Stefan HlywaWie die Jagd nach einem Phantom

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Es gab Hinweise, dass sich Stefan Hlywa am Gut Amtmannscherf aufgehalten haben sollte. (Alle Bilder: Archiv Roland Neumann)

Es gab Hinweise, dass sich Stefan Hlywa am Gut Amtmannscherf aufgehalten haben sollte. (Alle Bilder: Archiv Roland Neumann)

Odenthal – Der Waffenhändler Stefan Hlywa erschoss in Odenthal einen Polizisten und löste eine spektakuläre Verfolgungsjagd zwischen Odenthal und Köln-Porz aus. Nach zweiwöchiger Flucht richtete sich der Täter selbst. Peter Pauls, heute Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, war damals ein junger Reporter von 26 Jahren und berichtete für diese Zeitung über die Ereignisse. „Der Rheinisch-Bergische Kreis war im Belagerungszustand“, sagt er rückblickend. „Das war unser beherrschendes Thema.“

Was war passiert? Odenthal, Siedlung Küchenberg, 15. April 1980: Die Kriminalpolizei durchsucht eine Wohnung am Hirschweg, in der sie ein Waffenlager vermutet.

Sie findet das Waffenlager samt Besitzer Stefan Hlywa, der die gestohlene Ware bei seiner Freundin untergebracht hat. Hlywa flieht, schießt um sich und verletzt den Kriminalhauptmeister Günter Müller tödlich.

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Danach begann eine Verfolgungsjagd, bei der der Mörder der Polizei immer einen Schritt voraus schien. Zunächst versuchte es die Kölner Polizeiführung mit Masse. Dreimal formierten sich 600 Mann zu Ketten, um Waldstücke und einen Friedhof abzuriegeln, in dem Hlywa gesehen worden war. Erfolglos. In Köln-Dellbrück wurde eine Beerdigung unterbrochen, weil 450 Beamte zu Pferd und zu Fuß das Gelände durchkämmten, während am Himmel Hubschrauber kreisten. Hlywa hauste in den Wäldern, wurde immer wieder gesehen, nur um gleich wieder zu verschwinden. „Er war wie ein Phantom“, sagt Peter Pauls, „und jeden Tag bekam er eine Eigenschaft mehr.“ Als „Waldläufer“ titulierte ihn eine Zeitung, als einen „allenfalls guten Einbrecher“ der Wiener Gendarmerie-Bezirksinspektor Werner Windisch, als „äußerst gefährlich und gerissen“ der Kölner Polizeipräsident Jürgen Hosse.

Die Aufklärung, wer und was Stefan Hlywa wirklich war, ist zusammen mit ihm untergegangen. Der Pole mit österreichischer Staatsbürgerschaft wurde in seinem Heimatland wegen Auto- und Waffendiebstahls gesucht. Das ganz dicke Ding drehte er nie. In Odenthal jedoch erschoss er einen Polizeibeamten. Manfred Dillenburg war damals im Präzisionsschützen-Kommando der örtlichen Polizei. „Einmal hätte ich ihn fast gehabt“, berichtet er und klingt auch nach 30 Jahren noch bedrückt über „hätte“ und „fast“. „Wir waren rund um die Uhr im Einsatz“, sagt er und nach einer Pause: „Vergessen tut man das nicht. Dieses Gefühl im Wald. Er sieht uns, wir ihn nicht. Man ist immer Zweiter.“ Vergessen tut man das nicht. Auch nicht den Mord an Günter Müller. „Er hatte Familie. Der Rohbau vom Haus war gerade fertig.“ Die Kollegen haben gesammelt damals. Und das Haus fertig gebaut.

Medienlandschaft und Technik haben sich in den vergangenen 30 Jahren rasant verändert. Das Sicherheitsrisiko der Beamten war höher, kugelsichere Westen waren Fehlanzeige bei der bergischen Polizei. „Zwei für alle hatten wir“, sagt Dillenburg, „und wer damit hinfiel, kam alleine nicht mehr auf die Beine, so schwer waren die.“

Angst und Sensationslust

Die Kommunikation lief für heutige Verhältnisse schleppend. Keine Handys, kein Lokalradio, kein Internet. „Die einzige Information für die Bevölkerung war einmal am Tag durch die Zeitung“, sagt Peter Pauls. Ab und zu noch ein Lautsprecherwagen der Polizei, der durch die Straßen fuhr. Eltern wurden gebeten, ihre Kinder „nicht auf die Straße zu schicken“. Heute gäbe es mehr Informationen, vielleicht zu viele. Pauls erinnert an den Medienrummel beim Gladbecker Geiseldrama acht Jahre später. Die Hlywa-Geschichte heute? „Das wäre ein Orkan“, glaubt er.

Vermutlich war es eine Mischung aus Angst, Sensationslust und mangelnder Einschätzung der Situation, die im April 1980 zu abstrusen Szenen führte. Eine ältere Kölnerin wurde von der Polizei am Waldrand aufgehalten, als sie „Hlywa suchen“ ging, mit Picknickkorb. Wenn Schüsse fielen, kam Beifall von „Schlachtenbummlern“, die der Polizei folgten. Fast schien Schadenfreude aufzukommen, wenn er wieder mal entwischt war. „Vielleicht weil es so viele gegen einen waren“, sagt Manfred Dillenberg. Verstehen konnte und kann er es nicht, dass Hlywa zumindest vereinzelt Sympathien erhielt.

Am Donnerstag, 1. Mai 1980, schrieb Pauls im „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Der fieberhaft gesuchte Polizistenmörder ist tot.“ Um 2.22 Uhr in der Nacht zum Mittwoch war Stefan Hlywa über den Zaun zum Haus seiner Freundin geklettert - vor den Augen des Kripo-Postens. Mehrere Dutzend schwerbewaffnete Beamte stürmten um 5.35 Uhr das Haus. Den Rest erledigte Hlywa selbst. Im Keller, hinter einem Herd und unter einem Pappkarton versteckt, hielt er sich einen Revolver in den Mund und drückte ab. „Er war wie ein gehetztes Tier in die Enge getrieben“, sagt Pauls. Eine Hatz auf zerschundenen Füßen. Nach dem Mord war Hlywa auf Socken getürmt und so lange barfuß gelaufen, bis er in einer Forsbacher Baubude Schuhe fand. Als die Polizisten ihn aus dem Karton zogen, trug er nicht nur die Schuhe, sondern auch zwei geladene Revolver und 40 Schuss Munition. Dann war der Spuk vorbei. „Die Sonne scheint. Die Polizeiwagen fahren nacheinander davon“, schrieb Pauls.

Manfred Dillenburg ist immer noch bei der Polizei. Heute im Innendienst. Vor einigen Jahren habe es in Altenberg nochmal einen Gedenkgottesdienst für den getöteten Kollegen gegeben. Das Grab des Mörders wirkt nicht ungepflegt. Wer sich darum kümmert, ist der Verwaltung nicht bekannt, und wenn, dürfte sie es nicht weitergeben. „Stefan Hlywa. 1953-1980. Dem Auge so fern, dem Herzen ewig nah“, steht auf dem Grabstein. Zweimal hat Dillenburg an dem Grab gestanden. Gleich im Jahr nach dem Mord. Er sagt: „Ich wollte nur sicher sein, dass er da war.“

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