„Müssen reagieren“Verletzte bei TikTok-Challenge in Siegburg – Warnung vor gefährlichem Trend

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Rettungswagen der Feuerwehr bei einem Polizeieinsatz.

Es gibt immer wieder Rettungseinsätze aufgrund von TikTok-Challenges. (Symbolfoto)

Die Vorfälle an Schulen im Zusammenhang mit TikTok-Challenges nehmen dramatisch zu. Experten warnen.

„Es ist leider so, dass wir uns immer häufiger mit TikTok-Challenges beschäftigen müssen. Wir erkennen eine deutliche Häufung in den vergangenen Monaten“, berichtet Andreas Bartsch, Präsident des Nordrhein-Westfälischen Lehrerverbands (NRWL), im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch das NRW-Innenministerium warnt vor den Gefahren.

Die Liste von Vorfällen an Schulen, verursacht durch TikTok-Challenges, ist lang – und sie wird immer länger. An der Gesamtschule Euskirchen wurden 15 Schüler bei einer sogenannten Hot-Chip-Challenge verletzt, in Berlin ist eine Schülerin bei einer „Blackout“-Challenge kollabiert. Die „Deo“-Challenge kostete Ende 2023 einem Jugendlichen aus Coesfeld sogar das Leben.

Lehrerverband NRW zu TikTok-Challenges: „Muss hart drauf reagiert werden“

Zu einem der jüngsten Fälle in NRW ist es an einer Siegburger Realschule gekommen. Beim sogenannten „Pilotentest“ verloren zwei Schülerinnen der fünften Klasse ihr Bewusstsein. Eins der Mädchen musste im Krankenhaus behandelt werden.

Genaue Zahlen über die Häufigkeit von TikTok-Challenges an den Schulen in NRW lagen dem Innenministerium nicht vor. Ein solches Monitoring sei aber in Planung, weil die Vorfälle merklich weiter zugenommen hätten, so der Lehrerverband. „Klar ist, da muss hart drauf reagiert werden. Und mit Konsequenz“, erklärt Bartsch.

TikTok-Challenges bringen neue Dimension ins Spiel

Auch das Phänomen Mobbing im Netz sei zu Beginn zu sehr unterschätzt worden. Ein Fehler, den man in Sachen TikTok-Challenges vermeiden wolle. „Gerade auf die Öffentlichkeit bei TikTok-Challenges und die Gefahr, dass Videos von den Fehltritten der Kinder theoretisch für immer online zu sehen sind, müssen wir stärker eingehen und reagieren“, so der NRWL-Präsident.

Mutproben hat es vielleicht schon immer gegeben, auch an Schulen. Doch die Verbreitung über die sozialen Netzwerke bringt eine neue Dimension mit sich, vor der auch die Landesmedienanstalt NRW warnt. Einer Studie der Behörde aus dem Februar 2024 zufolge, sind mehr als 60 Prozent der minderjährigen TikTok-Nutzer in Deutschland auf der Plattform regelmäßig auf Inhalte gestoßen, die bei ihnen Unwohlsein verursachen.

TikTok-Challenges zu 30 Prozent potenziell schädlich

Die Forscherinnen und Forscher der Landesmedienanstalt NRW werteten auch mehr als 2500 TikTok-Videos aus. Mit dem Ergebnis, dass etwa 30 Prozent der Challenges potenziell schädlich, 1 Prozent sogar potenziell tödlich seien.

Bartsch sieht eine gefährliche Entwicklung, die sich noch steigern könnte: „Durch die TikTok-Challenges haben solche Mutproben, die man vielleicht auch von früher kennt, deutlich zugenommen. Und viele Dinge brodeln wohl auch noch unter der Decke, da ja nur die Extremfälle kommuniziert werden.“

Landeskriminalamt NRW: Die Kinder machen sich gleichzeitig strafbar

Auch die Polizei erkennt in den online verbreiteten Challenges eine neue Gefahr im Vergleich zu herkömmlichen Mutproben. „Der Unterschied liegt im Wesentlichen darin, dass innerhalb kürzester Zeit eine sehr hohe Anzahl von Personen erreicht werden kann, die ihre Teilnahme zudem digital dokumentiert und die Challenge somit schnell weiterverbreitet“, ordnet Maren Menke, Pressesprecherin beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein.

Neben den offensichtlichen Folgeschäden, körperlicher wie auch psychischer Natur, sind TikTok-Challenges meist auch strafrechtlich relevant. LKA-Pressesprecherin Menke fasst die Gefahren folgend zusammen:

  • Gefahr vor strafbaren Handlungen, zum Beispiel Mutproben/Online-Challenges, bei denen fremdes Eigentum zerstört werden soll und zur Begehung von Straftaten aufgefordert wird.
  • Nach § 111 StGB ist ein öffentlicher Aufruf zu Straftaten strafbar. Das Internet ist ein öffentlicher Raum. Wer hier zu Straftaten aufruft, macht sich ggf. strafbar.
  • Gefahr vor Selbstgefährdung, zum Beispiel Mutproben/Online-Challenges, die zur Erfüllung der Aufgabe zu riskantem und gesundheitsgefährdendem Verhalten führen, wie zum Beispiel zu selbstverletzendem Verhalten.
  • Das Versenden solcher Online-Challenges kann strafbar sein, wenn der Inhalt beispielsweise eine Gewaltandrohung gemäß § 241 StGB oder eine Anleitung zu Gewalt gemäß § 111 Absatz 2 StGB enthält.

Hinter TikTok-Challenges verbirgt sich ein gesamtgesellschaftliches Problem

Während die Gefahren der TikTok-Challenges klar auf der Hand zu liegen scheinen, stellt die Bekämpfung solcher Trends eine schwierige Problematik dar, der laut LKA NRW nur „interdisziplinär und gesamtgesellschaftlich“ begegnet werden kann. Menke: „Wie in der realen Welt gilt es, Kinder und Jugendliche auch im Internet vor Gefahren zu schützen, sie zu begleiten und ihnen eine gefahrlose Teilhabe zu ermöglichen.“

Auch der Präsident des Nordrhein-Westfälischen Lehrerverbands sieht ein strukturelles und gesamtgesellschaftliches Problem, auf welches Schulen nur einen bedingten Einfluss üben können. „Wir sehen auch insgesamt eine Zunahme an Gewalt unter Schülerinnen und Schülern“, so Bartsch. „Der Ton untereinander ist rauer geworden. Frühere Rangeleien enden immer häufiger blutig. Es ist allgemein auffällig, dass ein respektvoller Umgang untereinander und den Lehrkräften gegenüber nachzulassen scheint.“

Lehrerverband sieht grundsätzliche Probleme bei der Werteerziehung

Die Schulen würden zunehmend für solche erzieherischen Maßnahmen herangezogen. Doch eigentlich könne man die Eltern hier nicht aus der Pflicht nehmen, findet Bartsch. Die eigentliche Werteerziehung im Umgang miteinander, Gerechtigkeit, lerne man in der Familie. „Doch da habe ich immer mehr den Eindruck, dass man die Schüler da nicht mehr zu Hause abholen kann.“

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