Bilanz 2023Schularbeiten sind in Wiehl noch nicht erledigt

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Eine große Menge von Schülern mit Transparenten auf dem Platz vor dem Rathaus.

Weder Klimaschützer noch Bauern, sondern Bonhoeffer-Gymnasiasten blockierten bei einer Demo im Juni die Wiehler Innenstadt.

Was war? Was kommt? In unserer Serie ziehen wir Bilanz für 2023. Heute geht es um Wiehl.

Zwei Veranstaltungen haben im vergangenen Sommer besonders viele junge Wiehler auf die Beine gebracht. Ein Anlass war erfreulich, der andere weniger: Die Eröffnung des runderneuerten Wiehlparks wurde zum erwarteten Freudenfest. Die Schülerdemo dagegen, auf der eine baldige Sanierung des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums gefordert wurde, war Ausdruck zunehmender Frustration.

Nun ja, das Gymnasium. In einem Jahr mit einer Reihe erfreulicher Ergebnisse bei der Stadtentwicklung war die unendliche Geschichte des Schulneubaus der Wermutstropfen. Im Rückblick hatte die Stadt Wiehl kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. Ein Übriges leisteten Stadtratsfraktionen, denen das eigene Profil oft wichtiger war als eine Konsenslösung nach alter Wiehler Tradition. In den Haushaltsreden der Dezember-Sitzung schütteten die Politiker reichlich Asche auf das Haupt des Stadtrats, nicht ohne vorher den eigenen Kopf wegzuziehen.

Wiehler Konsens wäre hilfreich

Erst (und endlich) am 6. Februar fällt die Entscheidung. Ob die Stadtratsmehrheit 75 Millionen Euro und mehr für ein neues Gymnasium ausgeben will, ist noch immer ungewiss, denn das hieße: Steuern erhöhen, freiwillige Leistungen kürzen und dennoch ein Haushaltssicherungskonzept riskieren. Aber ob eine schlichte Sanierung kommt oder doch ein aufwendiger Komplettneubau am Standort oder irgendwas dazwischen oder außerhalb: Ein möglichst breiter Beschluss über das wahrscheinlich größte Investitionsprojekt der Stadtgeschichte wäre für die Akzeptanz des Projekts und das politische Klima kommender Jahre äußerst hilfreich. Noch ist es nicht zu spät.

Dass es anders geht, hat sich bei zwei anderen politischen Kontroversen gezeigt: Sowohl beim Antrag auf Umwandlung der Sekundarschule, als auch beim Bebauungsplan für das Hotel Platte bildeten sich nach einigem Hin und Her große Mehrheiten heraus. Das ist bei solch politisch heiklen Fragen erst einmal ein gutes Zeichen für die Handlungsfähigkeit des Stadtrats, auch wenn in beiden Fällen am Ende wohl Gerichte entscheiden werden.

AfD ist in Wiehl schon vertreten

Der Wiehler Rat ist eines der wenigen oberbergischen Kommunalparlamente, in denen die AfD bereits vertreten ist. Deren dreiköpfige Fraktion verhält sich eher unauffällig, was wohl auch am Temperament der Mitglieder liegen mag. Wenn der Plan der Rechtspopulisten aufgeht, bei der im Herbst 2025 anstehenden Kommunalwahl ihre bundesweiten Umfragewerte in lokale Mandate zu verwandeln und die Opposition gegen das „System“ in die Kommunalpolitik zu tragen, wird ein geschlosseneres Auftreten der bürgerlichen Parteien noch wichtiger werden. Und sei es, um eine Flüchtlingsunterbringung zu organisieren, wie derzeit in Brächen.

Vielleicht hilft ein Blick auf die gemeinsamen Errungenschaften: Eine erfreuliche Wegmarke der Stadtentwicklung war im vergangenen Jahr die Eröffnung des Wiehlparks, bald werden auch die Straßenräume im Zentrum fertig werden. In Drabenderhöhe erfreut man sich am neugestalteten Nösnerlandpark und am Baufortschritt des Stadtteilhauses. Mit dem millionenschweren Inklusionsprojekt „Wiehl enthindert“ wird die Stadt zur Musterkommune.

Bauplätze sind knapp in Wiehl

Auf einem guten Weg ist das Brächener Gewerbegebiet. Das frühere Schlachtfeld der Wiehler Flächenentwicklung könnte zum Vorzeigeprojekt geraten, in dem Wohnen und Arbeiten, Landschaftsschutz und Bebauung versöhnt werden. Spannend wird auch die Neuerfindung des Pro-Markt-Geländes.

Der Platz ist knapp in Wiehl, jeder Quadratmeter, der dem bergigen Gelände abgewonnen wurde, muss sinnvoll eingesetzt werden. Das gilt vor allem für die gewerbliche Nutzung. Wenn es der Standortsicherung dient wie im Fall Reiku, wird keiner etwas dagegen haben. Das Familienunternehmen ist in einem Konzern aufgegangen, der sich erfreulicherweise mit einem teuren Neubau zu Wiehl bekennt. Das Beispiel Aptiv (vormals Merten) zeigt, dass manche Immobilie frei wird, weil entlegene Chefetagen Entscheidungen gegen die örtlichen Interessen fällen. Da kann man trotz aller Schwierigkeiten, mit denen die BPW zu kämpfen hat, noch immer froh sein, dass der größte Steuerzahler hier fest verwurzelt ist. Die Achsenfabrik feierte ihr 125-jähriges Bestehen, Gratulation.

Wiehler Verein für Bürgerenergie

Das BPW-Betriebsgelände wird von einer anderen Traditionseinrichtung flankiert, der Wiehltalbahn. Deren Wiederbelebung für den Nahverkehr hat im vergangenen Jahr einen schweren Dämpfer erlitten, auch wenn die oberbergische Politik nicht alle Hoffnungen aufgegeben hat, dass über das Gutachten zur Wirtschaftlichkeit der Inbetriebnahme noch nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Dass auch CDU-Politiker dafür eintreten und die konservative NRW-Bauministerin zur Einweihung einer Wiehler Eisenbahnbrücke anreist, hätte man sich vor wenigen Jahren so wenig vorstellen können wie das Engagement der Union für die Energiewende. Kein Geringerer als der CDU-Ortsvereinschef Stefan Rossner amtiert an der Seite von Grünen- und SPD-Lokalmatadoren als Vorsitzender des neugegründeten Vereins „Bürgerenergie Wiehl“.

Dennoch hat man das Gefühl, dass der Klimaschutz angesichts aller übrigen Krisen ein wenig aus dem Blick geraten ist. Sicher ist, dass die Stadt Wiehl bei ihrer eigenen Mobilitätswende sich nicht von der Wiehltalbahn abhängig machen kann, dafür dauert das Millionenprojekt ohnehin viel zu lange. Und Fördergeld von Land und Bund wird viel spärlicher fließen.

Schon bald werden die jungen Leute auch in Wiehl nicht mehr für Schulneubauten demonstrieren, sondern wieder unter dem Banner „Fridays for Future“.

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