„Mir tut das Ganze sehr leid“Chef der R+V-Versicherung über Entschädigung für Wirte

Leere Tische und Stühle stehen vor einem Kölner Lokal.
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- Norbert Rollinger, Vorstandschef der R+V Versicherung, spricht im Interview über den Ärger mit Wirten und Hoteliers, weil die Versicherer in der Pandemie angeblich zu wenig zahlen.
- Eine Pandemie sei nicht versicherbar. Die R+V habe trotzdem mehr als 30 Millionen Euro an Gastronomen gezahlt bei nur 500.000 Euro Beiträgen.
- Künftig soll es keine festen Büros mehr bei der R+V und mehr Homeoffice geben – ob er noch ein eigenes Büro haben wird, verrät er im Gespräch.
Herr Rollinger, welche Folgen hatte Corona für die R+V Versicherung?Norbert Rollinger: Aufgrund der Pandemie hatten wir Schäden in Höhe von mehr als 300 Millionen Euro. Das resultiert vor allem aus der Betriebsschließungsversicherung und dem Ausfall zahlreicher Veranstaltungen, die wir versichert hatten. Hinzu kamen noch Ausfälle in der Kreditversicherung.
Das vergangene Jahr war für die R+V Versicherung insgesamt kein starkes. Der Gewinn ist um 70 Prozent eingebrochen. Woran lag es?
Wesentliche Ursache waren der erhöhte Schadenaufwand durch Corona und Bewertungseffekte. Wir haben die Besonderheit, dass wir anders als die meisten Wettbewerber bereits nach den Vorgaben des Standards IFRS 9 bilanzieren müssen, weil wir zur DZ-Bank-Gruppe gehören. Dabei schlagen Schwankungen an den Märkten in der Bilanz stark auf das Kapitalanlage-Ergebnis durch. 2019 hatte die gute Entwicklung an den Kapitalmärkten deshalb zu einem Rekordergebnis geführt. Im zurückliegenden Jahr ist das Ergebnis deutlich geringer ausgefallen.
Warum sind Sie trotzdem zufrieden?
Insgesamt sind wir gut durch die Krise gekommen. Sicherlich hatten wir einen Einbruch, aber auf einer sehr guten Basis. Wir hatten ein Wachstum von über acht Prozent. Das ist weit über dem Markt und das trotz Homeoffice, pandemiebedingten Schließungen der Bankfilialen, wo unsere Produkte verkauft werden. Wir hatten uns vor einiger Zeit das Ziel gesetzt, in der gesamten Gruppe bis zum 100-jährigen Jubiläum der R+V im Jahr 2022 Beiträge in Höhe von 20 Milliarden Euro pro Jahr einzunehmen. Das haben wir schon jetzt fast erreicht.

Norbert Rollinger, Vorstandschef der R&V Versicherung
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Das Ansehen der Versicherer hat enormen Schaden genommen. Bundesweit klagen Hoteliers und Gastronomen gegen die Konzerne, weil sie für die Betriebsschließungen nicht vollumfänglich aufkommen.
Die Versicherungswirtschaft hat die Pandemie in der Betriebsschließungsversicherung rund eine Milliarde Euro gekostet. Der Image-Schaden geht sicher weit darüber hinaus. Trotzdem ein paar Fakten zum Thema: Die Betriebsschließungsversicherung ist eine Nischensparte. Alle Versicherer zusammen haben gerade mal 25 Millionen Euro an Beiträgen dafür eingenommen. Den Hotelier oder Gastronomen kostet sie 200 bis 300 Euro und ist etwa für Fälle wie Schließung wegen Salmonellen-Verseuchung gedacht. In der Pandemie wurden aber nicht einzelne Betriebe geschlossen, sondern auf behördliche Anordnung gleich alle. Das hebelt das Versicherungsprinzip aus, das da lautet: Viele bezahlen und bei wenigen entsteht ein Schaden.
Für viele Betriebe geht es um die Existenz, wäre da nicht etwas mehr Kulanz angemessen?
Der Staat hat sich bereit erklärt, rund 70 Prozent der Schließungskosten zu übernehmen. Der Kompromiss, den die Versicherer auf dieser Basis anbieten, sieht vor, dass sie die Hälfte des ungedeckten Schadens, also 15 Prozent, übernehmen. Wir haben unseren betroffenen Firmenkunden analog dieser sogenannten bayerischen Lösung 15 Prozent der vereinbarten Entschädigung angeboten. Die Beitragseinnahmen belaufen sich bei uns auf 500.000 Euro, ausgezahlt haben wir mehr als 30 Millionen Euro. Bislang hat die R+V noch keinen Prozess verloren, weil unsere Bedingungen eindeutig sind. Trotzdem tut mir das Ganze sehr leid, weil wir unsere Kunden ja zufrieden stellen wollen. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.
Wie lässt sich dieses Thema in Zukunft gestalten?
Kein Mensch hat bei Vertragsabschluss an eine Pandemie gedacht, die letzte ist mehr als 100 Jahre her. Mittlerweile gibt es bei Neuverträgen branchenweit eine klare Formulierung, dass die Folgen einer Pandemie nicht versichert sind. Aber die Branche ist mit der Bundesregierung im Gespräch, ob eine Art Katastrophenfonds in einem solchen Fall sinnvoll ist. Ergebnisse wird es aber wohl erst nach der Bundestagswahl geben.
Blicken wir auf die gesamtwirtschaftliche Lage. Rechnen Sie jetzt, wo die Insolvenzantragspflicht wieder in Kraft ist, mit einer Pleitewelle?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch kein starker Anstieg der Insolvenzen zu sehen, obwohl der Schutz ja bereits zum 1. Mai aufgehoben wurde. Wir haben auf jeden Fall Vorsorge getroffen, um weitere Schäden, etwa in der Kreditversicherung, auffangen zu können. Über welche Größenordnung wir sprechen, da gehen auch bei uns im Haus die Meinungen auseinander. Sicherlich gibt es Risiken etwa im Einzelhandel, auf der anderen Seite sind wir auch stark in den Bereichen Logistik und Bau engagiert, beides Felder, die gerade boomen. Der Staat hilft und es ist mit Nachholeffekten zu rechnen, also sehen wir das positiv und hoffen, dass es glimpflich ausgeht.
Zur Person
Norbert Rollinger, Jahrgang 1964, wurde in Bensberg geboren und wuchs in Köln-Porz auf. Er studierte Rechtswissenschaften und BWL in München und promovierte später in Gießen. Seine Karriere begann er bei der Unternehmensberatung McKinsey in Düsseldorf und Köln. 1995 wechselte er zu den DBV-Winterthur Versicherungen, später dann zur Axa. Ab 2005 arbeitete er für die Generali in München. Im Jahr 2009 wurde er zum Vorstandsmitglied der R+V Versicherung berufen. Seit Januar 2017 ist er Vorstandsvorsitzender der R+V Versicherung mit Sitz in Wiesbaden. Rollinger ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Köln.
Zeigt sich bereits, dass Firmen und Privatkunden ihre Prämien nicht mehr zahlen können?
Nein, das haben wir nicht festgestellt. Im Gegenteil, wir hatten ein starkes Lebensversicherungsjahr. Die Sparquote ist stark gestiegen, weil größere Ausgaben wie etwa für Urlaub, nicht möglich waren. Die Pandemie hat außerdem das Bewusstsein der Menschen für Vorsorge deutlich gestärkt.
Und das trotz niedriger Zinsen. Staaten weltweit haben sich enorm verschuldet, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern.
Diese Verschuldung sorgt mich sehr. Die aufgehäuften Milliardenschulden müssen schließlich irgendwann wieder zurückbezahlt werden. Das heißt, dass die Notenbanken die Zinsen weiterhin künstlich niedrig halten. Denn die Staaten können die gestiegene Schuldenlast bei steigenden Zinsen nicht mehr stemmen. Die niedrigen Zinsen stellen unsere Branche aber vor enorme Herausforderungen.
Werden das alle Versicherer überleben?
Die R+V steht nicht unter besonderer Beobachtung der BaFin so wie etwa 20 andere Unternehmen der Branche. Die Aufsichtsbehörde sieht uns als starken Versicherer. Aber auch wir müssen mit mehreren hundert Millionen Euro jedes Jahr vorsorgen. Und die Renditen, die wir unseren Kunden anbieten können, bewegen sich weiter nach unten. Statt in Bundesanleihen investieren wir heute auch in Anlagen, die eine höhere Rendite versprechen – wie etwa gute Unternehmensanleihen oder Infrastruktur wie Windanlagen oder Schulen.
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Auch die R+V ist mit Beginn der Pandemie komplett ins Homeoffice gewechselt. Ging das reibungslos?
Unser Krisenstab hat sehr schnell und überlegt entschieden. Die Bilder aus dem März des vergangenen Jahres waren dann allerdings skurril. Die Mitarbeiter sind von jetzt auf gleich mit ihren Autos vorgefahren, haben ihre Bürostühle, PCs und Bildschirme eingeladen. Operativ hat alles sehr gut geklappt. Wir haben uns schnell auf neue digitale Konferenz-Formate eingestellt. Unser Außendienst konnte dank Videoberatung und digitaler Unterschrift die Kunden auch aus der Distanz weiter beraten. Und den variabel bezahlten Vertrieblern haben wir mit Vorschüssen geholfen. Ab Mai hatte man sich an den Ausnahmezustand gewöhnt und der Betrieb konnte wieder Fahrt aufzunehmen.
Wie haben Sie als Konzernchef das virtuelle Führen erlebt?
Ich bin selbst für sechs Wochen ins Homeoffice nach Köln gegangen. Wir haben die Taktung der Gesprächsrunden mit den Vorstandskollegen deutlich erhöht und uns mit den Mitarbeitern digital „getroffen“, um das Gemeinschaftsgefühl aufrechtzuerhalten. Natürlich fehlt die persönliche und informelle Kommunikation. Und ein Stück weit geht auch Kreativität verloren. Aber wir alle schätzen mittlerweile die größere Flexibilität.
Wie wird das Arbeiten der Zukunft bei der R+V aussehen?
Wir müssen Büro wieder attraktiver machen, das fängt an bei guter Küche in der Firma. Wir haben in verschiedenen Designwerkstätten neue Konzepte der Zusammenarbeit ausprobiert. Es wird künftig ein Balance-Modell geben, zwei, drei Tage Office, zwei, drei Tage Homeoffice und damit verbunden auch keine festen Arbeitsplätze mehr. Das werden wir in den nächsten Jahren mit 60 Millionen Euro baulich umsetzen. Und es ist klar, langfristig werden wir die Büroflächen verkleinern.
Werden Sie persönlich noch ein Büro haben?
Wir haben dazu viele Diskussionen im Vorstand geführt und sind zu dem Schluss gekommen, dass auch wir ein neues Zusammenarbeits- und Raumkonzept für uns entwickeln wollen. Dabei werden wir darauf achten, dass sich unsere Aufgaben in der Arbeitsumgebung widerspiegeln.
Sie sind gebürtiger Kölner. Wie erleben Sie den Wandel der Stadt?
Zu langsam in jeder Hinsicht, ob es die diversen Baufortschritte sind – Oper, Deutzer Hafen, Großmarkt, 1. FC Köln – oder die Digitalisierung der Stadtverwaltung. Es fehlt oft die Ambition, die Ausdauer und der „Biss“ in der Umsetzung, da der Rheinländer an sich schnell mit auch mangelhaften Zuständen zufrieden ist – er ist halt Optimist und kompensiert dies mit dem oben erwähnten „Köln-Gefühl“, für das viele ihn allerdings auch bewundern, inklusive der Kölner selbst.