Nachhaltig reisenMit dem Nachtzug von Köln nach Innsbruck, Narvik oder Florenz

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Wer um Viertel nach zehn in Köln in den Nachtzug steigt, wacht morgens um neun in Innsbruck auf.

Köln – Am schönsten ist das Aufwachen. Das Bett schaukelt und rattert leise von unten und draußen vor dem Fenster fliegen Wiesen vorbei, Sonnenblumenfelder, ein paar Kühe, Flussbiegungen. Jetzt noch frühstücken und dann bleibt kaum noch Zeit für den Gedanken „Wann sind wir endlich da?“, denn eine der schönsten Eigenschaften eines Nachtzugs ist: Er ist schon am Ziel, wenn sich der Tag gerade anschickt anzufangen.

Der wohl glamourösteste Nachtzug der Literaturgeschichte rollt von Istanbul nach Frankreich und ist Schauplatz von Agatha Christies Krimi „Mord im Orientexpress“. James Bond entdeckt im Schlafwagen in „Liebesgrüße aus Moskau“ Blutrünstiges.

Schicksalsgemeinschaft für eine Nacht

Der Nachtzug ist geheimnisvoll, er schweißt seine Reisenden für die Dauer einer ganzen Nacht zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Er ist intim, er ist romantisch. Er ist ein Sammelbecken für verschiedene Kulturen, die an unterschiedlichen Stationen zusteigen und sich übereinanderliegend begegnen. Er ist Ort der Transformation, eine Zwischenwelt, man ist aufgebrochen, aber noch nicht angekommen. Ein Fenster der Möglichkeiten in unserem eng getakteten Alltag der Vorhersehbarkeiten. Wie geschaffen für Begegnungen, Selbstentdeckung und überraschende Wendungen.

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LiegewagenDBÖBB

Aus der Nachtzug-Bestandsflotte der ÖBB wurden 22 Sitzwagen zu Multifunktions-Liegewagen umgebaut.

Der Nachtzug schien schon ein wenig aus der Mode gekommen, da arbeitete er sich angetrieben von Flugscham und dem Bedürfnis nach nachhaltigen Reisemodellen langsam aber sicher wieder in den Vordergrund. Die Österreichischen Bahner der ÖBB schienen ihrer Zeit voraus, als sie Anfang 2017 – die Deutsche Bahn hatte ihre Nachtzüge gerade wegen angeblicher Unrentabilität eingestellt - den ÖBB Nightjet ins Leben riefen. Sie behielten Recht, denn schon in den ersten drei Monaten übertrafen die Fahrgastzahlen alle Erwartungen. Seither steigen die Nutzerzahlen von Jahr zu Jahr kontinuierlich um etwa 20 Prozent. Auf 2020 gut eineinhalb Millionen Kunden jährlich.

Und so kann man heute von Köln aus per Nachtzug zum österreichischen Nachbarn reisen, nach Innsbruck oder nach Wien. Erst kürzlich verkündete der ÖBB 22 Sitzwagen aus der Nachtzug-Bestandsflotte zu Multifunktionsliegewagen mit vier komfortablen Reisebetten umzubauen.

Und auch ein Startup aus den Niederlanden bietet seit diesem Sommer Rundreisen mit dem Nachtzug an. So kann man mit Greencityline beispielsweise über Nacht von Köln über Bozen und Verona nach Venedig reisen (ab 189 Euro im Liegewagen) und drei Tage später wieder nachts retour. Auch im Angebot: Köln über Mailand und Bologna nach Florenz (ab 199 Euro im Liegewagen). Wer in Prag aufwachen will, kann den Green 01 in Dortmund besteigen (ab 159 Euro im Liegewagen).

Buchungsprozess und Streckennetz sind verbesserungswürdig

Bislang gibt es noch einiges zu verbessern. „Der Buchungsprozess ist ein großes Problem“, sagt zum Beispiel Bernhard Knierim, Referent bei der Allianz Pro Schiene. Da die Bahnunternehmen der einzelnen Länder nicht oder ungenügend zusammenarbeiteten, sei das System fragmentiert. „Hier wäre unserer Meinung nach die EU gefragt. Sie könnte ein europäisches Streckennetz ausarbeiten und einen Wagenpark vorhalten, aus dem dann einzelne Transportunternehmen Züge und Wagons mieten könnten“, sagt Knierim.

Und dann müsse natürlich Chancengleichheit gegenüber dem Flugverkehr her. „Im Flieger zahlen sie keine Mehrwertsteuer und Kerosinsteuer, sobald es über die Grenze geht. Bei der Bahn haben wir Trassengebühren, Steuer, EEG-Umlage.“ Trotzdem ist er optimistisch: „Es gibt einige Startups, die sich in der Branche versuchen, das gibt mir Hoffnung.“

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Im Nachtzug ist es eng, aber gemütlich. Autorin Claudia Lehnen hat es ausprobiert.

Fragt man andere Nachtzug-Experten wie Michael Lehmann, Professor im Fachgebiet Eisenbahnwesen im internationalen Kontext an der Fachhochschule Erfurt, dann gehört dem Nachtzug durchaus die Zukunft. „Gerade für Geschäftsreisen, wo man um neun Uhr da sein muss, ist der Nachtzug ideal. Für Privatreisende erlaubt er einen geschmeidigen Einstieg in den Urlaub“, sagt er. Außerdem sei es nicht weniger als ein Abenteuer. „Wo kann man schon in Wien einschlafen und morgens unter Palmen in Livorno aufwachen?“

Von Berlin nach Narvik in drei Nächten

Aber auch Richtung Norden können Reisende weit kommen, wenn sie mehrere Teilstrecken aneinander reihen. Knierims Lieblingsreise startete in Berlin, erstmals aufwachen in Kopenhagen, dann in Stockholm und zu guter Letzt im norwegischen Narvik, nördlich des Polarkreises.

Wer erstmal mit einer Nacht loslegen will, der kann von Köln nach Innsbruck reisen. Das Klimaargument ist relativ deutlich. Während eine Einzelperson bei einem Flug nach Innsbruck etwa 114 kg CO2 auspustet, verursacht die Reise per Nachtzug gerade mal 18 Kilogramm. Los geht es um 22.16 Uhr am Hauptbahnhof in Köln.

Klimafreundlich von Köln nach Innsbruck

Wer ein wenig Komfort schätzt, buche sich einen Schlafwagen. Der ist ausgestattet mit bis zu drei übereinander liegenden Pritschen mit dünner Matratze. Jeder Reisende bekommt eine Decke und ein Kissen sowie ein Willkommenspaket inklusive Puschen, Ohrstöpsel, Wasserflasche, Piccolo, Knabbersachen. Misanthropen buchen einen Schlafwagen für sich alleine – natürlich gegen Aufpreis.

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Wer im Wirtshaus Der Stern eincheckt, erlebt nicht nur Österreichs erstes nachhaltiges Hotel, sondern hat auch Ausblick auf vom Skitourismus unberührte Bergwelten.

Und während alle noch ihr Gepäck verstauen und sich über eine kleine Eisenleiter zu ihren Schlafplätzen empor hangeln, ist der Zug schon längst unterwegs: Bonn, Koblenz, Mainz, Frankfurt, Würzburg, Nürnberg, Augsburg, München, Rosenheim, Kufstein, Wörgl, Jenbach, Innsbruck. Geschlafen wird je nach Biorhythmus bis Augsburg (halb sieben), München (kurz vor acht) oder Rosenheim (neun Uhr). Dann gibt es am Abend zuvor bestelltes Frühstück aus Brötchen, Joghurt, Kaffee, Belag (wählbar sind bis zu sechs Komponenten) und um Viertel nach neun ruft die Sprungschanze von Innsbruck dann ein breites Servus ins Abteil.

Absteigen im ersten nachhaltigen Hotel Österreichs

Innsbruck ist für Nachhaltigkeitsfans kein schlechter Ort zum Aussteigen. Denn ist doch Obsteig in Tirol Heimat des ersten nachhaltigen Hotels Österreich. „Der Stern“ am Mieminger Plateau gewährt seinen Gästen, die mit der Bahn anreisen, einen Rabatt auf den Zimmerpreis und holt selbstverständlich kostenfrei vom Bahnhof in Innsbruck ab. Wo man in den skiverrückten 1990ern unglücklich darüber war, dass der bröckelnde Kalkstein des Mieminger Plateaus sich so gar nicht für den Bau von Skischaukeln und Liftanlagen eignete, blickt man heute beseelt auf unversehrte Bergmassive.

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Freizeitgestaltung in den Bergen ist häufig nachhaltig. Wer selbständig wandert, schadet dem Klima kaum-

Der CO2-Verbrauch pro Nächtigung wurde nach Angaben des Hotels von 2010 bis 2013 von 12,5 Kilogramm auf 7,5 Kilogramm reduziert. Im Hotel gibt es Nachhaltigkeits-Challenges ebenso wie Bienenstöcke, Waldyoga, gemüselastiges Essen „mit Butz und Stingl“, was bedeutet, dass auch schon mal Karottenschalen frittiert werden, und ein klimafreundliches Hallenbad, das seinen Gast an allen Ecken aufklärt, wie energiesparendes Baden funktionieren kann.

Fliegen geht in den Bergen auch klimafreundlich

Wer nachhaltige Freizeitgestaltung in den Bergen sucht, kann wenig falsch machen. Mit Ausnahme von Skifahren sind die meisten Aktivitäten ressourcenarm und verbrauchen keine Rohstoffe: Wandern, Klettern, Kayaken, Raften, Moutainbiken. Wer ganz viel „Slow Tourism“ braucht, der macht sich auf ins Bergsteigerdorf Sellrain, das von Mieming aus auf halbem Weg Richtung Kühtai liegt.

Der Ort ist schon seit den 1980er Jahren Teil des „Ruhegebiets Stubaier Alpen“. Hier trocknen die Bergbauern ihr Heu noch auf den traditionellen Stanggern.

Wer dem Klima zuliebe mit dem Zug nach Tirol gereist ist und dennoch ein Freund des Fliegens ist, den kann die Bergwelt mit der Sehnsucht nach der Freiheit in der Luft versöhnen. Wer einen Gleitschirm in den Rucksack packt und ihn selbst den Berg hochträgt, kann anschließend ganz umweltfreundlich ins Tal segeln. „Hike and fly“ erfreut sich in Österreich wachsender Beliebtheit. Einen Gleitschirmschein machen kann man beispielsweise bei der Flugschule Wildschönau.

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Expertentipps für die Nachtzugreise

Ticket: Wer eine längere Reise plant, für den lohnt sich laut Bernhard Knierim ein Interrailticket. Das gibt es auch für Erwachsene. Unter 27- und über-60-Jährige reisen ermäßigt. Vier flexible Tage Bahnfahren in Europa innerhalb eines Monats kosten da beispielsweise 185 Euro pauschal. Reservierungs- und Schlafwagengebühr müssen noch extra bezahlt werden. Schlaf- und Liegewagen können übrigens auch als reines Frauen- oder Männerabteil gebucht werden.

Gepäck: Im Schlafwagen gibt es eigentlich alles, was man braucht. Aber: Wenig Stauraum. Deshalb sollte man nicht mit einem Riesenkoffer auf Tour gehen. Außerdem sinnvoll: Die wenigen Dinge, die man während der Fahrt braucht wie Zahnbürste, ein Buch oder Ladekabel in eine kleine Extratasche packen. Nichts nervt mehr als große Umpackaktionen im beengten Abteil.

Reiseplanung: Nachtzugverbindungen von Aberdeen bis Zagreb finden sich auf der Nachtzugkarte. Viele Strecken unkompliziert buchen kann man über die Österreichische Bahn.

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