Beruf im WandelKölner Polizeireporter von 1973 und heute im Gespräch

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Zwei Generationen Polizeireporter: Tim Stinauer (l.) ist seit 2007 Redakteur beim „Kölner Stadt-Anzeiger“, Günther Braun war es zwischen 1973 und 2007.

Zwei Generationen Polizeireporter: Tim Stinauer (l.) ist seit 2007 Redakteur beim „Kölner Stadt-Anzeiger“, Günther Braun war es zwischen 1973 und 2007.

Köln – Günther Braun, früher Polizeireporter des „Kölner Stadt-Anzeiger“, und sein Nachfolger Tim Stinauer  sprechen über  ihren Beruf im Wandel der Zeit.

Ständiger Kampf gegen die Uhr

Auf dem Tisch liegen zwei Smartphones. Rotes Licht zeigt eine laufende Aufnahme an. Die beiden Männer am Tisch diskutieren über ihren Beruf: Polizeireporter. Seit zehn Jahren erfüllt Tim Stinauer beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ diesen Job. Günther Braun hatte ihn in den 1970er und 1980er Jahren inne. In diese Zeit fiel unter anderem das Geiseldrama von Gladbeck von 1988. Die Reporter fachsimpeln über das Abhören des Polizeifunks. Sie sprechen über Bilder, die sie nie mehr vergessen werden, über den ständigen Kampf gegen die Uhr – und über den Wandel der Technik. So wird auch das Handy auf dem Tisch, das als Diktiergerät fungiert, gleich zum Thema.

Günther Braun: So haben wir das früher nicht gemacht. Ich musste alles mitschreiben. Irgendwann habe ich mir ein Bandgerät angeschafft – so groß, dass ich es nur mit Mühe und Not in die Tasche stecken konnte. Aber davor hieß es immer nur: schreiben, schreiben, schreiben.

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Tim Stinauer: Wie seid ihr denn damals – so ganz ohne unsere heutigen technischen Hilfsmittel – an eure Geschichten gekommen?

Braun: Wir haben kontinuierlich den Polizeifunk abgehört. Manchmal Tag und Nacht. Ich hatte zu Hause einen Scanner von der Größe einer kleinen Zigarrenkiste. Der musste mit Quarzen programmiert werden. Bei uns gab es nur einen Kollegen, der die Quarzfrequenzen für die einzelnen Kanäle ausrechnen konnte.

Stinauer: Ich hatte als Jugendlicher einen kleinen, ollen Schwarz-Weiß-Fernseher mit eingebautem Radio. Da landete man, wenn man den Regler bis ganz nach links drehte, auch beim Polizeifunk. Heute bekommst du über diesen Weg nichts mehr mit, weil alles digital läuft.

Braun: Überhaupt nichts mehr?

Stinauer: Die Polizei funkt nur noch digital.

Braun: Und die Feuerwehr?

Stinauer: Feuerwehr und Rettungsdienst funken noch analog. Aber da läuft natürlich sehr viel weniger. Wir nutzen das schon lange nicht mehr.

„Ich habe den Polizeifunk bis vier Uhr morgens laufen lassen“

Braun: Das war für uns manchmal trotzdem eine wichtige Quelle. Zum Beispiel bei großen Bränden: Wenn sie anfingen, wild durcheinanderzureden, dann wusstest du, dass etwas passiert war. In meinen letzten Jahren als Polizeireporter habe ich den Polizeifunk bis vier Uhr morgens laufen lassen.

Stinauer: Deine arme Frau.

Braun: Wir konnten dabei schlafen – einigermaßen. Wenn die Beamten anfingen, rumzuschreien, sind wir allerdings wachgeworden. Als ich als Polizeireporter aufgehört habe, fragte mich ein Kollege, ob ich jetzt nicht etwas vermissen würde. Da habe ich gesagt: „Wenn du zum ersten Mal nach 20 Jahren durchschlafen kannst, vermisst du nichts.“

Stinauer: Heute werden alle Polizeireporter – zum Beispiel bei einem großen Feuer oder einem schweren Verkehrsunfall – von der Polizei oder der Feuerwehr über eine SMS informiert. Sie geben uns das Einsatzstichwort und den Ort durch. Vieles läuft aber auch über soziale Medien. Wenn du auf einen Facebook-Eintrag stößt, „Rauchpilz über Holweide“, dann wirst du hellhörig und fragst bei der Polizei nach.

Braun: Das gab es in dieser Form früher natürlich nicht. Ein Leser, der unterwegs etwas bemerkte, musste ja mindestens bis zur nächsten Telefonzelle laufen, um uns zu erreichen. Ich selbst bin bei Geiselnahmen am Tatort oft zum nächstgelegenen Haus gegangen: „Hallo, ich bin vom »Kölner Stadt-Anzeiger« – darf ich Ihr Telefon benutzen?“ Und dann habe ich mich zu ihnen ins Wohnzimmer gesetzt.

Stinauer: Wahrscheinlich bist du danach zum Schreiben in die Redaktion gefahren? Wenn ich unterwegs bin, ist das Thema oft so aktuell, dass es nicht bis zu meiner Rückkehr an den Schreibtisch warten kann. Dann tippe ich das Wichtigste ins Handy, schicke es in die Redaktion, und ein paar Minuten später steht es schon online. Auf Großdemonstrationen, wo wir mit mehreren Kollegen vor Ort sind, kommunizieren wir direkt über WhatsApp-Gruppen: Jeder schreibt seine Infos hinein, und in der Redaktion sitzt jemand, der daraus einen Live-Ticker macht.

Braun: Wenn bei uns um 10 Uhr morgens etwas Größeres passierte, hatten wir im Normalfall bis 19 Uhr Zeit zum Schreiben.

Stinauer: Das ist ja ein Traum.

Juli 2007, Gertrudenstraße in Köln: Nach einem Leichenfund in der Salatbar „Supasalad“ hat die Polizei den Tatort abgesperrt, um ungestört arbeiten zu können. Anwohner, Passanten oder Journalisten haben keinen Zugang.

Juli 2007, Gertrudenstraße in Köln: Nach einem Leichenfund in der Salatbar „Supasalad“ hat die Polizei den Tatort abgesperrt, um ungestört arbeiten zu können. Anwohner, Passanten oder Journalisten haben keinen Zugang.

Braun: Einmal saß ich am Freitagnachmittag in der Kantine des Polizeipräsidiums zusammen mit einem Kollegen von der „Bild“-Zeitung und einem von der Deutschen Presseagentur, glaube ich. Um 16.30 Uhr stellte sich heraus, dass gerade ein Mordfall aufgeklärt worden war. Das darf doch wohl nicht wahr sein, haben wir uns gesagt. Jetzt noch das Blatt umschmeißen? Da haben wir kurzerhand entschieden: Das machen wir heute nicht mehr. Wir haben dann den Pressesprecher vergattert. Er sollte die Geschichte erst am Montag aufklären. Und so ist es auch passiert.

Stinauer: Mal angenommen, das passierte heute: Wir säßen um 16.30 Uhr mit den Kollegen in der Kantine, und so eine Information käme rein. Um 16.35 Uhr wäre die erste Eilmeldung draußen.

Braun: Das war auch die absolute Ausnahme. Wir haben nicht regelmäßig Nachrichten verschoben. Aber in dem Fall: Es war Freitagnachmittag. Wo wir doch sowieso alle keine Lust hatten …

Stinauer: Inzwischen kommt ja längst auch die Konkurrenz aus dem Internet hinzu: Blogs, soziale Medien. Ein großer Unterschied zwischen vielen privaten Einträgen und professionellem Journalismus ist, dass wir uns – bei aller gebotenen Eile – immer erst vergewissern, ob etwas stimmt, bevor wir damit online gehen. Wir recherchieren Informationen zum Beispiel bei der Polizei und der Feuerwehr gegen. Auch, wenn das zwei, drei Minuten länger dauert. Gab es zu deiner Zeit überhaupt eine Pressestelle bei der Polizei?

Braun: Ja, einen Pressesprecher und die Sekretärin.

Stinauer: Eine Sekretärin gibt es heute nicht mehr. Dafür aber elf Pressesprecher.

Braun: Elf! Also, wir sind fast jeden Morgen vor dem Dienst persönlich im Polizeipräsidium rumgelaufen …

Stinauer: ... Ihr seid einfach über die Flure gegangen? Da kommst du heute ohne Chipkarte gar nicht mehr rein.

Braun: Wir haben systematisch die Büros abgeklappert. Ich war normalerweise im Hochhaus am Waidmarkt unterwegs. Da lagen die Kommissariate 1 bis 14. Ich habe vom zwölften Stock bis runter in den ersten die Büros durchgekämmt.

Stinauer: Jeden Tag?

Braun: Fast jeden Tag, ja. Tür auf: „Tach zusammen, wie isset?“

Stinauer: Heute würde man dich da hochkant rausschmeißen.

Braun: Das haben sie schon damals immer wieder versucht. Denen war es natürlich auch nicht recht, dass wir da freihändig rumliefen. Aber wenn du Glück hattest, trafst du im Flur jemanden, der dir gesagt hat: „Hör mal, heute in der Dienstbesprechung, im Kommissariat soundso, da ist irgendwas.“ So bist du auch auf Themen gestoßen.

Stinauer: Unsere Hauptinformationsquelle ist die Pressestelle. Aber inoffizielle Kontakte sind mindestens so wichtig. Dass es Beamtinnen und Beamte gibt, die einem auch an der Pressestelle vorbei etwas sagen. Ohne das geht es nicht.

Braun: Das sind ja auch häufig die interessantesten Sachen.

Silvester 2015,Bahnhofsvorplatz in Köln: Hunderte teils angetrunkene Männer bestehlen Passanten, belästigen Frauen. Es sind die Medien, vor allem „Kölner Stadt-Anzeiger“ und EXPRESS die in den Tagen danach das wahre Ausmaß der Ereignisse aufdecken.

Silvester 2015,Bahnhofsvorplatz in Köln: Hunderte teils angetrunkene Männer bestehlen Passanten, belästigen Frauen. Es sind die Medien, vor allem „Kölner Stadt-Anzeiger“ und EXPRESS die in den Tagen danach das wahre Ausmaß der Ereignisse aufdecken.

Stinauer: Ja. Bei der Aufklärung der Kölner Silvesternacht 2015 zum Beispiel war das sehr wichtig. Der Eindruck, den am Einsatz beteiligte Beamte an uns weitergegeben haben, war ein ganz anderer als der, den die Behörde nach außen kommuniziert hat. Und wie sich schnell herausgestellte, zeichneten die Beamten das deutlich realistischere Bild. Damit konnten wir die Behördenleitung dann konfrontieren. Das hat die journalistische Aufklärung dieser Nacht ungeheuer vorangetrieben.

Braun: Bei uns versuchte die Behördenleitung immer, solchen Käse unter der Decke zu halten: „Das wird intern aufgearbeitet, da können wir noch nichts zu sagen.“ So gingen die Ausreden damals.

Stinauer: Die haben sich bis heute nicht verändert.

Braun: „Der Sachverhalt ist noch nicht ausermittelt.“

Stinauer: „Laufendes Verfahren.“

Braun: „Unschuldsvermutung.“

Stinauer: Und dann stehst du da.

Braun: Die haben ja auch Angst: „Hinterher schreibt der was Falsches, dann krieg ich eins auf die Zwiebel.“ Die Beamten, die mit uns sprechen, müssen sich darauf verlassen können, dass wir ein Schweigerecht haben. Ich weiß nicht, wie oft der Polizeipräsident zu mir gekommen ist: „Wer hat Ihnen das denn wieder erzählt?“

Stinauer: Ihr habt damals aber teilweise auch ganz anders – enger – mit der Polizei zusammengearbeitet, oder? Ihr habt sogar manchmal für sie Tatorte fotografiert?

Braun: Das haben unsere Fotografen oft gemacht. Welcher Polizist hatte denn eine Kamera bei sich? Manchmal haben sie die Kollegen angerufen in der Hoffnung, einer von denen kommt schnell vorbei und macht die Bilder.

August 1988, Breite Straße in Köln: Dieter Degowski, einer der beiden Geiselgangster von Gladbeck, hält der 18-jährigen Silke B. im Auto eine Pistole an den Hals. Der Wagen ist von Schaulustigen und Journalisten umlagert – von der Polizei keine Spur.

August 1988, Breite Straße in Köln: Dieter Degowski, einer der beiden Geiselgangster von Gladbeck, hält der 18-jährigen Silke B. im Auto eine Pistole an den Hals. Der Wagen ist von Schaulustigen und Journalisten umlagert – von der Polizei keine Spur.

Stinauer: Die Polizei ist heute wesentlich professioneller aufgestellt, auch in ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Das hat unter anderem mit der Geiselnahme von Gladbeck 1988 zu tun. Danach hat sich einiges geändert. Glaubst du, dass so etwas wie Gladbeck heute noch einmal passieren könnte?

Braun: Ja. Das muss ich leider sagen.

Stinauer: Ich denke, dass es sehr viel unwahrscheinlicher ist. Die Polizei lässt Journalisten und Passanten gar nicht mehr so nah an eine solche Situation heran.

Braun: Der Grundsatz galt aber auch damals. Deshalb habe ich mich so aufgeregt, als die Presse und die Entführer plötzlich losfuhren. Mir war klar, dass das schlimm ausgehen würde, na ja, zumindest schlimm ausgehen konnte. Von der Bremer Polizei war weithin bekannt, dass sie bei großen Lagen nichts auf der Rolle hatte.

Stinauer: Obwohl die Situation auf der Breite Straße in Köln auch nicht optimal gelaufen ist.

Braun: Nein, das war schlimm. Ich habe oben am Fenster gestanden, in meinem Büro, und konnte alles haarklein beobachten. Und wenn der Rösner die Waffe gehoben hat, bin ich in Deckung gegangen. Das war beklemmend.

Juni 1977 bei Groningen, Niederlande: Schaulustige betrachten einen beschädigten Zug, in dem Aktivisten der molukkischen Minderheit Geiseln gehalten hatten. Günther Braun war damals als Reporter vor Ort. Heute sperrt die Polizei Tatorte weiträumig ab.

Juni 1977 bei Groningen, Niederlande: Schaulustige betrachten einen beschädigten Zug, in dem Aktivisten der molukkischen Minderheit Geiseln gehalten hatten. Günther Braun war damals als Reporter vor Ort. Heute sperrt die Polizei Tatorte weiträumig ab.

Stinauer: Ein kollektives Versagen, auf beiden Seiten, Polizei und Medien. Andererseits macht es einen guten Reporter aus, dass er so nahe wie möglich an das Geschehen herankommen will. Um zu gucken, zu hören, zu fühlen. Ethische, presse- und strafrechtliche Grundsätze muss er dabei natürlich auch immer im Kopf haben.

Braun: Wir haben die Pflicht, in schwierigen Situationen Informationen zu sammeln.

Stinauer: Dabei kommt man auch nicht drum herum, Situationen zu erleben, die einen persönlich sehr berühren. Bei uns vor dem Verlag, auf der Amsterdamer Straße, gab es beispielsweise einmal einen schweren Verkehrsunfall. Als wir ankamen, war die Leiche abgedeckt, aber der Kofferrauminhalt des völlig zerstörten Autos lag verteilt auf der Straße: ein Bobbycar und Kinderklamotten. Und sich dann vorzustellen: Da sitzt jetzt gerade eine Familie zu Hause, deren Welt wird in wenigen Minuten so tief erschüttert … So etwas finde ich meistens schlimmer als zum Beispiel den Anblick einer Leiche.

Braun: Wir erleben traumatische Dinge. Das bleibt nicht aus. Die Kunst ist, es das vernünftig aufzuschreiben. Wenn das gelingt, dann hat man – damals wie heute – den Beruf ein Stück weit verstanden.

Aufgezeichnet von Eliana Berger

Zu den Personen

Günther Braun

Günther Braun

Günther Braun

Günther Braun (70) begann seine Laufbahn als Redakteur 1969 in der Lokalredaktion Bergisch Gladbach des „Kölner Stadt-Anzeiger“. 1971 bis 1973 schrieb er für den EXPRESS, ehe er zum „Stadt-Anzeiger“ zurück wechselte. Er arbeitete dort zunächst in der Panorama-Redaktion mit Schwerpunkt Kriminalberichterstattung. Zwischen 1977 und 1989 war Braun Polizeireporter, danach viele Jahre Redakteur im Ressort Land/Region. Seit 2007 ist er im Ruhestand. Günther Braun lebt in Bergisch Gladbach.

Tim Stinauer

Tim Stinauer

Tim Stinauer

Tim Stinauer (40) arbeitete seit 1999 als freier Journalist für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ sowie für Nachrichtenagenturen und den WDR. Seit 2007 ist er Redakteur beim „Kölner Stadt-Anzeiger“, zuständig für die Polizeiberichterstattung in der Kölner Lokalredaktion. Für seine Recherchen und Reportagen wurde Stinauer mehrfach ausgezeichnet, zuletzt  mit dem „Wächterpreis“ (im Redaktionsverbund) für dieBerichterstattung über die Kölner Silvesternacht sowie mit dem Ralf-Dahrendorf-Preis.

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