Geister, die wir riefenDie Schattenseite der Popularität des 1. FC Köln

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Fans des 1. FC Köln im Rheinenergie-Stadion. (Archivbild)

  • Eine Professionalisierung des Vereins ist bei einer derartigen Mitgliederzahl notwendig.
  • In der jüngeren Vergangenheit und besonders seit Beginn der Pandemie vermittelt der 1. FC Köln den Fans dabei aber ein Gefühl der Austauschbarkeit.
  • Langjährige Loyalität, vor allem in den vielen weniger guten Phasen des Vereins, können durch wirtschaftliche Potenz ausgestochen werden. Im Geschäft mit der Emotion ist kein Platz mehr für die Emotion.
  • Die Perspektive eines langjährigen FC-Fans.

Köln – Es ist Halbzeit im Müngersdorfer Stadion. In der Südkurve sitzen die Fans auf den Stufen. Es ist kühl und es regnet. Auf einer kleinen Bühne im Stadion-Innenraum spielen die Bläck Fööss. Sänger Tommy Engel kann sich eine kleine Spitze nicht verkneifen: „Das war ja bis jetzt nicht so toll. Übrigens, Fortuna hat gewonnen.“ Dem Lokalrivalen aus der Südstadt ist wenige Minuten zuvor der erste Auswärtssieg der noch jungen Saison in der 2. Bundesliga gelungen. Beim FC dagegen sind noch keine Tore gefallen und viele Anhänger diskutieren den bisher wenig erbaulichen Spielverlauf. Zwei junge Männer verfolgen ein anderes Thema. Sie ärgert die müde Atmosphäre auf den Rängen.

Die gut 23.000 Zuschauer stellen Anfang der 1990er Jahre gegen einen vermeintlich weniger attraktiven Gegner wie die SG Wattenscheid 09 zwar eine recht beachtliche Kulisse dar, doch die Stimmung ist ähnlich mau wie das Spiel.

Die beiden FC-Fans träumen von der berühmt-berüchtigten Atmosphäre, von der aus englischen Fußball-Stadien berichtet wird. Das Publikum ist dicht am Geschehen, viele Spiele sind ausverkauft. Die Gesänge der englischen Fans sind beinahe legendär. Ohne Dauerkarte gibt es angeblich keine Chance dabei zu sein. Ein Stadion englischer Prägung, ohne trennende Laufbahn. Das wäre was. Dauerkarten, die nur in der Familie weitergegeben werden. Unvorstellbar.

Nur ausverkauft, wenn die Bayern zu Gast sind

Wie traurig muten dagegen die Spiele in der Bundesliga an. Ausverkauft vermeldet der FC meist nur, wenn der FC Bayern zu Gast ist. Der Zuschauerschnitt wird am Saisonende 1991/92 bei knapp über 23.000 Fans pro Spiel liegen, und sogar gegen den Erzrivalen aus Mönchengladbach kommen nicht einmal 30.000 Zuschauer. Dabei ist der FC gar nicht so schlecht, beendet die Saison auf dem vierten Platz und qualifiziert sich für den Europapokal.

Knapp dreißig Jahre später sind die Luftschlösser der beiden FC-Fans Realität. Der 1. FC Köln hat mehr Mitglieder, als Plätze im inzwischen reinen Fußballstadion zur Verfügung stehen. Es gibt eine begrenzte Anzahl an Dauerkarten, die nur noch an direkte Verwandte vererbt werden können. Die Warteliste für die Saisontickets ist geschlossen, da kaum eine Aussicht besteht, je an die Reihe zu kommen. Die Atmosphäre im Rhein-Energie-Stadion, wie das Zuhause des FC inzwischen heißt, wird oft gerühmt. Nun möchte man meinen, die zwei inzwischen nicht mehr ganz so jungen Männer erfreuen sich an der Erfüllung ihrer Wünsche rund um die Spiele ihres 1. FC Köln. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Natürlich könnte man nun die beiden als ewige Nörgler abtun, als Waldorf und Statler unter den FC-Fans. Doch ganz so einfach ist es nicht.

FC-Fans haben hohes Maß an Leidensfähigkeit entwickeln müssen

Wie alle, die ihr Herz an das Wohl und Wehe des 1. FC Köln hängen, haben die beiden Anhänger über die Jahre ein hohes Maß an Leidensfähigkeit entwickeln müssen. Sportlich ist der Klub bestenfalls noch Mittelmaß. Paradoxerweise rennen die Fans dem FC dennoch die Bude ein, während die erfolgreichere Phase Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre oft vor leeren Rängen stattfand. Der Verbleib in der Bundesliga wird gefeiert wie früher der Einzug in einen europäischen Wettbewerb. Doch die Leidensfähigkeit beschränkt sich nicht nur auf die Leistungen der kickenden Angestellten des Vereins. Durch die stetig steigenden Mitgliederzahlen verliert sich das einzelne Mitglied immer mehr in einer Masse.

Es ist die Schattenseite der Popularität des 1. FC Köln. Eine Professionalisierung des Vereins ist bei einer derartigen Mitgliederzahl notwendig. In der jüngeren Vergangenheit und besonders seit Beginn der Pandemie vermittelt der Verein den Fans dabei aber ein Gefühl der Austauschbarkeit. Das äußerte sich zuletzt vor allem in den sozialen Medien als Reaktion auf die vom FC angebotenen Modelle zum Umgang mit der Dauerkarte während der Pandemie. Besonders der unglückliche Passus zur Bevorzugung derer, die sich den Verzicht auf eine Erstattung leisten können oder wollen, stieß nicht wenigen sauer auf. Auf emotionaler Ebene findet hier eine Art Erpressung statt: Entweder Du verzichtest oder Du kommst erst später in die Verlosung.

Langjährige Loyalität, vor allem in den vielen weniger guten Phasen des Vereins, können durch wirtschaftliche Potenz ausgestochen werden. Im Geschäft mit der Emotion ist kein Platz mehr für die Emotion. Sollen die Unzufriedenen doch gehen, auf der Warteliste stehen genug zahlungswillige Neukunden. Der FC verweist auf die sicherlich faire Lösung, in der kommenden Saison ohne den Verlust des Dauerkartenplatzes pausieren zu können. Aber das ist gar nicht der Wunsch des Fans. Wer eine Dauerkarte erwirbt bringt damit zum Ausdruck jedem Spiel beiwohnen zu wollen.

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Losgelöst davon kann derzeit noch niemand mit Sicherheit sagen, wann die Fußball-Fans auf ihre Plätze auf den Tribünen der Bundesliga zurückkehren dürfen. Zu ungewiss ist die Situation der Pandemie. Da ist der Unwille, in Vorkasse zu treten ohne zu wissen, wann und ob es dafür überhaupt eine Gegenleistung, gibt nur verständlich.

Der Fußball-Fan und vor allem die Vereinsmitglieder sind im großen Business der Top-Ligen über die Jahre immer mehr zu Statisten degradiert worden. Durch die anhaltende Popularität des Fußballs braucht man auf die Bedürfnisse der kritischen Fans auch nicht einzugehen. Es gibt genügend Kundschaft, die deren Plätze einnehmen ohne Forderungen zustellen. Auch deshalb wurden beispielsweise Dauerkarten limitiert. Die Rechnung lautet, dass der Gast mit der Tageskarte weniger oft kommt, dafür aber am Spieltag mehr Geld im Stadion lässt. Dies sind alles keine neuen Erkenntnisse. Durch die Umstände der Pandemie werden die Dinge aber noch offensichtlicher, als sie es ohnehin schon sind. Doch die pandemiebedingt leeren Stadien machen vor allem eines klar: Fußball verliert ohne Fans dramatisch an Attraktivität. Es ist die von den Fans erzeugte Atmosphäre, die diese Sportart zur attraktiven Ware gemacht hat. Gesänge, Fluchen, Jubeln, Lachen und Weinen – all das fehlt. Dem Fußball und seiner Gefolgschaft.

Während die beiden jungen Männer in der Südkurve des Müngersdorfer Stadions noch von vollen, engen Fußballstadien und brodelnder Atmosphäre träumen, geht die SG Wattenscheid kurz vor Spielende durch Thorsten Fink Führung. Die Visionen von einer besseren Zukunft weichen dem Ärger über das späte Gegentor. Der FC schießt an diesem Abend kein Tor mehr, denn den Ausgleich zwei Minuten vor dem Abpfiff besorgt ebenfalls ein Wattenscheider Spieler: Hans-Werner Moser unterläuft ein Eigentor zum 1:1 Endstand. Unzufrieden machen sich die beiden Freunde auf den Heimweg. Wie bei vielen weiteren Spielen danach auch. Eine Dauerkarte haben die beiden noch nicht. Wofür auch? Die Geister, die die beiden riefen waren noch nicht erwacht.

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