfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

So schildert Ralf Krieger die Situation:

„Sie dürfen hier nicht fotografieren, löschen Sie sofort die Bilder in der Kamera.“ Wie bei der Frage des Impfens schaffen sich Impfgegner in Bezug auf Presserechte ihre eigenen Regeln und Gesetze. Vorweg: Natürlich darf ein Pressefotograf auf öffentlichem Grund, etwa auf dem Fußweg vor einer Arztpraxis, seine Bilder machen, auf dem sich eine Menschentraube gebildet hat, weil ein Arzt mutmaßlich illegal Atteste verkauft. Etwas anderes ist die Veröffentlichung – aber nur wenn jemand erkennbar wäre. Deshalb sind Gesichter verpixelt.

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Die „Patienten“ selbst sind nicht fotoscheu, in der Menge wird geknipst und mit Handys gefilmt. Probleme entstehen, wenn jemand offen wie ich als Journalist erscheint, erkennbar an einer professionellen Kamera. Vor der Opladener Arztpraxis gab es sofort Beschimpfungen und laute Einschüchterung: „Systempresse“ zum Beispiel, damit gehört man aus Impfgegner-Sicht zum „feindlichen Lager“. Die Beschimpfungen in Opladen gipfelten schließlich in der Ankündigung, man werde mich verklagen. Ein anderer Patient fotografiert schließlich mein Auto und das Nummernschild.

Erfahrungsgemäß ist es besser, solche Szenerien schnell wieder zu verlassen. In Opladen gab es sofort zwei, drei Männer und Frauen, die sich aus der Menge hervortaten und die Situation aufheizten.

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So schildert Timon Brombach die Situation:

Nach neun Stunden unter Impfgegnern wird klar, was sonst so schwer fällt zu verstehen: Wie konnten sich in der Pandemie so schnell diese Blasen an Desinformation und starkem Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln?

Die wartenden „Patienten“ sind unglaublich mitteilungsbedürftig. Es genügt schon ein zustimmendes Nicken oder nicht ablehnendes Antworten auf ihre absurden Thesen und schon nehmen sie einen „in ihre Reihen“ auf. Menschen, die sich erst kürzester Zeit kennen, halten sich gegenseitig den Platz in der Schlange frei, schenken sich Kaffee und Kuchen oder stellen sich bei Rempeleien schützend voreinander. Klar, schließlich kämpfen sie für die gleiche „Freiheit“, stehen auf der gleichen „richtigen Seite“ der verhärteten Fronten, des „wir“ gegen „die“.

Unter ihnen sind Pfarrer, Grundschullehrer, Anwälte und viele Angestellte aus dem Gesundheitssektor. Das erzählen sie zumindest über sich. Nachprüfen lässt sich das nicht. Oftmals wird mit christlichen Vorstellungen argumentiert, auch wenn sich die meisten von der Kirche als Institution seit der Aktion „Impfen ist Nächstenliebe“ distanzieren: „Als ich von der Impfaktion im Dom gehört habe, musste ich kotzen.“

Immer wieder wird mit „Bei den Juden hat es auch so angefangen“ und ähnlichen Aussagen der Holocaust relativiert oder es werden absurde Vergleiche zur NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl gezogen. Und es bleibt nicht nur bei hochgradig gefährlichem Gedankengut: „Wollen wir uns den packen?“, fragt ein Schüler, als Ralf Krieger, der Fotograf des „Kölner Stadt-Anzeiger“, die Schlange fotografiert, andere planen, ihm die Kamera aus der Hand zu reißen und die Speicherkarte zu zerstören.

Fast jeder der Wartenden hat Auszüge von Paragraphen aus der Coronaschutzverordnung und dem Infektionsschutzgesetz ausgedruckt, mit denen sie versuchen, sich zu legitimeren. Dann folgen aus Worten die ersten Taten, untereinander kippt die Stimmung vor der Praxis mehrfach, es gipfelt in Schubsereien, wenn etwa jemand vordrängelt oder das Handy für Aufnahmen zückt. Die Tatsache, dass etliche Personen so viele Stunden in der Kälte gestanden haben, um wirkungslose Atteste zu bekommen zeigt, wie ernst sie es meinen und wie verzweifelt sie sind.

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