Rhein-Berg – Am Ende geht’s um akribische Detektivarbeit: Wer kennt wen? Wann haben sich Frau X und Herr Y das letzte mal gesehen? Sind die Angaben der Zeugen verlässlich? Wenn im Lagezentrum des Kreisgesundheitsamts die Nachricht eines neuen bestätigten Corona-Falls eingeht, muss alles schnellgehen, um möglichst rasch Kontaktpersonen des Infizierten ausfindig zu machen und Infektionsketten zu unterbrechen.
Die sogenannte Kontaktpersonennachverfolgung, also die gründliche Recherche, wen Corona-Infizierte angesteckt haben könnten, ist ein Fall für sich. Und wie wichtig er ist, zeigt gerade die aktuelle Entwicklung in einem Wohnheim in Bergisch Gladbach, dessen Bewohner und Beschäftigte nach zwei bekannt gewordenen Corona-Fällen unter Quarantäne gesetzt und auf Corona getestet wurden – Ergebnis: 29 Tests fielen positiv aus (siehe Kasten).
Kleinere Gruppen statt ganze Schulen oder Kitas unter Quarantäne setzen
„Von der Sorgfalt der Nachforschungen hängt viel ab“, sagt der Sprecher des Krisenstabs beim Kreis, Torsten Wolter: „Sind die Nachforschungen erfolgreich, kann die Weitergabe von Infektionen gestoppt werden.“ Statt ganze Schulen, Kitas oder Unternehmen zu schließen, könnten kleinere Gruppen unter Quarantäne gesetzt werden, wie dies am Freitag auch an einer Schule in Rösrath erfolgte.
Der Kreis hat bereits früh vor allem auf die konsequente Feststellung von Infektionsketten gesetzt – auch wenn einige Kritiker stattdessen mehr präventive Tests in Einrichtungen mit Risikopersonen wie Seniorenheimen präferiert hätten. Das Kreisgesundheitsamt sieht sich indes durch die bisherige Infektionsentwicklung und die Resonanz unter anderem aus betroffenen Einrichtungen bestätigt.
Ermittlung kann Quarantäne für viele Menschen verhindern
„Die Rückmeldungen sind sehr positiv“, sagt Kreisgesundheitsamtsleiterin Dr. Sabine Kieth. „Wir betreiben einen hohen Aufwand, um für so wenige Menschen wie möglich – und nur so viele wie nötig – Quarantänen auszusprechen.“ Unter anderem habe eine Fluggesellschaft die „differenzierte Betrachtungsweise“ im Fall einer Flugbegleiterin gelobt. Statt sie ungeprüft in Quarantäne zu schicken, wurde laut Kreis ermittelt, dass alle Involvierten konsequent Mund-Nasen-Schutz getragen hatten. Dies führte zu einer anderen Einordnung der Kontakte. Das wiederum ermöglichte es, eine Quarantäne für alle zu vermeiden.
„Wir werden oft gefragt, weshalb manche Menschen bei ähnlich klingenden Fällen konsequent in Quarantäne geschickt werden und andere nicht“, berichtet Guido Gerlach. Die Antwort des 52-jährigen Hygienekontrolleurs, der beim Kreisgesundheitsamt im Infektionsschutz arbeitet: Szenarien können ähnlich erscheinen, werden aber aufgrund bestimmter Gegebenheiten unterschiedlich bewertet. Bei der Bewertung stützt sich das Gesundheitsamt auf Richtlinien des Robert-Koch-Instituts (RKI).
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„Sobald das Virus labordiagnostisch bestätigt wird, rufen Kolleginnen oder Kollegen aus dem Lagezentrum die betroffene Person an“, erklärt Gerlach. Im ersten Gespräch geht es auch um die Kontaktpersonen, insbesondere um Begegnungen, die bis zu zwei Tage vor Auftreten der ersten Symptome stattgefunden haben. Dabei geht es nicht nur um Genauigkeit, sondern auch um Tempo. „Je schneller eine Kontaktpersonenliste erstellt wird und je schneller die Personen darauf kontaktiert werden, desto größer ist die Chance, die Infektionskette effektiv zu unterbrechen“, so Gerlach.
Jede ermittelte Person wird einer Kategorie zugeordnet: Kategorie I sind alle, die in intensiverem Austausch zum Infizierten standen. 15 Minuten und länger ohne Abstand sowie direkte Gespräche ohne Maske bedeuten laut RKI ein erhöhtes Ansteckungsrisiko. Diese engen Kontaktpersonen müssen deshalb immer in Quarantäne.
Kategorie I wird getestet, ob Symptome oder nicht
„Entsprechend den Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes werden die Kontaktpersonen der Kategorie I wenn möglich an Tag eins nach Ermittlung und zwischen dem 5. und 7. Tag erneut getestet, da dann die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Erregernachweis ist“, erklärt Gerlach. Dabei sei es unerheblich, ob die Betreffenden Symptome haben oder nicht. „Fällt dieser Test positiv aus, wird er durch das Labor an das Gesundheitsamt gemeldet und fließt in die Statistik der Corona-Infizierten ein.“ Diese Person wird damit zu einem eigenen Fall und die Ermittlung der Kontaktpersonen beginnt erneut.
Was viele Menschen Nerven kostet: Fällt der Test negativ aus, ist dennoch häusliche Quarantäne bis Tag 14 angesagt. Denn: „Ein Ausbruch der Erkrankung ist noch bis zu diesem Tag möglich. Deshalb könnte es fatal sein, Kontaktpersonen der Kategorie I mit negativem Testergebnis aus der Quarantäne zu entlassen“, sagt Gerlach.
Kategorie II nur bei Symptomen testen
Anders ist es bei Kontaktpersonen der Kategorie II. Sie haben sich zwar im selben Raum mit einer infizierten Person aufgehalten, aber kurzzeitig, mit Maske oder Mindestabstand. Diese Menschen werden nur getestet, falls Symptome auftreten. „Mit dieser Strategie klappt es bislang gut, die Infektionszahlen überschaubar zu halten“, so Gerlach. Kontaktpersonen von Kontaktpersonen werden überhaupt nicht erfasst – in diesem Fall sei die Ansteckungswahrscheinlichkeit zu gering, um Maßnahmen zu verhängen.
Knifflig werde es, so Gerlach, bei Krankheitshäufungen in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen. „Dann wird es schwierig, die Kontakte einzustufen. In diesen Fällen können deshalb Menschen ohne Symptome auch dann getestet werden, wenn sie nur geringe oder nicht ermittelbare Kontakte zu Infizierten hatten.“ Auch bei den jüngsten Fällen in Schulen analysierte das Kreisgesundheitsamt wie berichtet stets unter anderem die Einhaltung von Hygieneregeln, Mindestabständen und Lüftung von Räumen. Komplette Schließungen wurden so bislang verhindert. Dr. Sabine Kieth: „Die Detektivarbeit lohnt sich.“