Interview mit Fernando Carro„Ich will am Ende die Nummer eins sein“

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Zurzeit obenauf: Das Team von Bayer 04 Leverkusen. 

Zurzeit obenauf: Das Team von Bayer 04 Leverkusen. 

  • Der Klubchef von Bayer 04 Leverkusen, spricht im ausführlichen Interview über seine Ziele, seinen Ehrgeiz und die Folgen der Corona-Krise für sein Team.

Herr Carro, Bayer 04 Leverkusen erlebt den Jahreswechsel als Zweiter der Bundesliga. Wie bewerten Sie den Erfolg? Wie definieren Sie die Ziele? Fernando Carro: Mit Erfolg geht immer alles leichter. Platz zwei in der aktuellen Tabelle, aber auch in der Wertung des gesamten Jahres 2020 zeigt, dass die Arbeit sich lohnt, dass viele Entscheidungen richtig gewesen sind. Das freut mich, das heißt aber nicht, dass man sich ausruhen kann. Was mich manchmal stört, ist, dass wir selten genannt werden, wenn es um Titelkandidaten geht – auch wenn mir klar ist, dass diese Rolle auch ein Vorteil sein kann. In unserem Fall würde ich mich gegen etwas mehr Aufmerksamkeit und damit Druck von außen aber nicht wehren. Wir sind mittendrin in drei Wettbewerben. Ich habe schon den Gedanken, dass eine hohe Erwartungshaltung von außen, vom Umfeld, einem Verein guttun kann. Was die Ziele angeht: Unser Anspruch ist es, jedes Jahr zu den besten Vier der Bundesliga zu gehören, regelmäßig Champions League zu spielen und im europäischen Vergleich unter den Top 16 zu sein.

Sie sind ein Mensch, der seine Ziele ehrgeizig formuliert.

Ich bin realistisch und weiß, dass wir in einer Liga spielen mit Bayern München, dem derzeit besten Klub in Europa, dem Champions-League-Sieger. Wir haben darüber hinaus noch einige weitere, sehr starke Wettbewerber in der Liga. Trotzdem wollen wir immer versuchen, soweit oben wie möglich zu spielen. Wir waren nach zwölf Spieltagen Erster und sind jetzt Zweiter. Es ist mein natürlicher Ehrgeiz, am Ende die Nummer eins sein zu wollen. Ich persönlich glaube daran, dass man sich höchste Ziele stecken und mit diesen auch offen umgehen muss, um das Maximale zu erreichen. Sonst wird man es nie erreichen.

Wie groß ist der Einfluss Ihrer Arbeit als Klubchef auf den Gesamterfolg von Bayer 04?

Ich arbeite engagiert, professionell und hart für diesen Klub. Ich möchte ihn auf ein noch höheres Niveau bringen. Ich kann aber keine Spiele gewinnen. Unsere Aufgabe in der Klubführung muss es deshalb sein, die Wahrscheinlichkeit für den Erfolg unserer Mannschaft zu erhöhen. Das ist ein Prozess, in dessen Verlauf ich versuche, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Ein wichtiger Faktor dabei sind Personalentscheidungen im Managementbereich. Eine dieser Entscheidungen war es, in Abstimmung mit dem Gesellschafterausschuss und Rudi Völler, Simon Rolfes zum Sportdirektor zu berufen. Ich bin sicher, dass uns dies schon jetzt nach vorne gebracht hat.

Wie bewerten Sie den Anteil des Trainers am Erfolg?

Die Ergebnisse sind auch Folge der konzentrierten, guten Arbeit von Peter Bosz. Er ist hoch professionell und ehrgeizig, will jedes Spiel gewinnen. Er hat ein gutes Team um sich herum, bindet alle klug ein. Mit den Spielern kommuniziert er sehr klar, auch über die Aufgaben auf dem Spielfeld hinaus. Jeder Profi weiß, woran er ist, jeder hat seinen Platz im Gefüge. Viele Spieler haben sich zuletzt kontinuierlich verbessert, das spricht für Peter und seine Arbeit.

Der im Januar 2020 vom 1. FC Köln gekommene Florian Wirtz hat eine Entwicklung genommen, die niemand für möglich gehalten hätte. Kurz vor Weihnachten haben Sie den Vertrag mit dem 17-Jährigen verlängert. Wie erleben Sie diese Erfolgsgeschichte?

Als wir Florian verpflichtet haben, war der Plan, dass er bei den Profis mittrainieren darf und langsam herangeführt wird. Als er dann nach dem Re-Start im Mai direkt gespielt hat, war das schon erstmal überraschend, aber er hat sich durchgesetzt. Im Sommer waren wir auch deshalb auf dem Transfermarkt zurückhaltend, weil Florian da war und wir seine Entwicklung nicht gefährden wollten. Wir sind sehr glücklich, diesen Spieler zu haben, ihn weiterentwickeln und längerfristig an uns binden zu können.

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Auf den ersten vier Plätzen der Bundesliga-Tabelle finden sich drei Klubs, die über ein Werk oder einen Investor verfügen: Leverkusen, Leipzig und Wolfsburg. Was antworten Sie Kritikern, die in dieser Unterstützung einen Wettbewerbsvorteil sehen?

Ich glaube, dass Erfolg vor allem mit guter und beständiger Arbeit zu tun hat. Wir haben dieselben Themen wie alle anderen Klubs. Die Pandemie betrifft auch uns, und wir müssen wirtschaftliche Rahmenbedingungen erfüllen. Die direkte Zuwendung eines Investors oder eines Werks ist für mich kein Argument. Aber wenn man nach einem Vorteil sucht, könnte es der sein, dass man in der Unternehmensführung, der Governance, klarer sein kann. Es gibt einen Aktionär, einen Gesellschafter, und der bestellt ein professionelles Management, das führt. In vielen traditionellen Vereinen gibt es ein Präsidium, einen Aufsichtsrat und dazu noch andere Gremien, die teilweise die Entscheidungsfindungen komplizierter machen. Im Hinblick auf eine schlanke, moderne und Erfolg versprechende Unternehmensführung birgt das Gefahren und kann kontraproduktiv sein.

Wie ist Ihre Vorstellung von Unternehmensführung?

Wie auch in anderen Bundesligavereinen gibt es bei Bayer 04 auf der Grundlage der Organisationsstruktur einen Vorsitzenden der Geschäftsführung. Ich bin ein Freund von klaren Hierarchien. Am Ende muss einer der Chef sein, das ist meine persönliche Überzeugung. Das schließt Teamarbeit nicht aus. Im Gegenteil. Gerade im sportlichen Bereich sind die vielschichtigen Kompetenzen von Rudi Völler und Simon Rolfes eminent wichtige Erfolgsfaktoren für Bayer 04. Ihnen schenke ich maximales Vertrauen.

Fernando Carro

Fernando Carro

Wie planen Sie mittel- und langfristig in der Corona-Zeit?

Wir verzeichnen wie alle Vereine in dieser Pandemie große Verluste, verglichen mit einem normalen Jahr. Ich rechne nicht damit, dass wir diese Saison noch vor Fans spielen werden. Wir haben in unserem Budget keine Zuschauer eingeplant. Ich bin mir sicher, dass mittelfristig die Transfersummen und Gehälter nachgeben werden. Das Problem ist: Die Einnahmen sinken zurzeit, teilweise rapide. Die laufenden, in der aktuellen Relation teils sehr hohen Spielerverträge aber bleiben so wie sie sind. Das erzeugt Kostendruck. Die nächsten Verträge werden niedriger dotiert sein. Vielleicht werden die Einnahmen in den kommenden Jahren wieder hoch gehen und man kann die Verluste auffangen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist das nur ein unvorhersehbares Szenario.

Zur Person

Fernando Carro, geboren 1964 in Barcelona, ist seit 1. August 2018 Sprecher der Geschäftsführung von Bayer 04, zuvor war der Spanier 24 Jahre lang in verschiedenen Funktionen beim Bertelsmann-Konzern tätig, darunter im Vorstand. Als Student wohnte er in Wien zeitweise beim damaligen Fußball-Profi Hans Krankl. Carro ist verheiratet und hat drei Kinder. (ksta)

Zeigt der deutsche Fußball mit der neuen Form der Verteilung des TV-Geldes genügend Solidarität?

Das Präsidium hat aus meiner Sicht eine intelligente Entscheidung getroffen. Ich finde es beinahe genial, dass die Gleichverteilung in einer eigenen Säule sichtbar gemacht wurde. Es gab sie ja schon vorher, aber sie war so nicht sichtbar. Eine Leistungskomponente war und ist ohne Alternative. Denn wenn der 15. genau so viel bekäme wie der Achte, wo wäre dann die Motivation für Vereine, für die es in den letzten Spielen einer Saison sportlich um nichts mehr geht? Das wäre gefährlich und würde Wettbewerbsverzerrung begünstigen. Die Säule Nachwuchs wurde verdoppelt, das begrüßen wir. Die vierte Komponente, Interesse, in der es um die Popularität eines Vereines geht, sehe ich kritisch, weil es diese eine verlässliche Messung hier nicht gibt. Unter dem Strich halte ich die Gesamtlösung für einen gelungenen Kompromiss, auch wenn wir als Bayer 04 Einnahmen verlieren werden. Aber wir können damit arbeiten.

Das Gespräch führte Frank Nägele

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