Sitzungskultur im Umbruch?Büttenredner stoßen in Köln und der Region immer wieder auf Desinteresse

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In einem Saal brodelt bei einer Karnevalssitzung die Stimmung.

Wenn im Saal die Stimmung brodelt, haben es Redner oft schwer – und die aufmerksamen Zuhörer ebenso. (Symbolbild)

In Sitzungen fehlt den Rednern nach Musik-Acts oft die Aufmerksamkeit des Publikums. Wie Karnevalsprofi Wicky Junggeburth solche Situation erlebt.

Die Mischung macht’s, das war jahrzehntelang die Devise der großen Prunksitzung, Jung und Alt lachten und schunkelten gemeinsam. Die Tanzgarden begeisterten mit Temperament und rasanten Choreographien, Redner mit scharfem Witz, Bands mit einer großen Spannbreite zwischen Ballermann-Schlager und Kölsch-Rock.

Doch heute stehen Büttenredner immer wieder vor einem desinteressierten Publikum. Besucher quatschen dazwischen, Sitzungspräsidenten müssen zur Ruhe rufen, die Stimmung ist dahin – zumindest, bis die nächste Band ihre Verstärkeranlage auf die Bühne schleppt und aufdreht. Ist die Sitzungskultur im Umbruch?

Volker Weininger weist auf Rolle der Sitzungspräsidenten hin

„Wir beobachten ja schon länger den Trend zu weniger Redebeiträgen“, berichtet Volker Weininger. Das sei aber vielfach eine Frage, wie sich die Vereine im Laufe der Jahre ihr Publikum erzogen hätten.

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„Es gibt Sitzungen, da ist es tadellos möglich, zu jeder Uhrzeit aufzutreten. Bei manchen Veranstaltungen weiß ich generell, dass es schwierig wird.“ Wer um null Uhr im Kölner Gürzenich auftrete, müsse sich darüber im Klaren sein, dass das Publikum nach fünf Stunden nicht mehr das höchste Energielevel erklimmen könne.

Weininger, der als Sitzungspräsident in der Region erfolgreich unterwegs ist, hat seine Wurzeln in Windeck. Fünf Redner pro Sitzung seien damals die Regel gewesen. Der Dorfkarneval verfüge heute leider kaum noch über eigene Kräfte, die in den Sitzungen aufträten. Generell gelte, dass „der echte Sitzungspräsident seine Rolle ernst nehmen muss. Ein guter Leiter schafft es, die Leute nach zwei Musikstücken wieder runterzuholen und für Aufmerksamkeit und Ruhe zu sorgen“.

Weininger weist auf die Nischenformate im jecken Treiben hin. Nostalgie-, Flüster- und Redenkarneval pflegten bewusst die Elemente, die eine wachsende Zahl an Fans mobilisieren könnten.

Das Geschäft für Büttenredner ist mit den Jahren schwerer geworden

Karnevalsprofi und aufmerksamer Beobachter der Szene ist Wicky Junggeburth. Vor 30 Jahren textete er als Prinz im Kölner Dreigestirn seinen eigenen Hit „Eimol Prinz zo sin“ und begann seine Bühnenkarriere. Für diese Session ist er ausgebucht. Leichter ist das Geschäft nicht geworden, wie der 71-Jährige, der in Lohmar-Honrath wohnt, im Gespräch klarmacht.

„Auf einer Partysitzung, auf der gerade Brings oder Kasalla gespielt hat, ist es für einen Redner schwer, sich durchzusetzen“, hat er beobachtet, und im schlimmsten Fall interessiere „dann niemanden, was da vorne passiert“. Entsprechend hat er einen Tipp für Karnevalsgesellschaften: Diese sollten „ganz klar offenlegen, was im Programm passiert“. Auch, weil es einen Unterschied zwischen einem jungen Publikum und einem ab 50 Jahre aufwärts gebe. 

Bei der Musik macht er mehrere Sprünge aus: Bis 1970 sei diese noch relativ „piefig“ gewesen, dann aber seien die Bläck Fööss gekommen, mit Brings der Rock und 2010 mit Kasalla und Cat Ballou die „Jungen Wilden“. Das sei auch in Ordnung so, der Karneval habe sich nun mal entwickelt und finde zum Glück auch ein junges Publikum.

Trotzdem: Er selbst möge nun mal den „gemütvollen Karneval“. Den finde er auch noch: Bei kleineren Sitzungen, von Gemeinden und in Kneipen, oder seinem eigenen Programm in einem Brauhaus, mit dem er den Fastelovend der Nachkriegszeit pflegt. „Ich gehe dahin, wo ich verstanden werde“, und das ist auch   eine Frage der Sprache: Immer weniger Menschen verstünden echtes Kölsch.

Sitzungspräsident: „Applaus für Brings einfordern kann jeder“

Torsten Sterzel leitete vor 2004 seine erste Sitzung bei den Troisdorfer Altstädtern, eine richtige „Komplettentgleisung im Publikum“ habe er zum Glück noch nicht erlebt. Nur einmal sei es bei einem Redner zu laut im Publikum gewesen, und er habe gemahnt:  „Hier im Saal sind viele, die gerne zuhören möchten“, die anderen sollten doch lieber hinausgehen– und genau dafür habe er Beifall bekommen. Ein Sitzungspräsident müsse mit solchen Situationen zurechtkommen. „Applaus für Brings einfordern kann jeder.“

Das Thema beschäftige die KG derzeit allerdings, vor allem die Frage, ob gemischte Sitzungen mit der klassischen Mischung Tanz, Musik, Rede, überhaupt noch eine Zukunft hätten. „In den vergangenen Jahren hat sich viel geändert, wir haben auch schon überlegt, ob wir eine Flüstersitzung anbieten sollen.“ Zu denken gebe ihm, dass sich die aktuelle Prunksitzung nur schleppend verkauft habe – um am Ende allerdings doch noch ausgebucht zu sein.

Prinzipiell sei die Herrensitzung der Altstädter eher reden-, die Damensitzung musikbetont. Beide Formate hätten sich gut verkauft. Dass es eines Tages reine Party- und Rednersitzungen geben könnte, damit täten sich die Altstädter schwer. „Aber vielleicht muss man es akzeptieren.“

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