„Advance Care Planning“So sollen Kölner Senioren selbstbestimmter sterben können

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Durch das Vorsorgekonzept soll sicher gestellt werden, dass die Patientenverfügung so verfasst ist, dass sie im Notfall auch greift.

  • Senioren finden sich mit Corona auf der Intensivstation wieder, wo sie intubiert werden, obwohl nur eine minimale Überlebenschance besteht.
  • Über ältere Menschen wird immer wieder hinweg entschieden, weil sich Ärzte nicht fragen, ob die Therapie noch im Sinne des Betroffenen ist. Das erlebe Thomas Otten als Krankenhausseelsorger.
  • Das Konzept „Advance Care Planning“ soll nun sicherstellen, dass in einer plötzlichen Notfallsituation im Sinne des Hilfsbedürftigen entschieden wird. Die Hintergründe.

Köln – Die Corona-Krise hat wie unter einem Brennglas vorgeführt, was passieren kann, wenn man als Hochbetagter plötzlich in eine gesundheitliche Krise gerät und nicht vorher darüber gesprochen wurde, welche Behandlung man in einer solchen Situation wirklich haben möchte: „Wer nicht selber entscheiden kann, der bekommt Maximaltherapie“, fasst Thomas Otten, Ethikbeauftragter im Gesundheitswesen für das Erzbistum Köln seine Erfahrung als Krankenhausseelsorger zusammen.

Da finden sich hochbetagte Pflegeheimbewohner mit Corona auf der Intensivstation wieder, wo sie intubiert werden, obwohl nur eine minimale Überlebenschance besteht. Oft sei die intensivmedizinische Versorgung eine mit viel Leid und Einsamkeit einhergehende Sterbeverzögerung.

Entscheidungen werden über Menschen hinweg getroffen

Immer wieder erlebt der Krankenhausethiker in seiner Arbeit als Krankenhausseelsorger auch ganz unabhängig von Corona, wie über die Menschen hinweg entschieden wird, weil sich Ärzte nicht fragen, ob die Therapie noch im Sinne des Betroffenen ist und so „gutes Sterben“ manchmal buchstäblich verhindert wird.

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Ethiker Thomas Otten

Die Übertherapie am Lebensende treibt Otten seit vielen Jahren, also längst nicht erst seit Corona um. Dabei gebe es ein wertvolles Instrument, um sicherzustellen, dass in einer plötzlichen Notfallsituation oder auch bei langwierigen Krankenhausaufenthalten im Sinne des Hilfsbedürftigen entschieden werde: „Advance Care Planning“, heißt das Konzept, das übersetzt wird mit „Behandlung im Voraus Planen“. 

Otten ist selbst Trainer für Advance Care Planning und hat dies in den katholischen Kölner Pflegeheimen eingeführt. Inzwischen bieten auch immer mehr andere Träger dies an: Das Konzept sieht vor, dass Senioren und ihre Angehörigen durch zertifizierte Gesprächsbegleiter darin unterstützt werden, eine sehr individuelle und in allen Fällen aussagekräftige Patientenverfügung zu erstellen. Denn es sei in der Praxis nicht nur ein Problem, dass immer noch nur schätzungsweise 30 Prozent der Menschen eine Patientenverfügung besitzen. „Problematisch ist auch, dass leider ein großer Teil von diesen im Ernstfall schlicht nicht brauchbar ist.“

Aktueller Notfall oft nicht von Patientenverfügung abgedeckt

Manchmal gebe es gleich mehrere, die sich dann teilweise widersprechen. Manchmal seien sie nicht aussagekräftig. „Und noch viel öfter greifen sie nicht, weil viele Situationen schlicht nicht abgedeckt sind.“ Etwa der akute Notfall: „Wenn zum Beispiel im Pflegeheim die Bewohnerin beim Mittagessen vom Stuhl kippt und keinen Puls mehr hat oder nach dem Mittagsschlaf plötzlich nicht mehr ansprechbar ist. „Dann wird automatisch die Notfallmaschinerie angeworfen. In drei Minuten ist der Rettungsdienst da.“ Und dann finde sich die 94-Jährige auf dem Fußboden wieder und werde reanimiert und mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht.

Dort gilt zunächst der medizinische Standard der Maximaltherapie. Oder wenn sich Menschen, die ursprünglich in eine Behandlung eingewilligt haben, sich nach 200 Tagen auf der Intensivstation ohne Bewusstsein in einer für sie unwürdigen Situation befinden, und es keinen im Rahmen einer Vorsorgevollmacht ernannten Angehörigen gibt, der in dieser veränderten Situation stellvertretend für den Patienten entscheiden kann.

Einfühlsam die Haltung zum Leben und zum Sterben erfragen

Bei dem Konzept wird in dem mehrteiligen Gespräch erst mal einfühlsam die Haltung zum Leben und zum Sterben erfragt: Wie gern leben Sie? Was löst es aus, wenn Sie ans Sterben denken?, oder: Unter welchen Umständen wäre ein langes Leben für mich kein Ziel mehr? Die schriftlich dokumentierten Antworten können später als wichtige Entscheidungshilfe für Ärzte und Angehörige dienen. „Wir wollen die Menschen befähigen, sich mit dem Sterben auseinanderzusetzen“, umschreibt Otten den Ansatz. Viele seien regelrecht dankbar, dabei an die Hand genommen zu werden. Und zwar sowohl die Betagten wie auch ihre Angehörigen.

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Eben weil es auch in Familien vielfach ein Tabu sei, mit dem Betagten über das Sterben zu sprechen, um diesen zu schonen. Dann seien die Angehörigen ganz überrascht, wenn der Vater oder die Mutter ganz lapidar sage: „Ich weiß doch, dass ich sterben muss.“ Bei dementen Menschen werden mit Hilfe der Angehörigen auch Äußerungen dokumentiert, die die Hochbetagten im Laufe ihres Lebens zum Thema gemacht haben. Auch das erleichtere den Angehörigen später mit der Bürde zu Leben, Entscheidungen stellvertretend für ihre Lieben getroffen zu haben.

Gewünschtes Vorgehen bei Einwilligungsunfähigkeit

In einem nächsten Schritt wird in einem Notfallbogen die ärztliche Anordnung für diesen Fall dokumentiert. Dort wird übersichtlich und kleinteilig abgestuft festgelegt, was in einem solchen Fall therapeutisch gemacht werden soll und was in jedem Fall unterbleiben soll – wie etwa Herz-Lungen-Wiederbelebung oder Intubation. Weitere Bögen dokumentieren das gewünschte Vorgehen im Krankenhaus bei Einwilligungsunfähigkeit unklarer Dauer sowie nochmal abgestuft bei dauerhafter Einwilligungsunfähigkeit. Dort kann dann beispielsweise angekreuzt werden, ob man im Falle schwerster körperlicher oder geistiger Folgeschäden noch maximal therapiert werden möchte.

Der Vorsorgeplan wird sowohl im Heim als auch beim Hausarzt und den nächsten Angehörigen hinterlegt. Diese mahnt Otten immer wieder, dass zu einer guten Vorsorge auch ganz zentral eine Vorsorgevollmacht gehört, mit der ein Angehöriger bevollmächtigt wird, im Notfall für einen zu entscheiden.“ Das werde immer wieder vergessen und sei in der Praxis ungemein wichtig.

Stadt soll als Anbieter für Advance-Care-Konzept fungieren

Inzwischen gibt es mit der Diakonie Michaelshoven einen Anbieter, der das Advance-Care-Konzept inklusive der ausführlichen Beratung auch für Externe anbietet – also für Menschen, die nicht in Heimen leben. Dort allerdings nicht auf Kosten der Krankenkasse, sondern für Selbstzahler. Das kann für Otten allerdings nur ein Anfang sein. Sein Ziel ist es, dass dieses Konzept der Behandlungsplanung im Voraus möglichst vielen Kölnern zugute kommen kann, die dies möchten. „Der Bedarf wird groß sein.“

Er fordert, dass die Stadt selbst künftig als Anbieter fungieren solle. „Wenn eine Beraterin dafür im Sozialamt eingestellt werden würde, könnten viele Senioren in der Stadt auf diese Art beraten werden, so Otten. „Ziel ist es, durch möglichst viele Beratungsgespräche einen Kulturwandel herbeizuführen. Weg von der automatischen Übertherapie, hin zu mehr Selbstbestimmung und guter Palliativversorgung.

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