Kai Havertz vor Abschieds-Saison„Bayer Leverkusen war immer für mich da“

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Kai Havertz vor Alpen-Kulisse in Zell am See 

  • Leverkusens Stürmerjuwel Kai Havertz gilt als wertvollster Spieler bei Bayer 04.
  • Am Rande des Trainingslagers in Österreich spricht er im Interview über seine wohl letzte Saison in Leverkusen.
  • In seinem geschätzten Transferwert von 100 Millionen Euro sieht er „keine Belastung“, verriet er uns.
  • Reporter Christian Krämer berichtet bis zum 21. Juli jeden Tag exklusiv aus dem Trainingslager – lesen Sie sämtliche Folgen, darunter auch ein Tagebuch, Interviews und Analysen, mit KStA PLUS.

Zell am See – Herr Havertz, Rudi Völler hat Sie als „das größte deutsche Talent des Jahrzehnts“ bezeichnet. So etwas werden die täglich mehrfach hören und lesen. Löst das noch etwas in Ihnen aus?

Wenn ich so etwas höre, egal ob von Rudi Völler oder anderen Fachleuten, freut mich das. Aber ich feiere mich auf dem Zimmer jetzt nicht dafür. Ich muss das bestätigen. Ob es letztlich so war, wird man am Ende meiner Karriere sehen.

Die Übersicht auf dem Platz, dieser extrem gute erste Ballkontakt – war das von Beginn an da oder ist es Training?

Die Sachen waren schon relativ früh da. So ein gewisses Spielverständnis kann man sich nicht wirklich antrainieren, das ist entweder da, oder nicht. Ich bin froh, dass ich diese Stärken habe. Aber bestimmte Dinge wie Kraft, Schüsse oder Freistöße kann man natürlich trainieren – und das will ich auch.

Sie sind in Aachen geboren und aufgewachsen, später nach Leverkusen gezogen. Was verbinden Sie mit der Region?

Es ist Heimat, auch wenn ich mittlerweile in Köln wohne. Es ist mein zehntes Jahr bei Bayer 04. Leverkusen war immer für mich da, hat mich auf meinem Weg begleitet. Auch wenn ich mal eine schlechte Phase hatte, wurde ich nicht abgeschrieben. Man war immer von mir überzeugt. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wie war es, als Fußballstar das Abitur zu machen?

Wenn ich sehe, wie viele Schwierigkeiten andere Schüler haben, das Abitur zu schaffen, ohne noch den Sport daneben zu haben, dann habe ich das schon ganz gut über die Bühne gebracht. Aber ich wurde natürlich auch gut unterstützt. Es war sicherlich eine schwere Zeit damals. Und ich bin froh, dass sie vorbei ist und ich es geschafft habe.

Kann man überhaupt ein richtiger Jugendlicher sein, wenn man in allem, was man tut, professionell beraten wird?

Es gibt da schon einen Unterschied zu anderen Jugendlichen, die natürlich viel mehr Freiheiten haben. Aber darauf habe ich mich früh ganz bewusst eingelassen. Und ich kann mir kein schöneres Leben vorstellen als das, was ich gerade führe. Ich kann auch bestimmt ein bisschen stolz darauf sein, was ich bislang erreicht habe. Dass ich dafür samstagabends nicht durchgefeiert, sondern stattdessen zumeist auf dem heimischen Sofa gesessen habe, stört mich nicht. Feiern so wie andere kann ich auch noch nach meiner Karriere oder im Urlaub.

Zur Person

Kai Havertz, 20, geboren am 11. Juni 1999 in Aachen. Kam 2010 in die Jugend von Bayer 04 Leverkusen und unterzeichnete 2017 seinen ersten Profivertrag. Im gleichen Jahr machte er Abitur am Landrat-Lucas-Gymnasium in Leverkusen-Opladen. Für Bayer 04 absolvierte Havertz bislang 105 Pflichtspiele (28 Tore/Vertrag bis 2022). Der offensive Mittelfeldspieler wurde mit der Fritz-Walter-Medaille in Silber (U17)  und Gold (U19) ausgezeichnet. Im  A-Nationalteam (drei Einsätze) debütierte er am 9. September 2018.

Sie werden als der fast sichere erste deutsche 100-Millionen-Euro-Transfer gehandelt. Ist diese Zahl Belastung oder Ansporn?

Für mich ist es keine Belastung. Wenn du so einen Stempel auf der Stirn hast, musst natürlich mit immensen Erwartungen klarkommen und irgendwo zurückzahlen, mit guten Spielen und Toren. Aber ich kann ja nichts dafür, dass irgendwann vielleicht mal so viel Geld für mich bezahlt werden wird.

Was hilft Ihnen dabei, nicht abzuheben?

Meine Familie vor allem, aber auch mein ganzes Umfeld. Wenn ich mal abheben würde, kämen da schnell sehr viele Leute, um mich wieder runterzuholen. Meine Familie ist ein Rückzugsort für mich. Ich versuche, an jedem freien Tag dort zu sein und auf andere Gedanken zu kommen.

Seit einiger Zeit ist klar, dass Sie Bayer 04 mindestens noch ein Jahr erhalten bleiben. Waren Sie es, der bleiben wollte, oder war es der Klub, der Sie nicht abgeben wollte?

Der Verein hat relativ schnell gesagt, dass ich noch ein Jahr bleibe, dass man auf mich setzt. Darum gab es auch keinen Gesprächsbedarf bei mir. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich mich gezwungen fühle, hierzubleiben. Ich identifiziere mich total mit Bayer 04 und will mit dem Verein noch etwas erreichen.

Wie nah dran an konkreten Gesprächen mit anderen Vereinen waren Sie denn?

Kontakt gibt es natürlich immer, da braucht man ja nicht drum herumzureden. Man will sich die Türen für die nächsten Jahre ja nicht verschließen, darum redet man. Aber es gab nirgendwo eine Einigung. Es gab nur die Einigung mit Leverkusen, dass ich das nächste Jahr noch hier bin.

Julian Brandt hat den Absprung gewagt. Sie haben gesagt, dass Sie ihn vermissen. Mehr als Freund in der Mannschaft oder als kongenialen Partner auf dem Platz?

Beides. Ich vermisse ihn natürlich als Freund, obwohl Dortmund eigentlich relativ nah ist. Ich habe ihn aber die letzten drei Jahre fast täglich gesehen, auch in der Freizeit. Doch der Fußball ist nun mal so. Und da werde ich mich auch schnell mit abfinden, kein Problem.

Ist der Kader so aufgestellt, dass sein Verlust kompensiert werden kann?

Vielleicht kommt ja noch der eine oder andere dazu, auch auf seiner Position. Aber unsere beiden Neuzugänge Kerem Demirbay und Moussa Diaby wurden auch schon sehr gut integriert. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass man auf dem Platz klasse mit ihnen zocken kann. Ich glaube, dass sich der Verein sehr, sehr gut verstärkt hat.

Mit 20 sind Sie stellvertretender Kapitän bei Bayer 04. Steckt ein Anführer-Gen in Ihnen?

(lacht) Schwer zu sagen, bislang habe ich das nicht geglaubt. Bislang habe ich im Profibereich eher nicht so viel Verantwortung übernommen, ich bin immer eher mitgeschwommen. Aber Verantwortung gehört dazu, wenn man ein kompletter Spieler sein will. Darum nehme ich die Rolle gerne an und versuche, mich weiterzuentwickeln. Wild auf dem Platz herumschreien werde ich aber nicht, ich übernehme lieber Verantwortung durch gute Aktionen und Tore.

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Sie haben unter Peter Bosz auf einer halbrechten Position gespielt. Was hat sich dadurch für Sie verändert?

In der Defensive war ich ein Stück weiter rechts. Aber offensiv hatte ich meine Freiheiten, die ich auch brauche. Ich bin da nicht an eine Position gebunden gewesen, ich versuche, mich immer in diesen Zwischenräumen zu bewegen.

Welche Ziele haben Sie für ihr wohl letztes Jahr in Leverkusen? Rudi Völler sprach vom Pokalsieg…

Das wäre etwas Schönes, wenn wir das kommende Jahr zu einem goldenen für den Verein machen könnten. Das Potenzial dazu haben wir. Aber wir müssen uns nicht unter Druck setzen oder irgendwelche Kampfansagen in Richtung anderer Vereine abgeben. Wir werden unser Spiel durchziehen. Wozu es dann reicht, werden wir sehen.

In der Nationalmannschaft sind Sie eher eines unter vielen Talenten. Gefällt es Ihnen, wenn nicht alle Aufmerksamkeit auf Sie gerichtet ist?

Nein, man will natürlich immer im Fokus sein und spielen. Aber um richtig im Fokus zu stehen, muss man schon ein paar Jahre gut spielen und vielleicht auch einen Titel holen. Da gibt es viele Spieler, die schon viel mehr erreicht haben als ich. Man muss um seinen Platz kämpfen, und das werde ich tun, um nächsten Jahr bei der Europameisterschaft dabei zu sein. Insgesamt gefällt mir eine Nebenrolle nämlich nicht so gut.

Sie sind in den letzten drei EM-Qualifikationsspielen ohne Einsatzminute geblieben. Hat Sie das enttäuscht?

Ein bisschen enttäuscht ist man natürlich schon, wenn man sehr ehrgeizig ist. Aber mal so: Ich bin 20 Jahre alt und darf in der Nationalmannschaft spielen. Da gibt es grundsätzlich nicht viel zu klagen. Auf jeden Fall haben mich die letzten drei Länderspiele extrem motiviert, noch mehr zu zeigen und mich so für die erste Elf zu empfehlen.

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