FC-Legende Pierre Littbarski war bis 2023 13 Jahre für Kölns Gegner Wolfsburg tätig. Im Interview spricht der Weltmeister über beide Klubs und seine Beziehung zum FC.
Pierre Littbarski„Dieser FC-Start macht definitiv Lust auf mehr!“

Pierre Littbarski kürzlich als Talk-Gast beim „Kölner Treff“
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Sagenhafte 504 Pflichtspiele (davon 406 in der Bundesliga), in denen er 144 Tore erzielte, absolvierte Pierre Littbarski für den 1. FC Köln. Diese lange Zeit hat den Weltmeister von 1990 geprägt. Am Samstag (15.30 Uhr) trifft der mit zwei Siegen optimal in die Saison gestartete Bundesliga-Aufsteiger aus Köln beim VfL Wolfsburg an, für den der 65-Jährige lange gearbeitet hat.
Im Interview spricht die Kölner Fußball-Legende über beide Klubs, das Duell am dritten Spieltag, seine Leidenschaft für den FC und Wünsche und Hoffnungen für die anstehende Vorstandswahl bei seinem Ex-Verein.
Herr Littbarski, Sie waren 13 Jahre und bis Juli 2023 in verschiedenen Funktionen für den kommenden FC-Gegner Wolfsburg tätig. Nimmt der VfL bei Ihnen weiterhin einen besonderen Platz ein?
Pierre Littbarski: Ja. Ich habe die Jobs beim VfL nicht nur einfach so ausgeführt, da war schon Herzblut dabei. Ich weiß, wie der Klub von mehreren Außenstehenden betrachtet wird: als Verein ohne große Tradition, mit dem VW-Werk im Rücken und mit einer kleinen Anhängerschaft. Ich habe den VfL aber stets als sehr familiären Klub wahrgenommen, bei dem ich immer gerne gearbeitet habe. Im Laufe der Jahre sind da natürlich auch engere Beziehungen entstanden, zu Maximilian Arnold etwa, der immer noch für die Profis spielt. Oder zu Marcel Schäfer, Sascha Riether, Diego Benaglio, Conny Pohlers oder Britta Carlson, die ja mittlerweile die Bundesliga-Frauen des FC trainiert. Als ich als Chefscout für den VfL tätig war, hatte ich nämlich auch eine enge Beziehung zur Frauen-Mannschaft. Und dazu kommt natürlich, dass auch mein Sohn Lucien jahrelang für den Klub in der Jugend gespielt hat. Das wischt man alles nicht einfach so beiseite.
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Ähnlich wie der 1. FC Köln hat auch Wolfsburg unter dem neuen Trainer Paul Simonis einen Kader-Umbruch hinter sich. Wie schätzen Sie den VfL aktuell ein?
Ganz ehrlich: Die Mannschaft ist eine Wundertüte und sogar für mich noch schwieriger einzuschätzen als der FC. Die Verantwortlichen haben den Kader verjüngt und einen Trainer geholt, der mit Deventer zwar für Furore gesorgt und den Pokal geholt hatte, der aber nun erstmals außerhalb der Niederlande tätig ist. Meistens lässt er in der 4:2:3:1-Grundordnung spielen. Wenn man die Qualität des Kaders betrachtet, dann kann der VfL an einem guten Tag sicherlich jeden Gegner schlagen, an einem schlechten aber auch gegen fast jeden verlieren.
In dieser Woche hat der VfL für Aufsehen gesorgt und Topstar Christian Eriksen verpflichtet, der zuletzt vereinslos war und mittlerweile 33 Jahre alt ist. Wie betrachten Sie den Transfer?
Gemischt. Eriksen ist natürlich ein großer Name, der spielerisch stark und beidfüßig ist, eine enorme Handlungsschnelligkeit besitzt und auch charakterlich und von der Mentalität her absolut top sein soll. Für die Zehner-Position hat der VfL aber eigentlich Lovro Majer – von den Anlagen her ein richtig starker Spieler, der allerdings bisher nie dauerhaft überzeugt hat. Und deshalb hat man wohl noch einmal reagiert. Viele werden jetzt sagen, dass Eriksen ja bei Manchester United auf der Achter-Position gespielt hat, doch für mich ist er dann doch eher ein Zehner. Ich bin gespannt, wie der Trainer das löst. Aber wenn Christian Eriksen regelmäßig zum Einsatz kommt und überzeugt, dann ist er natürlich der Typ Spieler, der beim VfL auch ein paar Zuschauer mehr ins Stadion locken kann.
Der FC kann jetzt während des Spiels personell nachlegen – das war in den letzten Jahren nicht der Fall, sondern das große Problem. Ich ziehe meinen Hut vor der Arbeit von Thomas Kessler.
Was für ein Spiel erwarten Sie am Samstag? Gibt es einen Favoriten?
Ein abwechslungsreiches, flottes Spiel, denn beide Teams werden nach vorne spielen. Beim FC bin ich mir sogar sicher, aber auch der VfL agiert mittlerweile wieder weniger abwartend. Die Kölner haben mir bisher einen Tick besser gefallen, vor allem können sie während des Spiels personell nachlegen – das war in den letzten Jahren nicht der Fall, sondern vielmehr das große Problem. Ich ziehe meinen Hut vor der Arbeit von Sportdirektor Thomas Kessler, der stark auf dem Transfermarkt agiert hat.
Kessler hat in Jakub Kaminski auch einen Spieler vom VfL mit Kaufoption ausgeliehen, der in Wolfsburg eher ein Mitläufer war. Überrascht Sie dessen Form?
Nein, denn der Spieler ist richtig gut, ungemein schnell, dynamisch, kann offensiv auf beiden Seiten agieren und hat zudem Stärken im letzten Drittel. Ich denke aber, Kaminski braucht Zuspruch und Vertrauen. Das hat er beim VfL offenbar nicht so gespürt. FC-Trainer Lukas Kwasniok setzt auf ihn und lässt ihn von der Leine. Auch bei Kaminski muss man sagen: Es ist clever ausverhandelt, dass der FC auch noch eine Kaufoption besitzt.

Pierre Littbarski im Juni 1983 als DFB-Pokalsieger mit dem 1. FC Köln. Es ist der bis dato letzte große Titel für den Klub.
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Ergo sind Sie gar nicht so überrascht vom positiven Saisonstart des Aufsteigers?
Die Zuversicht nach den ersten Transfers war bei mir da. Du brauchst aber immer auch etwas Glück, davon hatte der FC im Pokal in Regensburg gleich einiges. Wenn du ein Spiel noch in der Nachspielzeit so drehst, dann sind das genau die Siege, die einer Truppe einen Schub geben können. Und das ist passiert. Der FC ist vom Kader gut aufgestellt, jetzt auch in der Breite, und hat mit Kwasniok zudem einen Trainer, der nicht nur zu den Jungs, sondern auch zum Klub und der Stadt richtig gut zu passen scheint. Das Spiel wirkt deutlich strukturierter. Ich habe vor zwei Wochen Wolfgang Overath getroffen. Wir waren uns einig: Mit Isak Johannesson hat der FC im Zentrum endlich wieder einen spielstarken Spieler. Für mich ist er im Spiel nach vorne dann doch mehr ein Zehner als ein Achter. Und Kwasniok setzt zudem die Spieler auch auf den für sie richtigen Positionen ein; Jan Thielmann ist dafür ja das beste Beispiel. Der Junge ist ja kaum wieder zu erkennen. Ich muss sagen: Gegen Freiburg (4:1-Sieg, d. Red.), das war richtig guter Fußball. Den kannte man vom FC ja kaum mehr.
Es ist noch früh in der Saison, doch beim FC ist eine deutlich bessere Grundstimmung spürbar. Wähnen Sie den Verein endlich auf dem Weg in eine bessere Zukunft?
Auf alle Fälle. Es wurden in den vergangenen Jahren viele Fehler gemacht, aber auf der anderen Seite wurde der Klub auch finanziell saniert. Jetzt tun sich mehr Möglichkeiten auf – was man am Kader sieht, der nicht dem eines typischen Aufsteigers entspricht. Die Mannschaft tritt mit mehr Selbstvertrauen auf. Die Entwicklung ist aber noch längst nicht fertig, das sieht man ja auch auf dem Platz. Man sollte jetzt nicht gleich zu euphorisch sein, aber viele Dinge gehen jetzt in die richtige Richtung. Dieser Start macht definitiv Lust auf mehr!
In der jüngeren Vergangenheit haben Sie sich auch deutlich wieder Ihrem langjährigen Klub angenähert. Sie fiebern bei den FC-Spielen mit, waren jüngst auch beim FC-Gottesdienst im Dom dabei. Wie würden Sie Ihre Beziehung zum 1. FC Köln beschreiben?
Es stimmt, dass ich jetzt wieder enger am FC dran bin. Aber das ist auch irgendwie logisch. Wenn man über so viele Jahre für Wolfsburg arbeitet, gehört es sich einfach nicht, dauernd über die Beziehung zum FC zu sprechen. Nachdem ich in Wolfsburg aufgehört habe, ist es wieder möglich für mich, meiner Leidenschaft zum FC nachzugehen. Die war nie weg. Wissen Sie, der 1. FC Köln war damals für mich als junger Spieler das Beste, was mir nur passieren konnte. Die tollen und erfolgreichen Jahre beim FC werde ich nie vergessen.
Sie zeigen auch bei Instagram oder in Ihrem neuen Podcast „Littis Einwurf“ Ihre Sympathien für den FC. Das kommt bei einigen, aber eben nicht bei allen gut an.
Das ist mir ziemlich egal. Ich habe einfach Spaß an Social Media gefunden. Wie Sie vielleicht noch wissen, war ich früher bei der Nationalmannschaft ja auch schon der Video-Mann, der mit seiner Kamera auch den WM-Triumph 1990 gefilmt hat. Und wie gesagt: Ich bin für keinen Verein mehr tätig und kann daher sagen, was ich will (lacht). In meinem Podcast gebe ich auch die eine oder andere Anekdote zum Besten, die man vielleicht noch nicht kannte.
Sie sind auch Mitglied beim neu gegründeten „Club der FC-Legenden“. Sie wohnen in der Nähe von Heidelberg, die Zeit nehmen Sie sich aber offenbar gerne.
Ich wäre gerne noch öfter da. Stephan Engels hat den Club dankenswerterweise ins Leben gerufen und organisiert alles, so etwas hätte es schon viel früher geben sollen. Ich freue mich immer, wenn ich dabei sein kann und mich mit den alten Weggefährten austausche. Und ich habe mir fest vorgenommen, auch wieder mehr Heimspiele des FC im Stadion zu verfolgen. Am TV bin ich ohnehin immer am Ball.
Ich schiele auf keinen Posten beim FC und bin zufrieden, wie mein Leben gerade verläuft.
Können Sie sich folglich in Zukunft auch eine Aufgabe beim FC vorstellen?
Ich weiß, es gibt Leute, die sagen prompt: „Der Litti, der biedert sich an und ist auf Jobsuche.“ Diejenigen, die das möglicherweise sagen, kann ich beruhigen: Ich schiele auf keinen Posten beim FC und bin zufrieden, wie mein Leben gerade verläuft. Ich habe in der jüngeren Vergangenheit beim FC ein paar Dinge deutlich angesprochen und kritisiert, die meiner Meinung nach nicht gut gelaufen waren. Jetzt ist die Situation aber glücklicherweise wieder eine andere. Es macht mir derzeit einfach Freude, den 1. FC Köln zu verfolgen.
Auf die Vereinspolitik trifft das indes wohl eher weniger zu, oder? Vor den Vorstandswahlen am 27. September gibt der Klub da kein gutes Bild ab, einer kämpft gegen den anderen.
Das ist für mich aus der Ferne natürlich schwierig zu bewerten. Die Themenlagen sind komplex, für einige vielleicht zu komplex und schwierig zu durchschauen. Als Außenstehender wünscht man sich, dass sich die Personen mit dem gebührenden Respekt gegenüberstehen. Am Ende geht es wohl um das Erbe. Der Vorstand war sechs Jahre im Amt, viel war schiefgelaufen, einiges aber auch gut – jetzt scheint man endlich auf einem besseren Weg und auch personell auf allen Ebenen besser aufgestellt zu sein. Ganz gleich, wer die Wahl gewinnt: Der eingeschlagene Weg darf auf keinen Fall wieder infrage gestellt werden. Das würde dem Klub nur wieder schaden. Es darf nicht um persönliche Befindlichkeiten gehen, sondern einzig um den 1. FC Köln. Das Gespräch führte Lars Werner