Ermittlungen zur Kiesgrube BlessemHauptkommissar ist als RWE-Gegner bekannt

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Blessem

Überschwemmungen in Erftstadt-Blessem während der Flutkatastrophe 2021

  • Der Hochwasserschutz an der Kiesgrube Blessem war von Anfang an wohl kaum ausreichend.
  • Ein Zwischenbericht stellt den Stand der Ermittlungen dar - viele Verfehlungen treten zutage.

Erftstadt-Blessem – Mehr als ein Jahrzehnt lang gehörte er zu den Unbeugsamen im Dorf Immerath im Kreis Heinsberg. Gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz klagte sich Stephan Pütz gegen die RWE Power AG durch die Instanzen. Immerath sollte dem Braunkohle-Tagebau Garzweiler weichen. Dorfbewohner Pütz wollte sich nicht enteignen und umsiedeln lassen.

Bereitwillig gab der Kriminalhauptkommissar (KHK) Interviews. Zahlreiche Medien berichteten über den unbeugsamen Streiter als Helden wider den allmächtig erscheinenden Energie-Konzern. Die Tageszeitung „taz“ feierte den renitenten Dörfler gar als „rheinischen Don Quijote“. Die Deutsche Presseagentur zitierte Pütz mit den Worten: „Die Umsiedelung ist ein einschneidender, tiefgreifender emotionaler Verlust. Ich lass mir nicht einfach etwas wegnehmen.“ Auch beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ ließ der Polizist seinen Gefühlen freien Lauf. „Was gibt dem Land und RWE das Recht, Menschen so etwas anzutun?", so seine Frage. „Das Individuum ist nicht der Allgemeinheit verpflichtet. Das ist ein Übergriff des Staates, gegen den ich mich mit meinen Grundrechten wehre."

Im Dezember 2013 endeten die juristischen Streitigkeiten. Das Bundesverfassungsgericht entschied gegen den Kläger Pütz. Ein Freibrief für die RWE-Bagger. Der 13-jährige Kampf David gegen Goliath schien zu Ende zu sein. Zumindest, was den Abbau im Braunkohlerevier betraf.

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Ermittlungen nach der Flutkatastrophe an der Erft

Als die Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 die Kiesgrube in Erftstadt-Blessem überflutete, begegneten sich die Gegner von einst wieder. Seinerzeit rutschte die Erde bis an den Ortsrand weg, das Hochwasser ließ mehrere Häuser einstürzen. Tagelang musste der gesamte Stadtteil geräumt werden, weil weitere Gefahren durch die Abbruchkante der Grube drohten.

Seit gut einem Jahr erforschen die Kölner Staatsanwaltschaft und die Ermittlungsgruppe Arnapa der Polizei die Unglücksursachen. Wie zu erfahren war, hegen die Strafverfolger den Verdacht, dass im südlichen Bereich des Kies-Tagebaus ein ausreichender Hochwasserschutzdamm fehlte. Inzwischen richten sich die Ermittlungen gegen zehn Beschuldigte, darunter etwa gegen den technischen Geschäftsführer des Grubenbetreibers Rheinische Baustoffwerke GmbH (RBS) sowie vier weitere Kollegen der RWE-Power-Tochtergesellschaft. Die Vorwürfe reichen vom fahrlässigen Herbeiführen einer Überschwemmung durch Unterlassen, der Baugefährdung bis hin zum Verstoß gegen das Bundesberggesetz im Zusammenhang mit der Havarie der Kiesgrube.

RWE-Widersacher als Ermittlungsleiter gegen RWE

Nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ leitet ausgerechnet Kriminalhauptkommissar Pütz die polizeiliche Ermittlungsgruppe. Dass der einstige RWE-Widersacher etwa in einem Zwischenbericht Durchsuchungsbeschlüsse bei dem 100-prozentigen Firmenableger von RWE und in der Konzernzentrale anregte, stößt bei den RWE-Anwälten auf vehementen Widerspruch. Vor dem Hintergrund der seinerzeit emotional ausgeführten Rechtsstreitigkeiten durch Pütz zweifelten die Juristen aus der Kölner Kanzlei Feigen Graf in Schriftsätzen „die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit“ des Ermittlungsleiters an.

Tenor: Ein Beamter, der öffentlich RWE „als unanständigsten aller DAX-Konzerne“ abgekanzelt habe, sei denkbar ungeeignet, um im Kiesgrubenfall die Nachforschungen zu lenken. Überdies bemängelten die Verteidiger, dass Pütz in seinem Zwischenbericht die Tatsache nicht erwähnt habe, dass die Flutmassen den angenommenen Hochwasserrisikowert um ein Vielfaches überschritten hätten. Zudem falle auf, dass der Kriminalhauptkommissar sich nicht auf den Grubenpächter RBS fokussiere, sondern auch auf den einstigen Feind, den Mutterkonzern RWE Power AG.

Um ein faires Strafverfahren zu garantieren, forderten die Anwälte den zuständigen Oberstaatsanwalt Christoph Nießen auf, den polizeilichen Ermittlungsleiter abzulösen.

Verteidiger des Grubeneigners hält Kommissar für befangen

Der Verteidiger des mitbeschuldigten Grubeneigners, der die Anlage im Jahr 2016 an die RWE-Tochter verpachtete, hielt den Hauptkommissar in einem Schriftsatz ebenfalls für „befangen“. Anwalt Martin Bücher legte nahe, dass der EG-Leiter versucht haben soll, mit der Untersuchung des Falles beauftragte Gutachter durch fragwürdige Einschätzungen und Fotos zu manipulieren. Gegenüber dieser Zeitung wollte sich der Anwalt nicht dazu äußern.

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Staatsanwaltschaft und Polizei wiesen auf Anfrage die Vorwürfe zurück: Der RWE-Rechtsstreit in der Vergangenheit sei im Präsidium bekannt gewesen, hieß es. „Die Frage der objektiven Ermittlungsführung wurde auch mit der Staatsanwaltschaft, der die kompletten Umstände im Übrigen bekannt sind, erörtert“, führte ein Polizeisprecher aus. Bislang habe es nicht die geringsten Hinweise gegeben, „dass die Ermittlungstätigkeit von Kriminalhauptkommissar Pütz nicht objektiv ist“.

Durch die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens sei der Sachverhalt im Ermittlungsverfahren umfassend geprüft worden, ergänzte deren Behördensprecher. Zudem hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die durch Pütz „vorgenommenen Ermittlungshandlungen nicht an objektiven Gesichtspunkten orientiert waren und sind“. Insofern habe kein Anlass bestanden, „beim Polizeipräsidium Köln auf eine Abberufung hinzuwirken.“

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