Immer mehr KundenEhrenamtler in Rhein-Siegs Tafeln arbeiten am Limit

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Einen stetig wachsenden Zustrom von Menschen verzeichnet auch die Troisdorfer Tafel. 

Rhein-Sieg-Kreis – Um Lebensmittel zu retten und Menschen in Not zu unterstützen,  wurden die Tafeln einst gegründet. Heute läuft nichts mehr ohne sie, und die mehrheitlich ehrenamtlichen Teams wissen oft nicht mehr, wie sie den Ansturm bewältigen sollen. Ein Überblick.

Eitorf

„Ich komme nur heute“ – das hört Paul Hüsson immer wieder, wenn er die Ausgabestelle der Tafel öffnet. Knapp hat das Geld bei geringen Renten oder prekären Beschäftigungsverhältnissen bisher ausgereicht, nun geht es nicht mehr. „Sehr schambehaftet“ sei das Thema. Und so geben Hüsson und sein Team nicht nur Lebensmittel aus, sondern auch die klare Ansage: „Ihr könnt nichts dafür, und ihr nehmt niemandem etwas weg.“

Lange habe man gezögert, erst vor kurzem die versetzte Ausgabe eingeführt: Dadurch, dass je Ausgabetag nur noch die Hälfte der Kunden komme, sei die Lage entzerrt. Die Fahrradwerkstatt macht allerdings Sommerpause bis zum 15. August .

Entlastung durch das Neun-Euro-Ticket

„Wie Weihnachten und Ostern“ sei die Einführung des Neun-Euro-Tickets für viele Tafelkunden gewesen, hat Hüsson erfahren; für die Teilhabe finanziell schlecht gestellter Menschen bedeute das eine Menge. Stark gefragt waren die Gutscheine für Lernmittel, die Eitorfer Schulkinder bekommen können: 30 Schülerinnen und Schüler erhielten die Unterstützung, ein Plus von 50 Prozent.

Lohmar

Am 20. oder 25. eines Monats ist das Portemonnaie leer. „Das höre ich immer öfter“, berichtet Tafelleiter Manfred Kauschke. Immer wieder erkundigten sich Menschen nach den Voraussetzungen für einen Tafelausweis. Andere, die bislang nur zu Sonderaktionen wie an Weihnachten kamen, sind jetzt regelmäßig da, wenn die Ausgabestelle an der Kirchstraße geöffnet hat. Dort verzichtet man derzeit auf das Erheben des bislang üblichen Obolus: Einen Euro zahlten Paare und Familien mit Kindern, Einzelpersonen 50 Cent.

Auch die Zahl ukrainischer Flüchtlinge nimmt zu, „im wesentlichen Frauen mit Kindern oder alte Menschen“. 160 bis 165 Lebensmitteltüten geben Kauschke und das übrige ehrenamtliche Team Woche für Woche aus, er freut sich über die hohe Spendenbereitschaft. „Wir sind die einzige Tafel, die noch wöchentlich alle Kunden bedient“, sagt Kauschke. Aber: „Wir laufen am Limit.“ Daher benötige das Team nicht nur mehr Lebensmittel, sondern auch Helfer.

Sankt Augustin

Die Gesamtzahl der Kunden hat sich bei 1200 eingependelt. Aber auch Koordinatorin Barbara Helmich erlebt nach eigenen Angaben, wie Inflation und hohe Energiekosten immer weitere Kreise der Gesellschaft zur Tafel bringen: Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose und Alleinerziehende. Bereits im Mai hatte das Team reagiert; nur noch alle zwei Wochen erhalten die Kunden Lebensmittel.

Großen Unmut habe es darüber nicht gegeben, sagt Barbara Helmich: Auch wenn es insgesamt weniger sei, was jeder und jede bekomme, so sei es doch „ein besseres Gefühl, mit einer vollen Tasche wegzugehen“. Was im Mai als befristete Maßnahme galt, werde nun mindestens bis September fortgesetzt, auch wenn „unsere Spendenaufrufe gefruchtet haben“.

Und das nicht nur am Abgabetag, dem Montag. Manchmal kommen Spenden auch kurz vor der Ausgabe am Dienstag oder Mittwoch. „Dann“, berichtet die Koordinatorin erfreut, „können wir auch mal 50 Liter frische Milch verteilen.“

Troisdorf

An der Grenze sieht auch Regina Lunetta, die Koordinatorin der Tafel in Troisdorf, ihr Team. „Wie lange wir das gehalten kriegen, weiß ich nicht.“ Waren es vor einem Jahr noch 500 Ausweisinhaber und 1200 Personen, die bedient wurden, so waren es am Mittwoch 665 Ausweise und 2047 Personen, darunter 637 Kinder.

„Es rufen viel mehr Leute an und erkundigen sich, wie sie einen Tafelausweis bekommen“, berichtet Lunetta, seit 20 Jahren erst ehrenamtliche und inzwischen beim Träger SKM angestellte hauptamtliche Koordinatorin. Tatsächlich hat sie mit ihrem Team, rund 50 Personen in der Ausgabe und als Fahrer, bereits über einen Aufnahmestopp gesprochen. Noch aber wollten die Ehrenamtlichen niemanden abweisen.

Viele fürchten sich vor der Gasrechnung

Hauptgrund für die meisten neuen Kunden sei natürlich der Anstieg der Preise. „Die haben’s bisher noch geschafft“, jetzt aber nicht mehr. Viele fürchteten sich auch jetzt schon vor weiteren Gaspreiserhöhungen. Dann, so Lunetta, „wissen sie gar nicht mehr, wie sie zurecht kommen sollen“.

Niederkassel

Auch bei der Initiative „Tischlein deck Dich“ ist die Nachfrage nach Lebensmittelspenden angesichts hoher Preise gestiegen. Das seien in wachsender Zahl Geflüchtete aus der Ukraine, schildert Hannelore Mertens, die die Tafel vor 20 Jahren mit ins Leben gerufen hat. „Es kommen aber auch immer öfter Leute, die früher schon einmal unsere Hilfe in Anspruch genommen haben, dann aber jahrelang nicht mehr gekommen sind.“

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Das hat Folgen. „In Mondorf mussten wir die Menschen, die zu uns kommen, jetzt auf zwei Gruppen aufteilen“, sagt Mertens. „Die Konsequenz ist, dass sie ihre Lebensmittelpakete nicht mehr wöchentlich bekommen, sondern nur noch alle zwei Wochen.“

Weniger Ware aus Supermärkten

Allerdings wachse die Menge der gespendeten Lebensmittel nicht in gleichem Maß wie die Zahl der Bedürftigen. „Die Spendenbereitschaft von Privatleuten ist nach wie vor groß“, betont Mertens. Das Problem seien Supermärkte und Discounter. Die Folge: Seit Jahren gibt es keine Frischwaren wie Milchprodukte, Fleisch, Obst und Gemüse mehr.

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