„Es werden viele traumatisierte Kinder kommen“Bundestagspräsidentin Bas im Interview

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Bundestagspräsidentin Bärbel Bas

Zum Interview treffen wir Bundestagspräsident Bärbel Bas in ihrem Wahlkreisbüro in Duisburg. Es liegt in einer bescheidenen Wohngegend mit einfachen Mehrfamilienhäusern und den im Ruhrgebiet typischen Trinkhallen. Hier ist man mächtig stolz, dass eine aus dem Viertel nun das zweithöchste Amt im Staat bekleidet. Die Sozialdemokratin Bas ist trotz der neuen Rolle in Berlin noch oft vor Ort.

Mit Putins Invasion kamen aus der Ukraine etliche Bilder von Familienvätern, die sich von Frauen und Kindern verabschieden mussten, um in den Kampf zu ziehen. Sind wir im Krieg hilflos zurückgeworfen auf archaische Rollen?

Bas: Wenn man diese Bilder sieht, fällt es schwer, einen internationalen Frauentag zu feiern. Ein solcher Krieg wirft die Gesellschaft in vielen Errungenschaften für Frauen zurück. Plötzlich sind Frauen und Kinder ohne die Väter auf der Flucht, Mütter haben Angst um ihre Söhne. Und gleichzeitig gibt es Frauen, die sich bewaffnen und selbst in den Krieg ziehen.

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17 Prozent der Soldaten in der Ukraine sind weiblich...

Dass Männer und Frauen in den Krieg ziehen müssen, um ihre Familien zu schützen, ist ein grausamer Zustand.

Es sind überwiegend Frauen und Kinder, die nun aus der Ukraine in die EU fliehen. Wie sollte sich Deutschland auf diese Flüchtlinge einstellen?

Wir müssen uns darauf einstellen, dass viele traumatisierte Kinder kommen. Die Bundesregierung muss die Ankunft Hunderttausender Flüchtlinge gemeinsam mit den Kommunen vorbereiten, damit die Menschen, die nun fliehen müssen, gut aufgenommen werden können. Vor Ort sollte gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden Ablenkung und gute Betreuung für die Kinder organisiert werden. Viele der Frauen wollen sicher auch hier irgendwie weiterarbeiten, um für sich und die Kinder ein Stück Normalität zu schaffen.

Welche Fehler kann man vermeiden, die man 2015 und in den darauf folgenden Jahren gemacht hat?

Bas Das ist eine ganz andere Situation. Ich denke, wir sind heute besser vorbereitet. Viele Kommunen sind bereits dabei, Infrastruktur und Aufnahmeeinrichtungen für die Ankunft der Menschen zu schaffen. Für die Kommunen ist es wichtig, dass sie aber auch auf der langen Strecke nicht alleine gelassen werden. Das ist bei der Ankunft der Flüchtlinge aus dem Syrien-Krieg nicht gelungen. Diesen Fehler sollten wir nicht wiederholen.

Stimmen Sie der These zu, dass wenn mehr Frauen auf der Welt wirklich Macht hätten, es auch weniger Kriege gäbe?

Es wird ja belächelt, wenn man über eine weibliche Außenpolitik spricht...

Am 8. März darf man das...

Man darf es und man muss es das ganze Jahr über tun. Wenn Frauen international mitreden, dann fließt in die Überlegungen auch ein, was politische Entscheidungen für Familien und für Kinder bedeuten. Das kann nur gut und richtig sein. Umgekehrt habe ich gerade noch das Bild der Münchner Sicherheitskonferenz im Kopf, bei der 35 Unternehmensführer an einem Tisch saßen - nur Männer.

Die Herren hatten Humor: Sie saßen unter einer Glasdecke...

Eigentlich hätten sie gleich auch noch eine Glasdecke unter sich haben müssen. Es ist in der internationalen Politik wie im Berufsleben: Nur gemischte Teams sorgen für unterschiedliche Sichtweisen. Deshalb ist es eine relevante Frage, in welchen Konstellationen internationale Entscheidungen getroffen werden. Wenn ich Botschafterinnen und Parlamentspräsidentinnen treffe, verlaufen die Gespräche anders, als wenn ich nur männliche Gesprächspartner habe. Frauen tun der Außenpolitik gut, auch um Kriege zu verhindern.

Bei der Sondersitzung im Bundestag haben Sie gesagt: „Wir konnten diesen Krieg kommen sehen, verhindern konnten wir ihn nicht.“ Was können wir nun tun, um seine Folgen zu lindern und eine Ausweitung zu verhindern?

Wichtig ist in der aktuellen Lage vor allem die humanitäre Hilfe. Wir dürfen diplomatisch nichts unversucht lassen, eine Waffenruhe hinzubekommen, damit nicht weiter Menschen sterben und hoffentlich verhandelt werden kann. So schwer das ist, wenn auf der anderen Seite jemand sitzt, der mit dem Finger am Atomknopf droht. Es ist auch richtig, dass wir jetzt Waffen liefern. Die Ukraine braucht Unterstützung.

Zudem gilt, was Olaf Scholz gesagt hat, dass wir die Bundeswehr viel besser ausstatten müssen. Vielleicht waren wir naiv, dass wir uns diesen Krieg nicht vorstellen konnten. Es ist grausam, dass wir nun zuschauen müssen. Aber die Nato darf nicht in diesen Konflikt hineingezogen werden. Wenn wir dem Wunsch der Ukraine nach einem Eingreifen der NATO- nachkommen, könnte das in einen Weltkrieg münden.

Der Bundeskanzler spricht von einer Zeitenwende. Wie wird sich die für das Parlament auswirken?

Was Scholz in seiner Regierungserklärung angekündigt hat, wird das Parlament diskutieren und in geeignete Beschlüsse umsetzen. Wir müssen darüber Debatten führen, damit die Menschen unsere Entscheidungen nachvollziehen können.

Wenn man der Bundeswehr nur mehr Geld gibt, ist ihr noch nicht geholfen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass das Geld zielgerichtet eingesetzt wird?

Die Form des Sondervermögens ist ein zentraler Punkt. Mit dem Sondervermögen verfallen die noch nicht ausgegebenen Finanzmittel nicht am Ende des Jahres. Es kann in Ruhe abgewogen werden, wo welches Geld eingesetzt wird. Natürlich kann es nicht sein, dass sich Soldaten Stiefel oder Funkgeräte selbst kaufen müssen. Es geht also nicht einfach um Aufrüstung, sondern um eine moderne Parlamentsarmee, die im Zweifel auch im Bündnisfall ihre Aufgaben erfüllen kann.

Wir alle hoffen, dass der Krieg bald endet. Unabhängig davon muss die Bundeswehr gut ausgestattet sein. Sonst kann das Parlament es nicht verantworten, junge Soldatinnen und Soldaten in Einsätze zu entsenden. Das Parlament wird da sehr genau hinschauen. Wichtig ist aber auch: Wir dürfen nicht den Rotstift an wichtige Zukunftsvorhaben ansetzen. Wir brauchen Investitionen in die ökologische Transformation, den sozialen Zusammenhalt und die Modernisierung unseres Landes.

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In Zeiten wie diesen besteht die Gefahr, dass Themen wie Frauenrechte und Parität als zweitrangig abgestempelt werden. Können Sie in dieser Wahlperiode dennoch einen entscheidenden Schritt in Richtung Gleichberechtigung und Gleichstellung vorankommen?

Der Koalitionsvertrag ist darauf angelegt, dass wir weiterkommen. Zurzeit werden gesetzliche Frauenquoten gerade bis zur vorgegebenen Mindestgrenze erfüllt, aber nicht darüber hinaus. Das ärgert mich. Es muss klar werden, dass wir Parität im Arbeitsleben brauchen, aber genauso bei Betreuungsaufgaben oder beim Einkommen. Da ist überall noch Luft nach oben.

Woran liegt es?

Das hat etwas mit Führungskultur zu tun. Wenn Männer über wichtige Posten entscheiden, dann werden es Männer. Man sucht nur dann gezielt nach Frauen, wenn die Quote dazu verpflichtet. Das ist die bittere Wahrheit.

Wie sieht es in Ihrer Bundestagsverwaltung aus - können Sie da zufrieden sein mit Frauen in Führungspositionen?

Ich bin dabei, mir einen genaueren Überblick zu verschaffen. Das Bild ist – je nach Laufbahngruppe, wie es im schönsten Amtsdeutsch heißt – nicht einheitlich. Es gibt Führungsebenen, da kann ich mit dem Frauenanteil nicht zufrieden sein. Auch in der Bundestagsverwaltung ist es für Frauen nach wie vor nicht leicht, in höhere Führungspositionen zu kommen.

Zentral für eine Beamten-Karriere sind die Beurteilungen. Da stellt sich die Frage, ob die immer gerecht sind. Haben Frauen Nachteile, wenn sie in Teilzeit arbeiten oder weil ihnen grundsätzlich weniger zugetraut wird? Wir haben einen Gleichstellungsplan, aber der scheint sein Ziel bisher noch nicht zu erreichen. Daran müssen wir weiterarbeiten.

Sehen Sie aktuell eigentlich einen Rückschritt beim Thema Gleichberechtigung? Während der Corona-Zeit gab es viele Klagen, dass die Vereinbarkeit von Betreuung, Homeschooling und Homeoffice vor allem an den Frauen hängen blieb.

In der Pandemie gab es diesen Rückschritt. Und leider ist die Wahrheit doch immer noch: Frauen verdienen weniger, sie sind häufiger in Teilzeit, sie haben niedrigere Renten. Sie erledigen viel mehr unbezahlte Arbeit im Haus und bei der Versorgung von Kindern und in der Pflege. Es zeigt sich, dass man beim Thema Geschlechtergerechtigkeit politisch und gesetzgeberisch ständig dranbleiben muss, sonst werden die Frauen wieder zurückgeworfen.

Wann wird endlich das Wahlrecht reformiert?

Für eine Wahlrechtsreform wird wieder eine Wahlrechtskommission gebildet. Anders als zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode liegen aber bereits alle Vorschläge für eine Verkleinerung des Bundestags auf dem Tisch. Die Kommission kann sich also direkt mit allen vorliegenden Modellen befassen.

Es soll also jetzt schnell gehen?

Ich erwarte, dass die Kommission im März oder April eingesetzt wird und dass es Ende des Jahres hoffentlich einen geeinten Vorschlag für eine Wahlrechtsreform gibt, über den das Parlament Anfang 2023 abstimmen kann. Denn wenn das Thema zu nah an die Wahl 2025 rutscht, werden wir wie in den beiden vergangenen Legislaturperioden scheitern.

Dann stellt sich wieder das bekannte Problem, dass man nicht die Frösche fragen sollte, wenn man einen Sumpf trocken legen möchte...

Mein Wunsch wäre es, dass es gelingt, die Oppositionsparteien mit ins Boot holen und einen breiten Konsens für eine Wahlrechtsänderung zu bekommen. Alle müssen da Abstriche machen, in der Diskussion wird es sicher auch um eine Reduzierung der Wahlkreise gehen. Alle Parteien spüren den berechtigten Druck der Bürgerinnen und Bürgern, die sagen: Dieser Bundestag darf nicht noch größer werden. Mir ist die Kalkulierbarkeit wichtig, ich finde, die Wählerinnen und Wähler haben ein Recht darauf vor der Wahl zu wissen, wie viele Abgeordnete anschließend im Parlament sitzen.

Stimmt der Eindruck, dass mit dem Einzug der AfD ins Parlament, auch der verbale Sexismus zugenommen hat?

Wenn wir als Mitglieder des Präsidiums entsprechende Bemerkungen im Plenarsaalhören, schreiten wir sofort ein. Bisher hatten wir keine Vorfälle, die zu einer Anzeige geführt haben. Aber der Ton ist insgesamt rauer geworden. Anzüglichkeiten werden oft so geschickt verpackt, dass Bilder im Raum stehen, ohne dass man die Zitate wirklich ahnden kann.

Was ist Ihre Strategie, das Parlament im Griff zu behalten?

Ich war ja schon sechs Jahre Parlamentarische Geschäftsführerin - die Erfahrung hilft mir sehr. Was auch hilft: Nerven behalten, nicht hektisch werden und auch mal streng in die Reihen gucken. Und natürlich: konsequent sein. Im Zweifelsfall bin ich bereit, auch durchzugreifen bis hin zu einem Ordnungsgeld. 1000 Euro für eine Beschimpfung sind schon teuer.

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