Tina Breuer erklärt, warum freiberufliche Hebammen vor großen Herausforderungen stehen – Deutscher Hebammenverband und Landesverband warnen.
Neuer HebammenvertragHebamme aus Erftstadt: „Wir schaffen es nicht mehr“

Hebammen haben es in Deutschland zunehmend schwerer.
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Sie begleiten Frauen und Paare vom positiven Test bis weit nach der Geburt: Hebammen. Doch die Suche nach einer Hebamme gestaltet sich für viele Frauen zunehmend schwieriger.
„Die meisten Frauen melden sich in der vierten Woche“, sagt Tina Breuer. Von den Wänden ihrer Hebammenpraxis „Kugelrund“ in Erftstadt-Liblar blicken einem die Gesichter Neugeborener auf Postkarten entgegen. Es gebe aber auch Frauen, die bereits ein Jahr im Voraus anriefen. „Da merkt man, wie die Frauen unter Druck stehen“, sagt die Expertin. Ihres Wissens hätten aber auch Frauen, die sich in der sechsten oder achten Woche melden, in der Regel in Erftstadt noch Glück.
Erftstadt: Hebamme aus Liblar hat mit großem bürokratischen Aufwand zu kämpfen
Tina Breuer bietet das Komplettprogramm an Betreuung während der Schwangerschaft an. Von der Vorsorge, über Schwangerenyoga und Geburtsvorbereitung, bis hin zur Nachsorge nach der Geburt, Rückbildung oder Babymassage. „Mir ist wichtig, dass die Frauen, auch wenn sie Mama werden, danach auch etwas für sich tun.“ Das gehe dann meistens unter, sagte sie.
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Seitdem Breuer ihre Praxis vor 20 Jahren in Erftstadt eröffnet hat, hat sich einiges verändert. „Es ist schwieriger geworden, auch finanziell hat sich vieles geändert“, sagt sie. Eine große Herausforderung ist für die Hebamme der bürokratische Aufwand: „Ich muss mir von den Frauen alles quittieren lassen, jedes Telefonat, jeden Hausbesuch.“ Breuer geht sogar so weit zu sagen: „Um die Bürokratie zu schaffen, müsste ich eine Frau weniger annehmen.“

Hebamme Tina Breuer hat seit 20 Jahren die Hebammenpraxis „Kugelrund“ inj Erftstadt.
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Auch Schwangere und Mütter stehen heute vor zunehmend größeren Herausforderungen. Breuer sagt: „Frauen entscheiden sich bewusster für Baby und Familie.“ Die Rundumbetreuung der Frauen sei über die Jahre mehr und intensiver geworden, sagt die Hebamme. „Ich glaube, dass die Frauen unter einem größeren Druck stehen“, so Breuer. Sie vermutet, dass die Medien dafür ein Grund sind: „Die Frauen haben Angst, etwas falsch zu machen.“
Gerade in den sozialen Medien kursieren Unmengen an Informationen für Schwangere und Mütter, aber auch ein oftmals perfektes, jedoch unrealistisches Bild, dessen Erwartungen nur schwer oder überhaupt nicht zu erfüllen sind. Tina Breuer würde sich stattdessen wünschen, dass die Frauen wieder mehr auf ihre Intuition hören. Das Positive: Durch die Medien wissen Frauen laut der Hebamme aber auch, was ihnen zusteht. Und noch etwas hat sich geändert: „Männer sind viel mehr miteingebunden.“
Tina Breuer ist freie Hebamme, aber ohne Geburtshilfe. Sie hat ein neunköpfiges Team in der Praxis, ist jedoch dort die einzige Hebamme. Ganz eng betreue sie etwa 90 bis 100 Frauen pro Jahr. Es gebe aber auch Frauen, die nur Kurse besuchten. Generell ist die Nachfrage laut der Hebamme gestiegen. Zwar müsse sie nicht täglich Frauen ablehnen, aber es gebe Zeiten, in denen sie vier bis fünf Frauen ablehnen müsse. Breuer: „Wir schaffen es nicht mehr.“ Generell betreue sie nur Frauen aus Erftstadt.
NRW-Landesverband: Hebammen berichten von erheblichen Einnahmeverlusten
Die wirtschaftliche Situation vieler freiberuflich tätiger Hebammen verschlechtere sich dramatisch, teilt Michelle Rump, 1. Vorsitzende des Landesverbands der Hebammen NRW, mit. Steigende Lebenshaltungs- und Berufskosten sowie der neue Hebammenhilfevertrag (HHV) führten dazu, dass zahlreiche Kolleginnen von erheblichen Einnahmeverlusten berichteten. Am 1. November ist der HHV in Kraft getreten. Und er steht bereits sehr in der Kritik.
„Der Vertrag ist aus Sicht des Landesverbands nicht tragfähig und nicht gerecht“, so Rump. Der Landesverband fordert dringende Nachbesserungen, insbesondere etwa eine faire Vergütung. „Hebammen in NRW arbeiten seit Jahren an der Belastungsgrenze“, so Rump weiter. Besonders in den ländlichen Regionen seien die Versorgungsstrukturen bereits heute auf Kante genäht. In der klinischen Geburtshilfe verschärfe sich die Lage zusätzlich. Sie resümiert: „Die Versorgungssicherheit ist in NRW vielerorts nicht mehr gewährleistet.“
Rhein-Erft-Kreis: Situation der Hebammen in den Krankenhäusern
Eine große Herausforderung sei der HHV für freiberufliche Hebammen in Kliniken, sogenannte Beleghebammen, wie eine Sprecherin des Deutschen Hebammenverbands (DHV) mitteilt. Sie hätten nicht nur Einnahmeeinbußen bis zu 30 Prozent zu erleiden, sondern auch einen erhöhten bürokratischen Aufwand.
Der HHV bringe einen Paradigmenwechsel weg von Pauschalen hin zu einer Abrechnung nach Zeit. „Dies halten wir grundsätzlich für eine gute Entscheidung“, so die DHV-Sprecherin weiter. Der Verband kritisiert jedoch, „dass der festgesetzte Stundensatz noch nicht einmal die Teuerungsrate der letzten acht Jahre ausgleicht“. Und weiter: „Wir sehen nun bundesweit viele Kündigungen von einzelnen Beleghebammen und ganzen Teams, für die ihr Beruf wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist; weitere werde folgen.“
Entbinden kann man im Rhein-Erft-Kreis im Brühler Marienhospital und im St.-Katharinen-Hospital in Frechen. Wie die das Marienhospital mitteilt, gibt es in der Fachabteilung Geburtshilfe keine Beleghebammen, sondern festangestellte Kolleginnen. Generell sei es herausfordernd, Mitarbeitende im Bereich Gesundheitswesen zu rekrutieren, dazu gehöre entsprechend auch die Berufsgruppe der Hebammen.
Im Frechener St.-Katharinen-Hospital gibt es nach eigenen Angaben keine Anzeichen dafür, dass die gynäkologische Abteilung von möglichen Auswirkungen des Hebammenhilfevertrages betroffen sein könnte. Das Krankenhaus beobachtet auch keinen Mangel an Hebammen oder Herausforderungen bei der Besetzung.
Tina Breuer weiß, dass viele freiberufliche Hebammen aufhören. Das käme für sie nicht infrage. „Ich mache das gerne“, sagt sie. Auch den Beruf würde sie wieder wählen: „Ich würde es wieder genau so machen, auch wenn es anstrengender geworden ist. Die Frauen bringen so eine Dankbarkeit mit.“ Und viele dann eben auch eine Danksagungskarte samt Babybild. „Dafür macht man das“, sagt Breuer.
Die Praxis
Tina Breuer hat sich nach ihrer Ausbildung zur Hebamme ihren Lebenstraum erfüllt und die Hebammenpraxis „Kugelrund“ in Erftstadt-Liblar eröffnet, Brühler Straße 19. Die Praxis besteht nun seit 20 Jahren. Statt ihren Meilenstein zu feiern, hat sich Breuer dazu entschieden, bei der Aktion „WDR 2 Weihnachtswunder“ mitzumachen.
Am Freitag (28. November), 15 bis 21 Uhr, und Samstag (29. November), 9 bis 17 Uhr, kann man in der Praxis kostenlos in die Kurse hineinschnuppern und für den guten Zweck spenden. Es werden etwa Yogakurse für Kinder, Jugendliche und Erwachsene angeboten, Kurse für Entspannung und Atemtechniken. Interessierte können einfach vorbeikommen. Weitere Informationen hier. (eva)

