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Besetzter Wald geräumtLandrat bezeichnet Umweltaktivisten in Kerpen als „kriminell“ und polarisiert

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Mit einem Großeinsatz hat die Polizei das von Aktivisten besetzte Waldstück am Braunkohle-Tagebau Hambach geräumt.

Mit einem Großeinsatz hat die Polizei das von Aktivisten besetzte Waldstück am Braunkohle-Tagebau Hambach geräumt.

Für die einen vertieft Rock mit seiner Äußerung gesellschaftliche Gräben. Andere halten sie für unproblematisch. Er selbst sagt, er spreche bloß Klartext.

Landrat Frank Rock (CDU) hat mit einer Aussage über die Umweltaktivisten, die Polizisten am Dienstag (18. November) bei der Räumung des „Sündenwäldchens“ in Kerpen-Alt-Manheim abgeführt haben, eine kontroverse Debatte ausgelöst. In einem Facebook-Post schrieb der 55-Jährige, die „wenigen kriminellen Besetzer“ würden „nach und nach aus dem Betriebsgelände entfernt“. In seiner Funktion als Landrat leitet Rock auch die Polizeibehörde im Rhein-Erft-Kreis und ist für mehrere Hundert Beamtinnen und Beamte verantwortlich.

Scharfe Kritik an Rocks Äußerung kommt von den Kerpener Grünen. Der Begriff „kriminelle Besetzer“ sei eine pauschale Zuschreibung und werde der Vielfalt der Menschen und ihrer Motive vor Ort nicht gerecht, betont die Fraktionsvorsitzende Annika Effertz in einer Stellungnahme von Partei, Fraktion und der Kerpener Landtagsabgeordneten Antje Grothus.

In solchen Momenten sollte Kommunikation verbinden statt spalten
Antje Grothus

Aus Sicht der Parlamentarierin sei der Tag der Rodung auf dem Gelände des Energiekonzerns RWE am Rande des Braunkohletagebaus für viele Menschen im Kreis und im Revier emotional herausfordernd gewesen: „In solchen Momenten sollte Kommunikation verbinden statt spalten und dazu beitragen, die komplexen Herausforderungen im Tagebau-Vorfeld – von ökologischen Fragen über wirtschaftliche Perspektiven bis hin zum gesellschaftlichen Zusammenhalt – gemeinsam zu bewältigen.“

Insofern fehle Landrat Rock die Fähigkeit zur Differenzierung, so Grothus weiter.  Als Leiter der Polizeibehörde habe er eine Vorbildfunktion inne:  „Bei einem solchen Räumungs-Einsatz sollte jedem Menschen die Unversehrtheit aller Beteiligten am Herzen liegen, anstatt Menschen, die sich für unsere Umwelt einsetzen, aggressiv und pauschal zu kriminalisieren.“ Anders als Rock mit seiner Rhetorik hätten sich die Einsatzkräfte vor Ort  um eine deeskalierende statt polarisierende Haltung bemüht. Grothus hielt sich selbst am Dienstag selbst am Sündenwäldchen auf.

Effertz wiederum hofft, dass der „sich verschärfende Ton keine Gräben vertieft, Misstrauen schürt oder die dringend erforderliche gemeinsame Suche nach Perspektiven für die Region erschwert“.

Landrat Frank Rock in seiner Funktion als Leiter der Polizeibehörde bei einer Pressekonferenz.

Landrat Frank Rock in seiner Funktion als Leiter der Polizeibehörde bei einer Pressekonferenz.

In den Reihen der Grünen wird Rocks Äußerung durchaus unterschiedlich bewertet. So stellte sich der Vorsitzende der Kreistagsfraktion, Elmar Gillet, hinter den Landrat: „Wenn in einem Land nur noch über die politische Korrektheit von einzelnen Äußerungen demokratischer Politiker und nicht über die wirklichen politischen Probleme diskutiert wird, schadet dies der Demokratie“, teilte der Wesselinger auf Anfrage dieser Redaktion mit. Als Leiter der Polizei werde Rock über genügend Informationen verfügen, ob Straftaten vorliegen oder nicht.

Diese Sichtweise teilen CDU und FDP, die beiden Koalitionspartner der Grünen im Bergheimer Kreistag. Gregor Golland (CDU), Fraktionschef im Kreistag und Landtagsabgeordneter, sagte, seine Fraktion stehe geschlossen hinter Frank Rock und der Polizei. „Hausfriedensbruch, versuchte gefährliche Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sind und bleiben Straftaten. Der Rechtsstaat gilt für jeden – immer und überall.“ Golland ist auch innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion.

Ähnlich äußert sich der neue FDP-Fraktionsvorsitzende im Kreistag, Ralph Bombis. Die Liberalen hielten die Äußerung „dem Grunde nach für unproblematisch“. Die Besetzung des Geländes erfülle den Tatbestand des Hausfriedensbruchs und ist insofern – vorbehaltlich der Unschuldsvermutung – tatsächlich offensichtlich kriminell. Bombis zeigt sich gleichwohl davon überzeugt, dass es im Sündenwäldchen auch friedliche Demonstranten gibt.

Eine andere Sichtweise darauf, wann man jemand als „kriminell“ bezeichnen darf, hat Hans Decruppe (BSW). Er wirft Rock eine völlig überzogene und populistische Wortwahl vor. Sie diene ausschließlich dem Zweck, die Umweltaktivisten und deren politische Anliegen zu diffamieren und zu diskreditieren – gerade so, „als wären sie Schwerverbrecher oder Terroristen“. Rocks Sprachgebrauch führe zu weiterer „unversöhnlicher Spaltung“ der Gesellschaft.

Rock fischt in autokratischer Manier im Trüben nach den Stimmen extremistischer Wähler
Dr. Anselm Meyer-Antz

Decruppe, selbst Jurist, verurteilt zugleich die Aktionsform der Waldbesetzer. Sie sei ungeeignet, um „notwendige Sympathie für berechtigte Umweltanliegen zu schaffen und politische Unterstützung bei der Masse der Bevölkerung zu mobilisieren“.

Stefan Söhngen, Fraktionsvorsitzender der Linken im Kreistag, spricht von einer Vorverurteilung der Aktivisten. Solange Gerichte nicht entschieden haben, ob die den Besetzern vorgeworfenen Tatbestände erfüllt sind, gelte in einem Rechtsstaat unabhängig von politischen Sympathien die Unschuldsvermutung.

Teilnehmer einer Mahnwache verfolgten die Räumung des Sündenwäldchens am Hambacher Forst aus einiger Entfernung.

Teilnehmer einer Mahnwache verfolgten die Räumung des Sündenwäldchens am Hambacher Forst aus einiger Entfernung.

Laut Polizei wurde gegen 18 Personen Strafanzeigen erstattet – unter anderem wegen des Verdachts auf Hausfriedensbruch, versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Nach Angaben eines Sprechers der Aktivisten wurden sie am Dienstagabend zur Polizeiwache nach Bergheim gebracht, die meisten von ihnen durften wenige Stunden später wieder gehen. Vier seien im Laufe des Mittwochs dem Haftrichter vorgeführt worden und sollten in die Polizeiwache Köln-Kalk überführt werden.

Die Initiative „Die Kirche(n) im Dorf lassen“ sagt, bei Rocks Äußerung handele es sich um die Instinktlosigkeit eines Provinzpolitikers – im besten Fall. Im schlimmeren Fall fische der Landrat „in autokratischer Manier im Trüben nach den Stimmen extremistischer Wähler“.  Dr. Anselm Meyer-Antz, Sprecher der Initiative, empfiehlt dem CDU-Politiker in einer Stellungnahme zudem, sich mit der Tradition des zivilen Ungehorsams auseinanderzusetzen.

Das war 2021: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.l.) und Ministerpräsident Armin Laschet (3.v.l., CDU) sprechen mit Landrat Frank Rock (r) in Erftstadt (Nordrhein-Westfalen). Steinmeier und Laschet machten sich vor Ort ein Bild der Schäden durch das Hochwasser.

Das war 2021: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.l.) und Ministerpräsident Armin Laschet (3.v.l., CDU) sprechen mit Landrat Frank Rock (r.) in Erftstadt (Nordrhein-Westfalen). Steinmeier und Laschet machten sich vor Ort ein Bild der Schäden durch das Hochwasser.

Meyer-Antz wirft Rock angesichts der Rodung des verbliebenen Waldstücks ein bedenkliches Verhältnis zu Natur und Tierwelt vor. Dessen Auftreten in dieser Woche erinnere ihn daran, dass der Landrat bereits im Juli 2021 Opfer der Ahrtal-Katastrophe „durch ein Lachen im öffentlichen Raum verspottete und sich hinterher halbherzig entschuldigte“.

Und Rock selbst? Er ließ am Donnerstag (20. November) über seinen Sprecher mitteilen, die Formulierung „die wenigen kriminellen Besetzer“ beziehe sich ausschließlich auf jene Personen, gegen die strafrechtlich relevante Ermittlungen im Raum stünden. Rocks Überzeugung nach sei es in einer Zeit, in der sachliche Debatten in der Gesellschaft zunehmend durch sprachliche Empfindlichkeiten erschwert würden, wichtiger, Dinge klar zu benennen. Und weiter: „Landrat Rock hat niemanden pauschal verurteilt, sondern in klarer Sprache das für alle öffentlich erkennbare Verhalten Einzelner vor Ort beschrieben, das als strafrechtlich relevant einzustufen ist.“

Die Fraktionen von SPD und Freien Wählern im Kreistag, die ebenfalls um eine Einschätzung gebeten worden waren, ließen die Anfrage der Redaktion unbeantwortet.