Teure Mieten und Anwohnerzoff in der Südstadt„Ich mache mir Sorgen um mein Viertel“

Lesezeit 7 Minuten
Die Zeitungslektüre gehört für Barbara Moritz zum täglichen Ritual.

Die Zeitungslektüre gehört für Barbara Moritz zum täglichen Ritual.

  • Die Kölner Ex-Politikerin Barbara Moritz lebt seit 1974 in derselben Wohnung in der Südstadt. Sie war bis 2014 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kölner Rat.
  • Ein Gespräch über die besorgniserregenden Veränderungen in der Südstadt, die Rolle der Stadt angesichts steigender Mieten – und was sich in Köln und in der Kölner Politik ändern muss.

Köln – Frau Moritz, Sie sind 2014 nach 25 Jahren aus der Kommunalpolitik ausgestiegen. Wie hat sich Ihr Blick auf die Kölner Politik seitdem verändert?

Wenn man lange in der Politik ist, droht man unter eine Glocke zu geraten. Man ist pausenlos unterwegs, jeden Abend. Aber nicht mit Freunden, sondern immer in irgendwelchen politischen oder öffentlichen Bezügen. Und man neigt dazu, ständig all die Kompromisse zu rechtfertigen, die man machen muss. Ich habe jetzt viel mehr Kontakt zu normalen Leuten, bekomme die Stimmung auf der Straße mit.

Das hat Ihnen im Rat gefehlt?

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Im Politikbetrieb droht man den Kontakt zu den normalen Leuten zu verlieren. Die Entfremdung zwischen den Leuten, die Politik machen, und den Leuten, die sie wählen, ist groß und wird größer.

Was würden Sie mit dem Wissen, das sie vorher nicht hatten, anders machen?

Ein ganz klares Beispiel: Die aktuellen Erhöhungen der Fahrpreise für die KVB. Von der Politik wurde immer akzeptiert, dass die Preise kostendeckend sein müssen. Es wurde die Summe bestimmt, die höchstens subventioniert werden soll, und dann die Preise ausgerechnet. Das sehe ich mittlerweile anders.

Warum?

Wenn wir nicht im Autoverkehr ersticken wollen, muss der Staat die umweltgerechte Mobilität fördern.Das gilt nicht nur für den öffentlichen Nahverkehr sondern auch für den Fernverkehr der Deutschen Bahn.

Darauf hätten Sie vor zehn Jahren auch kommen können.

Vor zehn Jahren haben wir diskutiert, ob wir nicht eine Maut einführen oder die Grundsteuer erhöhen und das Geld für den Nahverkehr einsetzen. Jetzt würde ich sagen: Wir müssen keinen Trick zur Finanzierung finden.

Wie sind Sie zu der Erkenntnis gelangt?

Ich sehe, dass es nicht funktioniert. Die Investitionen sind zu gering, dauern zu lange. Und die Leute sagen: Wenn ich mir ein Seniorenticket kaufe, muss ich für ein Jahresabo zahlen. Ich fahre aber neun Monate im Jahr mit dem Fahrrad.

Wo hat sich Ihr Blick noch verändert?

Der Kölner Haushalt soll zukünftig ausgeglichen sein. Es gab immer den Konsens, den wir als Grüne mitgetragen haben, dass wir das Verhältnis der Ausgaben für die einzelnen Ressorts nicht antasten. Sonst geht ein Gerangel los. Weil natürlich jeder sein Budget mit Zähnen und Klauen verteidigt. Ich sehe das mittlerweile anders. Nicht mehr aus der Haushaltsverantwortung. Ich wäre für eine Grundsatzdebatte, ob die Ausgaben richtig aufgeteilt sind.

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Jetzt haben Sie mehr Zeit, in Ihrem Viertel unterwegs zu sein. Wie lange wohnen Sie schon in der Südstadt?

Ich lebe in dieser Wohnung seit ich in Köln bin, seit 1974.

Die Miete hat sich wahrscheinlich verändert.

Sie ist aber immer noch günstiger als bei einer Neuvermietung. Deshalb wohne ich auch noch hier. In Köln kann man sicher überall gut leben. Aber alleine, wie viele Geschäfte, wie viele Kulturangebote und Lokalitäten es in der Südstadt gibt, das ist einfach toll.

Was für ein Glück, eine große, bezahlbare Wohnung in der Südstadt zu haben.

Das ist auch der Grund, warum ich nicht ausziehe. Eine 70-Quadratmeter-Wohnung würde mich heute wahrscheinlich mehr kosten. Das ist dramatisch, beispielsweise für junge Familien. Wir müssen mehr bauen und verdichten.

Es gibt aber auch Stimmen, die sich gegen Verdichtung wehren. Das heißt ja, dass sich das Viertel verändert.

Das heißt, dass ich dafür mehr Freiräume habe. Wenn ich ein ausgewogenes Verhältnis herstellen will, bleibt mir nichts anderes übrig. Hätten wir etwa das Sürther Feld stärker verdichtet, gäbe es dort noch mehr Grünflächen. Das ist der Schlüssel der Stadtentwicklung. In die Parkstadt Süd gehören keine Einfamilienhäuser. Die muss mindestens so hoch werden, wie die Neustadt Süd.

Sie haben gerade wieder die Ratsperspektive eingenommen. Wie balanciert man denn die beiden Perspektiven aus?

Der Rat sollte auf keinen Fall eine Ansammlung von Bürgerinitiativen werden. Andererseits: Für das Haus Balchem, für den Erhalt der Stadtteilbibliothek habe ich mich damals eingesetzt. Obwohl es in unserem Bezirk ja auch die Zentralbibliothek am Neumarkt und damit zwei gute Bibliotheken gibt. Jemand anderes würde sagen, das ist ungerecht.

Zur Person

Barbara Moritz, Jg. 1951, war bis zum Jahr 2014 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kölner Rat, dem sie bis zu ihrem Rückzug 20 Jahre angehörte. 2010 kandidierte sie für den nordrhein-westfälischen Landtag, erlangte aber kein Direktmandat und war nicht auf einer Wahlliste aufgestellt. Sie hat früher als Lehrerin gearbeitet. Moritz wohnt seit 1974 in der Mainzer Straße, hat drei Kinder und kümmert sich seit ihrem Ruhestand verstärkt um die Enkelkinder. (phh)

Wenn Sie sich die Südstadt heute anschauen: Was ist von der Stollwerck-Besetzung, von der politisch bewegten Zeit in den 80ern übrig geblieben?

Gott sei Dank ist die Südstadt, vor allem die Altstadt-Süd noch ziemlich gemischt. Die Neustadt ist gentrifiziert. Das ist immer so, wenn man das Wohnumfeld verbessert. Wenn man die Nachfrage nicht bedienen kann, indem man neu baut, steigen die Mieten. Und dann gibt es soziale Segregation.

Die Südstadt ist dadurch weniger heterogen als früher. Das ist nicht das, was man sich damals gewünscht hat.

Das kann man so sagen. Die soziale Mischung in Quartieren ist immer noch mein Idealtyp von Stadt.

Aber…

Solange Wohnungen eine Ware sind, der Privatbesitz an Grund und Boden besteht, ist das schwierig. Ich glaube nicht an die Lösung Enteignung. Aber wir müssen neue Gebiete anbieten. Bauen, bauen, bauen. Man hat Mitte der 90er einen Riesenfehler gemacht, als man aufgehört hat, zu bauen. Die Stadt muss viel stärker eingreifen, vor allem bei den Bodenpreisen.

So langsam bewegt man sich ja in diese Richtung, für viele zu spät. Hatten Sie das vor zehn Jahren nicht auf dem Schirm?

Die Wohnungswirtschaft hat das immer schon gesagt. Deshalb ist es wichtig, öffentliche Wohnungsgesellschaften zu haben. Und die Stadt muss über Grundstücke verfügen. Ich finde es richtig, sie nicht mehr zu verkaufen, sondern nur noch Erbbaurechte zu vergeben. Aber wenn man interveniert, kann es an anderer Stelle teurer werden. In dem Dilemma steckt man ständig. Anderes Beispiel: Sorgt man für Ruhe im Viertel, beschweren sich die Clubs, dass sie keine Musik mehr machen dürfen.

Das ist ja eine Diskussion, die in der Südstadt auch intensiv geführt wird.

Ja, heftigst. Ich hatte Zeit, die Diskussion um „Bunt im Block“ zu verfolgen, bin zu allen Veranstaltungen hingegangen. Ich war erst total dagegen. Mir dämmerte dann aber, wogegen ich eigentlich bin: Die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes.

Was meinen Sie damit?

Wenn wir in der Mainzer Straße ein Fest machen, soll die Stadt dafür keine Gebühren nehmen. Das sind die Leute, die hier wohnen. Punkt. Aus. Ende. Aber da sollen auch nicht tausend Händler aus ich-weiß-nicht-woher kommen.

Welche Rolle spielt die Politik dabei?

Man könnte die Interessengemeinschaften, die mit ihren Veranstaltern die großen Straßenfeste in der Südstadt organisieren, Parteien zuordnen. Das Severinsviertel und die Händler dort sind CDU-näher. Bei der Gründung der ABC hat sich die SPD dort rein gesetzt. Das ist nicht gut. Auch der Streit um den Weihnachtsmarkt war letztlich Ausdruck eines Parteienstreits.

Es gibt aber einen Interessenkonflikt, der sich nicht einfach auflösen lässt. Der Gastronom möchte ein gut besuchtes Fest, mancher Anwohner eher seine Ruhe.

Dann muss man wahrscheinlich Kompromisse finden. „Bunt im Block“ hat ja versucht, kommerzielles mit öffentlichem Interesse zu verbinden. Die haben das sicher viel zu groß aufgezogen. Mit zwei, drei Straßen hätte man genug zu tun gehabt. Aber wie die Leute von Anfang an beteiligt wurden, war toll. Grundsätzlich gibt es viele kleine Feste, die keinen professionellen Veranstalter brauchen. Die Leute nehmen sich den öffentlichen Raum, spielen Boule, trinken ihr Bier. Das wird in der Südstadt akzeptiert.

Sie machen sich keine Sorgen um Ihr Viertel?

Doch, man muss sich immer Sorgen machen. Wenn jetzt der Höchststand bei den Mieten etwa erreicht sein sollte, kann man sich nicht zurücklehnen. Man muss bauen. Die Stadt muss stärker werden als Akteur auf dem Wohnungsmarkt. Die Mischung ist notwendig, damit es richtig schön wird. Begegnungsräume im öffentlichen Raum braucht es, Alleen, wo man Boule spielen kann. Ich finde den Markt schön, die Bänke, die überall aufgestellt werden. Ich finde es gut, wenn Parkplätze für die Kneipen zu Sitzplätzen umgewandelt werden. Das ist viel Abwechslung. Und das ist schön.

Zur Person

Barbara Moritz, Jg. 1951, war bis zum Jahr 2014 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kölner Rat, dem sie bis zu ihrem Rückzug 20 Jahre angehörte. 2010 kandidierte sie für den nordrhein-westfälischen Landtag, erlangte aber kein Direktmandat und war nicht auf einer Wahlliste aufgestellt. Sie hat früher als Lehrerin gearbeitet. Moritz wohnt seit 1974 in der Mainzer Straße, hat drei Kinder und kümmert sich seit ihrem Ruhestand verstärkt um die Enkelkinder. (phh)

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