Neue SerieJeder fünfte junge Mensch hat psychische Probleme

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Ein junges Mädchen mit roten, kurzen Haaren steht vor einer lila-farbenen Wand und hält sich den Kopf fest.

Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, Klimawandel, Inflation: Die vielen Krisen machen vor allem unserer Jugend zu schaffen.

Die seelische Gesundheit unserer Jugend hat sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert. Grund dafür sind die vielfältigen Krisen. Ein „Lagebericht“ zum Auftakt einer neuen Serie über „Mental Health“.

Ein Thema, mit dem sich unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren verstärkt befassen muss, ist die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass sich die „Mental Health“ (mentale Gesundheit) der jungen Generation im vergangenen Jahrzehnt massiv verschlechtert hat – auch, aber nicht nur, wegen Corona und der damit verbundenen Beschränkungen.

Die Pandemie hat aber gezeigt: Psychische Erkrankungen sind bei jungen Menschen keine Seltenheit, wurden aber lange Zeit nicht ernst genug genommen. Um dazu beizutragen, das Thema stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und Lösungswege zu finden, widmen wir „Mental Health“ eine eigene Serie.

Mental Health – Eine Definition 

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Mental Health „ein Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann.“ Dieser Zustand des Wohlbefindens, das bestätigen sämtliche Studien, ist vor allem bei jungen Menschen ins Ungleichgewicht geraten, sodass inzwischen mehr als doppelt so viele Kinder und Jugendliche in psychotherapeutischer Behandlung sind als noch vor zehn Jahren.

Auch nach der Pandemie sind noch immer 73 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychisch belastet
Corona-Folgen: Kinder und Jugendliche im Blick, Studie der Bundesregierung

Eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Untersuchung über die gesundheitlichen Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch die Corona-Pandemie hat jetzt gezeigt: Derzeit sind noch immer 73 Prozent der jungen Generation psychisch belastet. Es ist also wahrscheinlicher, dass ein Kind psychische Probleme hat, als dass es ihm gut geht.

Anzahl und Alter der betroffenen Jugendlichen

Laut Bundespsychotherapeutenkammer (BptK) erkrankt fast jedes fünfte Kind und jeder fünfte Jugendliche unter 18 Jahren psychisch. Zugenommen haben vor allem Ess- und Angststörungen – im Jahr 2021 wurden bei Mädchen 54 Prozent mehr Ess- und 24 Prozent mehr Angststörungen neu diagnostiziert. Unter Depressionen leiden inzwischen 27 Prozent Kinder und Jugendliche. Laut einer aktuellen DAK-Studie, dem Kinder- und Jugendreport 2022, gibt es vermehrt Verzögerungen in der sprachlichen, emotionalen und schulischen Entwicklung. Besonders stark betroffen sind Kinder, die in schwierigen finanziellen Umständen aufwachsen.

Ursachen und Risikofaktoren

„Mittlerweile ist ausreichend erforscht, dass Armut einer der größten Faktoren für psychische Belastung ist“, sagt der Kinder- und Jugendpsychotherapeut Julian Schmitz. Mehr als jedes fünfte Kind – und damit rund 2,8 Millionen Jungen und Mädchen – wächst hierzulande in Armut auf. 28 Prozent derjenigen, die auf Essen von der Tafel angewiesen sind, sind Kinder. Auch die BptK beruft sich auf Studien, die ergeben, dass Kinder und Jugendliche zweieinhalbmal häufiger an psychischen Störungen erkranken, wenn ihre Eltern ein geringes Einkommen haben. Damit ist das erhöhte Risiko für psychische Erkrankungen auch Ausdruck sozialer Ungleichheit.

Mittlerweile ist ausreichend erforscht, dass Armut einer der größten Faktoren für psychische Belastung ist
Kinder- und Jugendpsychotherapeut Julian Schmitz

Bei geschätzten drei Millionen jungen Menschen in Deutschland, also etwa jedem sechsten Kind, leidet ein Elternteil unter einer psychischen Störung. Diese Kinder haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko, selbst psychisch zu erkranken.

Auch chronische körperliche Erkrankungen führen häufig zu psychischen Beschwerden. Betroffene Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren erleiden zum Beispiel viermal häufiger eine Depression als gleichaltrige Mädchen ohne chronische Erkrankungen. Depressionen treten darüber hinaus überdurchschnittlich häufig bei Jungen und Mädchen auf, die erhebliches Übergewicht oder Traumata im Kindesalter erlebt haben. Erwachsene, die in ihrer Kindheit traumatische Erfahrungen machen mussten, entwickeln häufiger psychische Erkrankungen. Je mehr dieser Ereignisse erlebt wurden, umso schlechter ist außerdem ihr allgemeiner Gesundheitszustand, ihre finanzielle Situation und Bildung und umso häufiger begehen sie Straftaten.

Als Trauma, also existenzielle Bedrohung, erleben viele Kinder und Jugendliche, laut Deutscher Gesellschaft für Psychologie (DGPS), nicht zuletzt die multiplen Krisen unserer Zeit – neben der Pandemie sind das unter anderem die Klimakrise, der Angriffskrieg Russlands, die Inflation oder die Energiekrise.

Medizinische und therapeutische Versorgung

Zeitgleich treffen die belasteten Kinder und Jugendlichen auf ein überlastetes Hilfesystem zur Behandlung psychischer Störungen. Laut DGPS liegt die Durchschnittswartezeit auf einen Therapieplatz derzeit bei 25 Wochen. Zwar ist der Bedarf an Psychotherapie-Plätzen enorm gestiegen, doch niemand weiß, wie hoch er genau ist, denn der wird bei Kindern und Jugendlichen nicht einmal erhoben.

Fehlende niederschwellige Angebote und zu wenige Schulpsychologinnen und -psychologen verschärfen die Situation. Im bundesweiten Schnitt kommen auf einen Schulpsychologen beziehungsweise eine Schulpsychologin 6.300 Schülerinnen und Schüler. Psychische Belastungen und Erkrankungen in der Jugend prägen Betroffene ein Leben lang – und sie gehen uns alle etwas an. Denn die gesellschaftlichen Folgen, etwa durch geringere Schulleistungen, ein erhöhtes Risiko von Arbeitslosigkeit und vermehrten Erkrankungen im Alter sind – wissenschaftlich belegt – enorm.

Wie es Betroffenen ergeht, wie deren Versorgung verbessert werden kann und was präventiv zu tun ist, darum geht es in den nächsten Folgen.

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