8. Mai, Tag der BefreiungKölner erzählen vom Kriegsende

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Amerikanische Truppen marschieren am 06.03.1945 in die Domstadt Köln ein.

Amerikanische Truppen marschieren am 06.03.1945 in die Domstadt Köln ein.

Lieselotte Quirl

Für uns begann mit dem Kriegsende eine Zeit großer Ängste. Wir wohnten außerhalb von Köln-Dünnwald in der sogenannten Hardt. Hier gab es nur ein paar einsame Häuser, umgeben vom großen Dünnwalder Wald. Nicht weit von uns, in Köln-Dellbrück, stand eine Kaserne. Darin waren russische und polnische Zwangsarbeiter untergebracht. In den Wochen nach dem Kriegsende zogen sie nachts betrunken durch die Wälder, brachen in die einsam gelegenen Häuser ein und raubten die Bewohner aus. Meine Schwester und ich hatten schreckliche Angst vor ihnen.

Eines Nachts überfielen sie ein Ehepaar in unserer Nachbarschaft, fesselten es und nahmen mit, was sie tragen konnten. Anderentags rief mein Vater die Nachbarn zusammen, und man beschloss, nachts Wachen aufzustellen. Ein Mann stand an dem einen, ein anderer an dem anderen Ende der Straße. Sobald einer von ihnen die Russen kommen hörte, schlug er Alarm. Doch schon in der zweiten Nacht wurde einer unserer Wachmänner von der Bande erschossen. Ein paar Tage später hätte es beinahe unseren Vater erwischt. Er schaffte es mit knapper Not zurück ins Haus. Ein letzter Schuss ging durch ein Fenster in die Decke. Ich sehe noch heute, wie sich meine Eltern zitternd umarmen.

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In den folgenden Tagen war mein Vater viel unterwegs, und plötzlich lag unter seinem Bett eine Maschinenpistole. Als in der nächsten „Russennacht“ jemand leise an unser Schlafzimmerfenster klopfte, sprang mein Vater mit einem Satz in seine Kleider und rannte mit der Waffe hinaus. Dann schlich er sich vorsichtig bis zum Waldrand und feuerte ein paar Mal in die Luft.

Am nächsten Morgen war die Aufregung groß. Zwei englische Jeeps mit Militärpolizisten fuhren vor, die Nachbarn wurden wegen der Schießerei befragt. Doch alle hielten dicht. Ich bin heute noch stolz auf diese Nachbarschaft. Von da an gab es bei uns keine Überfälle mehr.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Kölner Bert Fuchs das Kriegsende in Thüringen erlebte.

Bert Fuchs

Für mich war der Krieg bereits im April zu Ende. Meine Mutter und ich – im Juni 1943 aus Köln evakuiert – wohnten zusammen mit anderen Frauen aus dem Rheinland in einem thüringischen Dorf in einem Hotel. Der Wirt war ein überzeugter Nazi und hatte Panzerfäuste und Karabiner an den Volkssturm ausgegeben.

Aber es kam glücklicherweise zu keinen Kampfhandlungen mehr, und so überstanden wir die Zeit bis zum Kriegsende relativ unbeschadet. Anfang April hörten wir im Radio, dass die Amerikaner näher kamen, und bald hingen in allen Fenstern weiße Bettlaken. Irgendwann fuhr ein Jeep durch das Dorf, US-Soldaten sprangen heraus und pinnten eine Mitteilung an das schwarze Brett am Rathaus. Das war es auch schon: In Thüringen war der Krieg zu Ende.

Anschließend begann eine wüste Zeit. Wir zogen von Hof zu Hof, um etwas zu essen zu organisieren. Einige Leute plünderten eine Schnapsfabrik in der Nähe. Meine Mutter hat da garantiert auch Flaschen eingesteckt, um etwas zum Tauschen zu haben. Ende Mai brachte man uns dann mit Bussen zurück ins zerstörte Köln.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Friedrich-Wilhelm Müller aus dem Heer flüchtete, um in den letzten Tagen des Krieges bei seiner Mutter zu sein.

Friedrich-Wilhelm Müller

Ich habe erst am 9. Mai 1945 erfahren, dass der Krieg zu Ende war. Da war ich 15 Jahre alt. Ich bin in Köln geboren und in der Dagobertstraße zur Schule gegangen. Im April 1944 wurde unsere Schule nach Seidorf im Riesengebirge verlegt. Meine Mutter folgte mir. Im November 1944 bin ich von der Schule abgegangen und „Soldat“ geworden. Ich war bei einer Spezialeinheit. Man sagte uns, die SS-Panzerdivision-Hitlerjugend sollte neu aufgestellt werden. Unser Lager war in Hohenelbe. Am 8. Mai morgens um sechs bin ich von dort getürmt. Es war klar, dass der Krieg zu Ende ging, und ich wollte zu meiner Mutter.

Auf dem Weg nach Seidorf kam ich an einem Wachhäuschen vorbei. Plötzlich schrie jemand: „Stehenbleiben“ und winkte mich in das Häuschen rein. Das war voller SS-Männer. Alle waren sternhagelvoll und fragten, wo ich denn hinwollte. Ich sagte: „Nach Seidorf, zu meiner Mutter.“ Ich trug ein Gewehr und einen messerscharf geschliffenen Spaten. Die SS-Leute sagten: „Was willst du mit dem Zeug? Lass es hier. Wenn du zu deiner Mutter gehst, brauchst du keine Waffen.“ Dann ließen sie mich gehen. Die hatten auch keine Lust mehr, Krieg zu spielen.

In Seidorf angekommen, habe ich auf die Russen gewartet. Meine Uniform hatte ich inzwischen vergraben. Der erste Russe, den ich traf, sagte: „Arme hoch!“ Aber mir ist nichts passiert. Er sah ja, wie jung ich war. Am nächsten Tag habe ich erfahren, dass alles vorbei war.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Hans Berger sich aus Angst vor den amerikanischen Soldaten in der Eifel versteckte.

Hans Berger

Kriegsende – für mich bedeutete das, mich nicht mehr vor den Tieffliegern verstecken zu müssen, endlich ohne Angst auf der Straße spielen zu dürfen. Es bedeutete auch, im Wald mit Panzerfäusten und Granaten Krieg zu spielen. Etwas anderes kannten wir Kinder ja nicht. Ich war zehn Jahre alt, als der Krieg zu Ende war.

Nach unserer Ausbombung in Köln flüchteten wir mit unserer Mutter nach Daun/Eifel. Anfang März 1945 hieß es: Die Amerikaner kommen. Wir versteckten uns in einem Bergstollen. Hinten die französischen Kriegsgefangenen, wir Kinder und die Frauen. Im Eingang die deutschen Soldaten. Irgendwann hielten sie die weiße Fahne heraus, die Amerikaner kamen in den Stollen und durchsuchten alles. Wir Kinder hatten Angst vor ihnen, obwohl sie uns Kaugummis gaben. Ein Junge sagte: „Da ist bestimmt Gift drin.“ Wir alle waren noch infiltriert von der Nazipropaganda.

Am Nachmittag durften wir nach Hause. Plötzlich tauchten am Himmel US- Tiefflieger auf und drehten Kunstflugfiguren – für mich der Beginn der Friedenszeit. Wenig später kehrte der erste Onkel aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Und irgendwann folgte der erste Brief von Vati – aus englischer Gefangenschaft. Nach Köln kehrten wir 1946 zurück. In eine Stadt, die wir kaum wiedererkannten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Magdalena Göddertz in das zertrümmerte Köln zurückkehrte.

Magdalena Göddertz

Das Kriegsende am 8. Mai 1945 habe ich gar nicht richtig wahrgenommen. Jeder war so mit sich selbst beschäftigt und versuchte, irgendwie zu überleben. Wir wussten nur: Es war zu Ende. „Bedingungslose Kapitulation“, hieß es. Ich war damals 13 Jahre alt und mit meinen Eltern, den beiden jüngeren Geschwistern und unserem Opa auf dem Weg zurück nach Köln. Wir lagen am rechten Ufer des Rheins. Es war kalt, und wir hatten kaum etwas zu essen. Unser ganzer Besitz befand sich auf einem Heuwagen. Obendrauf saß der Großvater. Der war bereits 87 und konnte nicht mehr gut laufen.

Wir Kinder und die Mutter waren 1944 nach Rodenbach bei Neuwied evakuiert worden. Als im April 1945 die Amerikaner kamen, mussten wir in den Keller ziehen. Die Soldaten durchsuchten das ganze Haus mit aufgepflanzten Bajonetten und nahmen unsere Wohnung im Hochparterre in Beschlag. Wir hatten oft Hunger. Es gab kaum etwas zu essen, und die amerikanischen Soldaten gaben uns nichts ab von ihren Rationen. Lediglich ein Deutsch-Amerikaner, der im Haus gegenüber einquartiert war, legte uns schon mal ein kleines Versorgungspaket mit Keksen und Schokolade auf eine Mülltonne. Seine Kameraden durften das aber nicht wissen.

Irgendwann sind wir mit unserem hochbeladenen Heuwagen losgezogen Richtung Köln, immer am Rhein entlang. Ich schob den Kinderwagen mit meiner kleinen Schwester. Unser Heuwagen wurde regelmäßig von Militärfahrzeugen in die Weinberge abgedrängt, aber am 5. Mai erreichten wir endlich den Rhein in Höhe der Südbrücke. Nur – es gab keine Brücke mehr. Zum Glück wurde bald eine provisorische Schiffsbrücke für das Militär gebaut, und acht Tage später durften auch wir im Eiltempo den Rhein überqueren.

Wir brauchten zwei Tage, um von der Schönhauser Straße in Bayenthal nach Weidenpesch zu kommen. Überall Trümmer, Ruinen, Schuttberge hoch drei. Von dem Haus unseres Großvaters in der Jesuitengasse standen nur noch die Außenmauern. Fenster, Türen und das Dach fehlten. Aber es stand, und im Laufe der Jahre haben wir aus den Trümmern wieder ein bewohnbares Haus gemacht. Es war eine harte Zeit, und ich hatte kein leichtes Leben. Heute bin ich 83. Viel Zeit habe ich nicht mehr, aber eines wünsche ich mir: Dass unseren Kindern und Kindeskindern ein solch schrecklicher Krieg erspart bleibt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Lieselotte Vey sich an den glücklichen Moment des feststehenden Kriegsendes erinnert.

Lieselotte Vey

Der Tag, an dem die Amerikaner kamen, ist mir in allen Einzelheiten in Erinnerung geblieben, obwohl ich erst neun Jahre alt war. Es war ein warmer Märzmorgen. Wir lebten damals in Bad Marienberg im Westerwald. Mein Vater hatte dort für meine Mutter und mich ein kleines Haus gemietet, nachdem wir 1943 in Köln ausgebombt worden waren. Wir hatten an diesem Morgen zunächst in einem Bergwerk Schutz vor den anrollenden Truppen gesucht und kehrten jetzt auf einem Waldweg in unser Haus zurück. Es herrschte Stille. Nur die Vögel zwitscherten. Nichts war mehr zu hören von den Tieffliegern, die den Weg für die US-Truppen freigekämpft hatten. Endlich Frieden! Meine Eltern lagen sich weinend und lachend in den Armen: Wir hatten das Inferno überlebt. Und ich würde wieder ruhig schlafen können, ohne von einem Fliegeralarm geweckt zu werden.

Durch die Hauptstraße von Bad Marienberg rollten amerikanische Panzer. Ich werde die Soldaten mit ihren lachenden Gesichtern nie vergessen. Die meisten von ihnen waren Afroamerikaner. Sie warfen uns Kindern Kaugummis und Apfelsinen zu – wie bei einem Karnevalszug. Sie waren so gut zu uns, und wir empfanden nach den Jahren der Entbehrung eine große Dankbarkeit. Als Neunjährige hatte ich natürlich eine andere Sicht auf die Dinge als die Erwachsenen, aber wir alle fühlten uns mit einem mal befreit. Befreit von dieser latenten, stets gegenwärtigen Angst vor den Nazis. So war dieser Tag im März 1945, als die Amerikaner kamen und dem Krieg in unserem Ort im Oberwesterwald ein Ende setzten, ein außergewöhnlich glücklicher Tag in meinem Leben und in dem meiner Familie.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Gertrud Odenthal und ihre Mutter aus dem heutigen Tschechien nach Köln durchschlugen.

Gertrud Odenthal

Meine Mutter und ich erlebten das Kriegsende in Gablonz im Sudetenland. Ich hatte bis Januar 1945 an einer Kinderlandverschickung nach Niederschlesien teilgenommen. Weil meine Mutter in meiner Nähe sein wollte, war sie mir aus Köln gefolgt und wohnte in Gablonz. Sie hatte dort eine Arbeit als Buchhalterin gefunden. Als unser Lager aufgelöst wurde, zog ich zu ihr. Ich war sehr erleichtert, dass endlich Frieden war. Jetzt brauchte ich keine Angst mehr vor den Bomben zu haben. Ich hatte in Köln viele Fliegerangriffe erlebt, und sie hatten mir jedes Mal große Angst gemacht.

Es konnte nur noch besser werden, und so sah ich mit meinen 15 Jahren recht optimistisch in die Zukunft. Doch kaum war der Krieg vorbei, mussten meine Mutter und ich Hals über Kopf das Sudetenland verlassen. Dort hatten jetzt die Tschechen das Sagen. An der Grenze konfiszierten sie viele unserer Besitztümer, weil wir sie angeblich in Gablonz gekauft und damit den Tschechen abgenommen hatten, was nicht stimmte. Wir fuhren mit dem Zug über die Grenze und landeten schließlich in Oberschreiberhau, wo mein Lager gewesen war.

Dort blieben wir ein paar Monate und zogen dann weiter nach Liegnitz. Meine Mutter arbeitete dort als Schneiderin für die Russen. Ich half in der Küche aus, schälte Kartoffeln, putzte Gemüse und solche Dinge. Dafür bekamen wir etwas zu essen. Irgendwie haben wir uns in den folgenden Monaten peu à peu der damaligen Grenze genähert und sind schließlich bei Helmstedt von einem Schleuser herübergebracht worden in den Westen. Erst im April 1946, fast ein Jahr nach Kriegsende, waren wir wieder in Köln.

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