8.000 unbesetzte StellenProblem Lehrkräftemangel: Seiteneinstieg soll einfacher werden

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Eine Lehrerin schreibt auf ein Whiteboard in einer Grundschule das Wort Lehrermangel. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) stellt am Mittwoch im Fachausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags ein Handlungskonzept zur Unterrichtsversorgung vor.

Lehrermangel - auch für NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) ihr derzeit größtes Problem. Sie stellte nun ihr „Handlungskonzept Unterrichtsversorgung" vor.

Viel Unterrichtsausfall, wenig Förderangebote: Viele Lehrerstellen sind in NRW nicht besetzt. Was Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) dagegen tun will.

Wie in ganz Deutschland fehlen auch in Nordrhein-Westfalen Lehrkräfte in großer Zahl. 8000 Stellen seien in NRW nicht besetzt - diese Zahl nennt Dorothee Feller (CDU), seit diesem Sommer Bildungsministerin in Düsseldorf. Die Folge sind Unterrichtsausfall, größere Lerngruppen, weniger Förderangebote, Kürzung der Stundentafel - all das sei „an der Tagesordnung“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE).

Die Situation, Stellen mit voll ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen, habe sich im Vergleich zum Vorjahr noch einmal deutlich verschärft, stellt die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, fest.

Das weiß auch Dorothee Feller. Offene Stellen mit sogenannten grundständig ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen, ist zwar ihr Ziel, wie sie in der jüngsten Sitzung des Schulausschusses im NRW-Landtag am Mittwoch bekräftigte. Doch bis diese Fachkräfte in ausreichender Zahl ihr Universitätsstudium abgeschlossen haben, vergeht Zeit – der Lehrkräftemangel aber ist akut. Deshalb legt Feller nun ihr „Handlungskonzept Unterrichtsversorgung“ vor, ein Paket mit Sofortmaßnahmen gegen das gravierendste Problem, das die Bildungspolitik derzeit beschäftigt.

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Das Paket fächert sich dreifach auf: Die NRW-Landesregierung aus CDU und Grünen will die Eckdaten für die Ausbildung und Einstellung von Lehrkräften günstiger gestalten. Sie will, dass der Beruf mehr Wertschätzung erfährt und zum Beispiel von Verwaltungsaufgaben entlastet wird. Und sie will das Dienstrecht ändern, was für die einzelne Lehrkraft etwa bedeutet, dass sie von einer gut ausgelasteten Schule für bis zu zwei Jahren an eine Schule versetzt werden kann, an der gerade Not herrscht.

Ausbildung

Feller will den Seiteneinstieg erleichtern. Wer über Berufserfahrung und einen Masterabschluss verfügt, soll sich zum Beispiel für die Grundschule fortbilden lassen können – wobei diese Ausbildung entweder in Mathematik oder Deutsch obligatorisch ist. Besser noch, man beherrscht beides. Und weil die Unterrichtsversorgung an Grundschulen am meisten leidet, soll auch Lehrkräften an Gymnasien und Gesamtschulen die Möglichkeit eröffnet werden, künftig in den Klassen eins bis vier zu unterrichten – eine Fortbildung in Grundschul-Pädagogik ist auch hier Pflicht.

Weitere Maßnahmen bestehen in einer Erhöhung bezahlter Praxisstunden für Lehramtsanwärter sowie ein erleichterter Zugang zum Lehramt für Bewerber aus Drittstaaten, für die die Sprachenbarriere abgesenkt werden soll.

Wertschätzung

Neben der Unterstützung bei Verwaltungsaufgaben sieht Fellers Konzept eine Reduzierung der Klassenarbeiten vor, um die Lehrkräfte zu entlasten. Vor allem aber soll flächendeckend eine Bezahlung nach A 13 eingeführt werden – das entspricht einem Einstiegsgehalt von deutlich mehr als 4000 Euro. Derzeit verdienen Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen weniger als die Kollegen an Gymnasien. Außerdem will Feller das Verfahren bei Gutachten etwa zur Feststellung für sonderpädagogischen Förderbedarf entschlacken und den Lehrkräften „Alltagshelfer“ an die Seite stellen.

Dienstrecht

Dass Lehrerinnen und Lehrer künftig an Schulen mit unterbesetztem Kollegium abgeordnet werden können, soll bereits bei der Neueinstellung vertraglich festgelegt werden können. Außerdem zielt Fellers Konzept auf eine Reduzierung von Teilzeitstellen, eine Entfristung von noch befristeten Verträgen und einen erweiterten Einsatzradius für Lehrkräfte: Wer nach einer Freistellung derzeit zurückkehrt, kann an einer bis zu 35 Kilometer entfernten Schule wiederbeschäftigt werden; dies soll sich auf 50 Kilometer erhöhen, um unterbesetzte Schulen besser berücksichtigen zu können.

Diese Schritte seien „Sondermaßnahmen“ zur möglichst raschen Linderung des Lehrkräftemangels, betont Feller; sie seien zunächst auf eine Frist zwischen zwei und fünf Jahren begrenzt.  Mehrarbeit von Lehrkräften, sogenannte Vorgriffsstunden, lehnte sie ausdrücklich ab – „derzeit“ jedenfalls.

„Die Hütte brennt, und die Ministerin kommt mit einem Eimer Wasser“, so bewertet der Bildungsexperte der SPD im Düsseldorfer Landtag, Jochen Ott, das Handlungskonzept. Zwar begrüße man die Maßnahmen zur Erleichterung des Seiteneinstiegs und zur Wertschätzung des Berufs, doch grundsätzlich verstärke sich der Eindruck, dass die Schulministerin die Dimension des Problems noch nicht erfasst habe, so Ott. Es gehe dabei nicht allein um fehlende Lehrkräfte, sondern auch um mangelnde Grundkompetenzen von Grundschülerinnen und -schülern, um fehlende Plätze im Offenen Ganztag, um die mentale Gesundheit von Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften sowie auch um Geld. NRW sei bei den Ausgaben für die Grundschule Schlusslicht unter den Bundesländern. „Die Architektur des Systems Schule gerät ins Wanken“, sagte Ott.

Positive Resonanz von FDP und Philologen

Deutlich positiver sieht die ebenfalls oppositionelle FDP Fellers Ideenkatalog. Für die Partei erklärte deren scheidender bildungspolitischer Sprecher Andreas Pinkwart, man begrüße die Maßnahmen, vermisse allerdings quantifizierbare Daten etwa zur Zahl der Studienanfänger und der Studienplätze.

Mit „Erleichterung“ nimmt der nordrhein-westfälische Philologenverband zur Kenntnis, dass Vorgriffsstunden zunächst kein Bestandteil des Handlungskonzepts  seien. Darüber hinaus berge das Paket der dienstlichen Maßnahmen Sorgenpotenzial. Abordnungen gegen den Willen einer Lehrkraft hält der Philologenverband für problematisch.

Dessen Landesvorsitzende Sabine Mistler erklärte: „Sie müssen vorrangig freiwillig und immer als Einzelfallentscheidung gesehen werden. Außerdem müssen immer die persönliche Situation und schulische Notwendigkeiten überprüft und mitgedacht werden.“ Der Verband sieht in dem vorgelegten Konzept Chancen, aber auch deutliche Risiken. Auch der Verband der Lehrer NRW bewertet geplante Maßnahmen wie die Abordnung kritisch. Dies sei ein fatales Signal. „Man gewinnt keine Lehrer, wenn man den Lehrerberuf unattraktiver macht“, erklärte der Vorsitzende Sven Christopher.


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