„Russland haushoch überlegen“Ex-Generäle zu russischer Offensive in der Ostukraine

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Luftbild Charkiw 1904

Charkiw: Zerstörte russische Militärfahrzeuge, die auf einer gesprengten Brücke in der Region Charkiw stehen. (Symbolbild)

Die russische Offensive in der Ostukraine hat begonnen - und damit wohl auch die zweite Phase des Krieges. Ukrainischen Medienberichten zufolge gab es entlang der Frontlinie in der östlichen Region Donezk offenbar mehrere, zum Teil heftige Explosionen. „Es passiert genau das, was seit zwei Wochen vorhergesagt wird“, erklärte der Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse am Dienstag gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Der neue Oberbefehlshaber Alexander Dwornikow habe alle Kräfte zusammengefasst und konzentriere sich nun auf die Region Donbass. „Ich behaupte aber, dass der Donbass nicht das Ende ist, Russland sich weiter in Richtung Dnipro orientieren könnte“, befürchtet der ehemalige Nato-General.

Ehemaliger Berater von Angela Merkel: Dombass soll nachhaltig besetzt werden

Ähnlich sieht es auch der ehemalige Brigadegeneral und militärpolitische Berater von Angela Merkel, Erich Vad. „Nach dem weitestgehenden Abzug der russischen Truppen aus Kiew steht ein Regimewechsel in der Ukraine für Russland nicht mehr ganz oben auf dem Programm“, so Vad. Stattdessen solle der Donbass nachhaltig besetzt werden.

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„Das ist aus russischer Sicht das Ziel für die kommenden Wochen.“ Wenn es gelinge, die Kämpfer in der Ostukraine einzukesseln und das Gebiet komplett zu besetzen, habe Putin seine Ziele, bis auf die Hauptstadt Kiew, weitestgehend erreicht.

Möglicher Ausgangspunkt für Verhandlungen?

Sollte es soweit kommen, könne dies laut Vad ein guter Ausgangspunkt für Verhandlungen sein. „Die Ukrainer haben sich tapfer gewehrt und ihre Hauptstadt verteidigt, aber auch Russland hatte seine Erfolge.“ Generell wünscht sich Vad, ähnlich wie nach der Krim, dass die europäischen Länder einen politischen und diplomatischen Prozess in Gang setzten. „Ein langer Krieg in Europa ist nicht nur für die Ukraine, sondern für alle Europäer schlecht.“

Beide Experten sehen dabei den 9. Mai, den „Tag des Sieges“ in Russland, von wichtiger Bedeutung. „Der Oberbefehlshaber kämpft gegen die ukrainischen Kräfte und die Zeit“, weiß Hans-Lothar Domröse. Denn bis zum 9. Mai müsse Russland mindestens den Donbass besetzt und darüber etwas erreicht haben. „Möglicherweise ist es die Stadt Charkiw. Im schlimmsten Fall zielt Putin sogar auf Odessa ab“, tippt Domröse.

Kriegsende noch nicht in Sicht

An ein Kriegsende mit dem 9. Mai glaubt der Ex-General allerdings nicht. „Es könnte aber vielleicht eine humanitäre Waffenpause geben. Für Flüchtlingskorridore, Gefangenenaustausch oder die Versorgung von Verletzten“, so Domröse.

Insgesamt werde die Verteidigung der Ostukraine für die Streitkräfte allerdings eine schwierige Mission. „Generell müsste Russland in der Ostukraine haushoch überlegen sein, zumal sie dort ein offenes Gelände vorfinden“, betont Vad.

Die Ukrainer seien nicht in der Lage, im Duell Panzer gegen Panzer zu bestehen. „Die Ukrainer haben die Ausstattung nicht, bekommen sie so schnell auch nicht.“ Die Stärke der Ukrainer sei die Guerilla-Taktik und das Spiel auf Zeit. Zeit, die Russland auch mit Blick auf den 9. Mai nicht habe.

Schneller Vorstoß für Ukraine gefährlich

Ein schneller Angriff der Russen stelle daher eine große Gefahr dar, glaubt auch Domröse. „Die Sorge ist, dass sie zu stark unterlegen sind und mit einem schnellen russischen Vorstoß eingeschlossen werden.“ Er fürchte, dass die russische Übermacht zu groß sei. „Die Moral der ukrainischen Streitkräfte ist sicherlich hoch, aber ob sie genügende Ausstattung haben, ist die große Frage.“

Der Ex-Nato-General geht dabei davon aus, dass Oberbefehlshaber Dwornikow eine „Mulit-Domain Operation“ starten werde. „Russland wird zeitgleich Kiew und andere Städte bombardieren, in der Ostukraine vom Boden attackieren“, ist sich Domröse sicher.

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Somit würden auch die Raketenangriffe weitergehen. „Das muss man erwarten“, pflichtet Vad bei. „Bei den Raketenangriffen geht es auch um Nachschubwege und wichtige logistische Einrichtungen sowie militärische Infrastruktur und Waffenfabriken.“ Dennoch sei der Fokus der militärischen Operationen aber in der Ostukraine. „Man muss nun schauen, wie es in Mariupol weitergeht. Ich hoffe, dass dort ein großes Blutvergießen ausbleibt.“

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Doch was könnte aus russischer Sicht nach einer möglichen Einnahme des Donbass folgen? „Da die ganze Operation nicht nur auf ein Gebiet beschränkt ist, könnte Russland darauf abzielen, die ganze Schwarzmeerküste unter Kontrolle zu bekommen“, glaubt Domröse. Russland könnte das Land dann letztlich in West- und Ostukraine unterteilen. „Das gesamte Land zu unterwerfen, kann ich mich allerdings nicht vorstellen.“ 

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