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Kommentar zum AutoDie Klientel-Politik der FDP ist kaum noch zu ertragen

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Bundesverkehrsminister Volker Wissing (l.) und Finanzminister Christian Lindner am Kabinettstisch

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (l.) und Finanzminister Christian Lindner

Blockade beim Verbrenner-Aus, beim Tempolimit und Ausbau der Autobahnen: Die Verkehrspolitik der FDP schadet Deutschland.

Wenn die FDP die gleiche Kreativität wie beim Thema Auto auch beim Ausbau der Schiene oder des Radverkehrs an den Tag legen würde, wäre viel gewonnen. Aktuell drohen die Liberalen mit einem Veto beim EU-weit geplanten Aus für Neuzulassungen von Autos mit Verbrennermotoren ab 2035 – obwohl Deutschland eigentlich schon zugestimmt hatte.

Am Dienstag sollte die Entscheidung eigentlich fallen, seit Freitag steht fest: Die endgültige Entscheidung über das pauschale Verbrenner-Aus in der EU wird verschoben. Zuvor war Parteichef Christian Lindner Verkehrsminister Volker Wissing zur Seite gesprungen. Es soll Ausnahmen für synthetische Kraftstoffe geben, darauf beharrt man. Dass diese zwar klimaneutral, aber im Vergleich zu E-Autos hochgradig ineffizient sind, scheint in der Argumentation keine Rolle zu spielen.

Diese Meldung reiht sich ein in Entscheidungen aus dem Verkehrsministerium, die immer schwerer nachzuvollziehen sind. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Verkehrssektor laut Klimaschutzgesetz den Vorgaben mehr als hinterherhinkt. Tempolimit? Mit der FDP nicht zu machen – obwohl jüngste Untersuchungen des Umweltbundesamtes ergaben, dass sich hier viel mehr Emissionen einsparen lassen als lange gedacht. Priorität der Schiene gegenüber dem Auto? Fehlanzeige, der Autobahn-Ausbau soll intensiviert werden. Dabei wurden offenbar die Auswirkungen auf die CO₂-Emissionen laut BUND und Greenpeace klein gerechnet.

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Volker Wissing macht Politik für alte weiße Männer

Es drängt sich immer mehr der Eindruck auf: Verkehrsminister Wissing macht Politik für alte weiße Männer, die allein in Dienstwagen mit Tempo 180 über die Autobahn rasen. Sie sollen noch besser ausgebaute Strecken bekommen, eine Geschwindigkeitsbegrenzung ist nicht zumutbar, und ein Umstieg auf die Bahn schonmal gar nicht. Sinnvolle, zukunftsorientierte Entscheidungen sehen anders aus. Das ist ganz offensichtlich reine Klientelpolitik.

Es ist wirklich niemandem zu erklären, dass in Deutschland als nahezu einzigem Land Europas auf vielen Autobahn-Abschnitten ohne Begrenzung aufs Gaspedal getreten werden darf. Dass sich hier auf absehbare Zeit trotz Regierungsbeteiligung der Grünen nichts ändern wird, ist traurig. 

Das Thema Verkehrspolitik besitzt Ampel-Sprengstoff: Die Differenzen dürften bei der Kabinettsklausur am Sonntag und Montag im brandenburgischen Meseberg offen zutage treten. Zuletzt hatte der Chef der Grünen Jugend, Timon Dzienus, die Blockade der FDP hart kritisiert und von der SPD, speziell Kanzler Olaf Scholz, eine Positionierung für den Klimaschutz gefordert.

Auch Nicht-Autofahrer leiden unter Individualverkehr

Bei der FDP dreht sich alles um die vermeintliche Freiheit, die der Deutsche angeblich durchs Auto gewinnt. Darauf beharrte am Donnerstagabend auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr bei „Markus Lanz“, der den Moderator mit seiner Haltung zur Verzweiflung brachte.

Dass diese Freiheit aber zum einen mit massiven Schäden an der Umwelt einhergeht, zudem die Freiheit von anderen Bevölkerungsgruppen einschränkt, bleibt in der Argumentation außen vor. Nicht einmal die Hälfte der Gesamtbevölkerung nutzt das Auto laut einer Statistik von 2021 für den Individualverkehr, muss aber Auswirkungen auch bei Lärm und Schadstoffen in Kauf nehmen. Parkplätze in den Städten blockieren außerdem Raum, der besser für Radwege, Grünflächen oder Gastronomie genutzt werden könnte.

Die viel beschworene Krankenschwester, die für ihren Schichtdienst auf das Auto angewiesen ist, wird mit ihrem Kleinwagen kaum Tempo 180 oder mehr erreichen. Für sie wäre es sinnvoll, funktionierende Verbindungen im ÖPNV zu haben. Sie wird sich ohnehin nicht bei der FDP für allzu viel Engagement für Geringverdiener bedanken.

Wirtschaftlich sinnvoll ist das Beharren auf dem Verbrenner auch nicht, denn die Industrie braucht Planungssicherheit. Wenn schon Auto, dann Elektro, sollte die Devise sein. Statt E-Fuels das Wort zu reden, könnte sich Wissing besser auf den Ausbau einer funktionierenden Lade-Infrastruktur in Deutschland konzentrieren, damit auch Langstrecken besser planbar werden. Dann könnten nicht nur Tesla-Fahrer sich auf überall verfügbare und einsetzbare Schnelllader verlassen, sondern alle anderen E-Autofahrer auch.

Bis der alte weiße Dienstwagen-Fahrer freiwillig aus dem Auto steigt, können wir nicht warten. Verbote können helfen. Politik heißt aber auch: Anreize und Alternativen schaffen, damit die Verkehrswende gelingen kann.

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