Alle Wege führen zum DomKur für Haare und Hecken

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Köln – Unser Spaziergang beginnt so, wie sich viele Menschen einen guten Start ins Wochenende vorstellen. Mit einem ausgiebigen Frühstück. Phillipp Mahlke ist auf dem Weg zum Bäcker, um dafür einzukaufen. Sobald wir Mahlke in einigen Metern Entfernung auf uns zukommen sehen, hören wir ihn auch schon. Er rattert mit seinem Lastenfahrrad über Schotter und Baumwurzeln auf den Wegen im Stadtgarten. Hier geht es heute los. Wir entdecken das Belgische Viertel und die Innenstadt in den Morgenstunden. Die Nachtschwärmer haben den Frühaufstehern gerade Platz gemacht. Jogger, Hundebesitzer und Flaschensammler sind im Park unterwegs.

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Phillipp Mahlke mit seinen beiden Kindern Jakob und Sofia.

„Ich habe früher im Belgischen Viertel gewohnt und gehe immer noch zum gleichen Bäcker: Becher's am Brüsseler Platz“, sagt Mahlke, „da schmeckt's am besten.“ Mit an Bord seines Rads hat er seine Kinder Jakob (4) und Sofia (2). Sie sitzen in der knallgelben Frontkabine und vertreiben sich die Zeit mit kleinen Bilderbüchern. Sofia hält uns drei der so genannten Pixi-Bücher entgegen. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Aber wir entscheiden uns für keins davon, sondern zum Weitergehen. Unser Bilderbuch soll heute die Stadt sein.

Und ihn sehen wir als nächstes: Jürgen Aurich sitzt auf einem dicht mit bunten Aufklebern übersäten Stromkasten vor dem namenlosen Kiosk an der Venloer Straße 33. „Das ist meine Anklagebank“, sagt er. Wie alt er sei? „Ich bin 76 – also noch jung“, sagt er.

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Jürgen Aurich

Was es denn an-, beziehungsweise zu beklagen gibt? Dass es da, wo er wohne, in der Nähe des Mediaparks, keine Geschäfte für den täglichen Bedarf gibt. Dass er deswegen immer zur Venloer Straße laufe. Warum er das auf sich nimmt? „Die Supermärkte liefern erst, wenn man für viel Geld einkauft“, sagt er, „und hier treffe ich junge Leute.“ Er habe früher als Steinmetz gearbeitet und habe unter anderem junge Kollegen ausgebildet. „Das war gut.“ Ferid Erdinc (33), Verkäufer im Kiosk, kennt Aurich bestens. „Er ist der einzige Stammgast, der länger bleibt.“

Inventur zwischen Zigarettenregalen, Zeitungen und Zeitschriften

An vielen Nächten am Wochenende dagegen herrsche im Kiosk ein ständiges Kommen und Gehen. „Dann arbeiten wir zu dritt, und wenn dann auch noch zwanzig Kunden im Laden sind, fällt schon mal eine Flasche hin“, sagt er. Eine größere Katastrophe habe er in den acht Jahren, die er dort arbeitet, aber noch nicht erlebt. „Heute Morgen habe ich Zeit, aufzuräumen und zu gucken, was fehlt“, sagt er. Inventur zwischen Zigarettenregalen, Zeitungen und Zeitschriften, Lollis, Süßigkeiten-Fächern und Eistruhe.

Wir biegen in die Brüsseler Straße. Schnellen Schrittes kommt uns an der Ecke Bismarckstraße eine junge Frau mit großem Rucksack entgegen. Juliette Calvarin stammt aus der Bretagne und studiert jetzt Kunstgeschichte an der renommierten Harvard-Universität in Boston. „Das ist der Vorteil an meinem Fach: Dass Arbeit manchmal zumindest so aussieht wie Urlaub“, sagt sie.

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Juliette Calvarin

Sie sei zehn Tage in Deutschland unterwegs, um historische Gebäude zu besichtigen. Ihre Unterkunft im Belgischen Viertel hat sie über die Internetplattform Air B'n'B gefunden. Bevor sie heute nach Mainz weiterfährt, will sie noch St. Ursula sehen. Ihr großer Rucksack kommt uns klein vor für so eine lange Reise. „Ich habe dabei, was ich tragen kann“, sagt Calvarin, pragmatisch und freundlich zugleich.

Beetpflege am Brüsseler Platz

Wir steuern auf den Brüsseler Platz zu, der berüchtigt ist als Austragungsort von Spontanpartys bis tief in die Nacht. Die Lautstärke der Feiernden macht den Anwohnern zu schaffen; seit Jahren beschäftigt die Situation die Stadt. Ins Auge fällt sie an diesem Morgen nicht. Noch bevor wir Spuren einer langen Nacht finden können, erblicken wir eine Gruppe hellwacher Frauen mit großer Heckenschere.

Die Anwohnerinnen sind Mitglieder des Vereins Querbeet, der ehrenamtlich die Beete am Platz pflegt. „Ich wohne seit 27 Jahren hier“, sagt die Künstlerin Yana Yo, „mein Schlafzimmer liegt nach hinten raus“. Die Lautstärke der Feiernden störe sie daher weniger, „aber für die Natur wünsche ich mir mehr Respekt“. In den Beeten läge jede Menge Müll. „Ich habe keinen Balkon, der Platz ist meine Terrasse“, sagt Yo. Sie sitze selbst auch gerne in draußen auf dem Platz, „aber ich finde, ab Mitternacht kann man auch drinnen feiern. Es gibt genügend Clubs in der Nähe.“

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„Querbeet“ pflegen das Grün am Brüsseler Platz.

Bei den Bürgerbeteiligungs-Verfahren zur Verbesserung der Situation am Platz habe sie sich deshalb für die 24-Uhr-Regelung ausgesprochen. Außerdem wünsche sie sich bei der geplanten Neugestaltung, dass ein Wasseranschluss direkt auf den Platz gelegt wird. „Bisher holen wir das Wasser aus einem Hydranten auf der anderen Straßenseite.“

Warten beim Friseur

Wir lassen das Grün hinter uns, gehen durch Maastrichter Straße und über den Ring, wo uns andere Farben erwarten. Andrea Röttgen sitzt auf einer Bank vor einem Friseurladen. Die Schuhe glänzen silber und während Röttgen eine Zigarette raucht, wirkt eine fliederfarbene Paste in ihre Haare ein. „Das wird Metallic, ein sehr helles Blond", sagt die 48-Jährige, „ich gehe jede Woche zum Friseur, das gönne ich mir“.

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Wer schön sein will, muss manchmal warten: Andrea Röttgen in der Ehrenstraße sieht es gelassen.

Gebrauchte Uhren an der Apostelnstraße

Es ist 11 Uhr. Der Zeit beim Vergehen zuzuschauen, ist gewissermaßen das tägliche Brot von Jörg Nagel. Seit etwa neun Monaten betreibt er sein Geschäft für hochwertige, gebrauchte Uhren an der Apostelnstraße. „Ich mag das traditionelle Handwerk, das damit zusammenhängt und eine Uhr ist, außer einem Ehering, eigentlich das einzige Schmuckstück, das ein Mann tragen kann“, sagt der 38-Jährige. Sein typischer Kunde? „Schwer zu sagen.“ Männlich? „Nicht nur. Ich habe auch Damenuhren, und auch Frauen tragen heute gerne Herrenmodelle.“ Auch Auszubildende oder Studenten? „Naja, aus Düsseldorf vielleicht“, sagt er und grinst.

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Jörg Nagel, der Uhrenexperte aus der Apostelnstraße

Auf der Schildergasse treffen wir James (6), der mit seinen Großeltern aus Bonn zu Besuch ist und im Lego-Store eingekauft hat. Und schließlich, am Wallrafplatz, wird diese Geschichte rund: Zu den Brötchen am Stadtgarten kommt der Kaffee. Juliane Scheder (29) hat gerade eine neue Ladung Kaffeekapseln gekauft. „Jetzt gehe ich noch bummeln, denn im Parkhaus will ich nicht nur zehn Minuten stehen, wenn ich eine Stunde bezahlt habe.“

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