„Fördermittel kein Selbstbedienungsladen“Scharfe Kritik an Schwarz-Grün für Vorgehen im Rheinischen Revier

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Ein Schaufelradbagger arbeitet im Braunkohletagebau Garzweiler. Im Hintergrund ist die Ortschaft Lützerath zu sehen. Der Kohleausstieg im Rheinischen Revier in Nordrhein-Westfalen soll um acht Jahre auf das Jahr 2030 vorgezogen werden. Angesichts der aktuellen Energiekrise sollen zugleich zwei Braunkohlekraftwerke länger als bisher geplant laufen. Foto: Federico Gambarini/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bis zu 30.000 Arbeitsplätze hängen direkt und indirekt an der Braunkohle im Rheinischen Revier.

Die SPD schlägt einen „Revier-Pakt“ vor, um den Strukturwandel im Rheinischen Revier gemeinsam mit der schwarz-grünen Landesregierung zu bewältigen.

Es ist vor allem ein Appell, der an diesem Donnerstag im Medio Rhein-Erft zu hören ist, so oft, dass er zwischen Mantra und Floskel schwankt: „Wir müssen endlich ins Machen kommen“. Die SPD-Landtagsfraktion hat als größte Oppositionspartei zur „Revierkonferenz“ nach Bergheim geladen, um gemeinsam mit Arbeitnehmervertretern den Strukturwandel im Rheinischen Revier zu diskutieren. Hier fordert sie einen „Revier-Parkt“, um die Transformation voranzubringen.

Was kritisieren SPD und Gewerkschaften?

NRW wird im Jahr 2030 aus der Kohle aussteigen – so hat es die schwarz-grüne Landesregierung beschlossen. Nach Ansicht der Sozialdemokraten gibt es bei der Frage, wie der daraus resultierende Strukturwandel bewältigt werden soll, aber viel zu wenig Klarheit.

SPD Unterbezirk Köln, Pressegespräch mit den Kölner SPD-Landtagsabgeordneten zur Neuaufstellung, Jochen Ott und Lena Teschlade, 25.08.2022, Bild: Herbert Bucco

SPD-Abgeordnete Lena Teschlade und SPD-Fraktionschef Jochen Ott. (Archivbild)

Eigentlich stünden für den Strukturwandel genug Mittel zur Verfügung, sagte Jochen Ott, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Insgesamt gibt es von Land und Bund 14,6 Milliarden Euro. „Niemals zuvor stand so viel Geld für einen Strukturwandel zur Verfügung. Und niemals zuvor wurde so wenig daraus gemacht.“ Der Region seien viele Versprechungen gemacht worden, was die Schaffung neuer und guter Arbeitsplätze angehe. „Aber bis heute ist überhaupt nicht klar, welche das sein sollen.“

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Was schlagen sie vor?   

Die SPD will – in Anlehnung an den von Olaf Scholz geforderten „Deutschland-Pakt“ – einen „Revier-Pakt“ für NRW. „Die Transformation kann nur gelingen, wenn sich Regierung und Opposition, Gewerkschaften und Arbeitgeber unterhaken und die Herausforderungen gemeinsam angehen“, sagte Lena Teschlade, SPD-Abgeordnete und Verantwortliche für das Thema Strukturwandel.

Für ihren „Revier-Pakt“ sieht die SPD sieben Grundsätze vor. So müsse beispielsweise die Schaffung von Arbeitsplätzen wieder zur Priorität Nummer eins bei der Strukturförderung werden. Dazu fordert die Landtagsfraktion einen verbindlichen Zeit-Maßnahmen-Plan, der zeige, „wann welche Arbeitsplätze wegfallen und welche nachkommen.“ Auch das EU-Beihilferecht, was bislang häufig direkte Investitionen in die Industrie verhindert, wollen die Sozialdemokraten anpacken. Außerdem solle NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) den Strukturwandel zur Chefsache machen.

Wie steht es derzeit um die Strukturhilfen?

Schon seit längerem gibt es Kritik an der bisherigen Förderstruktur der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR), die die 14,6 Milliarden Euro Strukturhilfe verwaltet. Die Prozesse gelten als zu kompliziert und bürokratisch, Kommunen beklagten in der Vergangenheit außerdem, dass viel Geld in Forschung und wenig an die Anrainerkommunen selbst gehe. Auch die Industrie geht infolge des EU-Beihilferechts überwiegend leer aus. NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur (Grüne) kündigte schon vergangenes Jahr an, die Förderung zu prüfen und zu überarbeiten, Ergebnisse werden bald erwartet.

„Es muss Schluss damit sein, dass die Landesregierung die Fördermittel für das Rheinische Revier als Selbstbedienungsladen nutzt, um all das zu finanzieren, was in der Region noch wünschenswert ist“, forderte Anja Weber, Vorsitzende des DGB-NRW, in einer Videobotschaft. „Klipp und klar: Für Hockeyanlagen in Mönchengladbach oder Reitanlagen in Aachen ist dieses Geld nicht gedacht“, sagte sie in Anspielung auf zwei kontrovers diskutierte Sportprojekte, die bereits Förderzusagen erhalten haben.

Wie steht es um die Sicherung von Arbeitsplätzen?

Allein bei RWE werden durch den Kohleausstieg 14.000 Arbeitsplätze wegfallen. Manfred Maresch vom DGB bezifferte die Stellen, die zusätzlich bei Zulieferunternehmen verloren gehen, auf 15.000. Doch konkrete Zahlen zur Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze gibt es bislang kaum. So konnte die ZRR auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ keine Angabe dazu machen, wie viele Industriearbeitsplätze bereits gesichert worden seien. Nachrichten zur Ansiedelungen neuer Unternehmen fehlen bislang ebenfalls.

Michael Roth, SPD-Stadtrat in Eschweiler und Betriebsrats am RWE-Kraftwerk Weisweiler

Michael Roth, SPD-Stadtrat in Eschweiler und Betriebsrat am RWE-Kraftwerk Weisweiler

Bei Arbeitnehmervertretern führt die derzeitige Situation zu Frustration: „Wir werden Jobs für die Mittelschicht brauchen. Wir können in der Region nicht nur von Wissenschaft und Gesundheit leben. Es braucht mehr als nur Leuchtturmprojekte“, sagte Michael Roth, SPD-Mitglied im Rat der Stadt Eschweiler und Teil des Betriebsrats am RWE-Kraftwerk Weisweiler. Die finanziell klammen Kommunen bräuchten Geld und Gewerbeflächen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Stefan Frambach, stellvertretender Betriebsratschef im RWE-Kraftwerk in Niederaußem, beklagte, er sehe weiter keine Antworten der Politik auf die Probleme vor Ort.

Was sagt die Landesregierung und die zuständige „Zukunftsagentur Rheinisches Revier“?

Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte das von Mona Neubaur (Grüne) geführte NRW-Wirtschaftsministerium Anfang der Woche darauf verwiesen, man arbeite mit der Landesgesellschaft NRW Global Business „intensiv daran“, dass tarifgebundene Jobs im Rheinischen Revier realisiert würden. Es seien mehrere Unternehmen interessiert, sie müssten nun gezielt unterstützt werden. Die ZRR sprach von „guten Ausgangsbedingungen“, es werde ein „breit aufgestellter Werkzeugkoffer“ von Förder- und Beratungsangeboten bereitgestellt.

Neben der überarbeiteten Förderung will die schwarz-grüne Landesregierung im Herbst auch ihre neue Leitentscheidung für den vorgezogenen Kohleausstieg vorstellen. Dort soll geregelt werden, wie die Flächen in der Braunkohleregion künftig genutzt werden.

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