„Allerschlimmste Tag meines Lebens”Wie ein Kölner Gastronom die Corona-Krise erlebt

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Restaurants und Gaststätten in Köln mussten lange Zeit geschlossen bleiben.

  • Hinweis: Dieses Gespräch wurde kurz vor der Entscheidung der Stadt Köln am Montagnachmittag aufgezeichnet, alle Restaurants zu schließen.
  • Am Ende des Interviews haben wir darum drei aktuelle Fragen zur kompletten Schließung ergänzt, deren Antworten wir am Montagabend nachträglich eingeholt haben.

Köln – Till Riekenbrauk vertritt als Vorstand der erst vor wenigen Wochen gegründeten IG Kölner Gastro rund 200 Kneipen-, Bar- und Restaurantbesitzer. Er selbst betreibt das Gasthaus „Johann Schäfer“ in der Südstadt und ist Organisator von Streetfood-Festivals.

Die Kölner Gastronomen sind durch die Corona-Krise in einer sehr schwierigen Lage. Wie geht es Ihnen persönlich?

Die Situation ist extrem hart. Ich habe vor wenigen Tagen 15 meiner Aushilfen auf einen Schlag entlassen müssen. Das war der allerschlimmste Tag meines Lebens. 

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Wie haben Sie in der IG die vergangenen Tage erlebt?

Das waren verrückte Tage. Noch vor einer Woche, am vergangenen Montag, hatten wir unsere allererste Versammlung mit ungefähr 100 Leuten, wo das Virus unter den Mitgliedern noch gar kein Thema war. Weil ich ja nicht nur mein Brauhaus in der Südstadt betreibe, sondern auch noch Veranstalter von Streetfood-Festivals bin, habe ich damals schon gewarnt und gesagt, dass das für uns richtig blöde ende kann. Denn die Streetfood-Festivals musste ich zu dem Zeitpunkt bereits zurück abwickeln, knapp zwanzig Events bis Anfang Juni. Ab Montag hagelten die schlechten Nachrichten dann Tag für Tag.

Kneipen, Clubs und Bars sind bereits geschlossen worden. Welche Reaktionen gab es darauf von den Betreibern?

Die meisten waren nach der Schließungsverordnung erleichtert, dass ihnen die Entscheidung abgenommen wurde. Gerade wenn man einen Club hat, ist man sich der Verantwortung extrem bewusst, weil die Ansteckungsgefahr groß ist. Viele Bars und Clubs hatten ja bereits am Freitag aus eigenen Stücken freiwillig geschlossen.

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Die Stadt Köln hat hingegen am Samstag auf einer Pressekonferenz berichtet, dass viele der am Freitagabend noch geöffneten Kneipen und Clubs viel zu voll gewesen seien, sogar Corona-Partys seien gefeiert worden. Haben Sie das so erlebt?

Nein, persönlich in Clubs oder Kneipen nicht. Aber wenn man auf der Straße unterwegs ist und sich auch jetzt noch in den Restaurants umschaut, sieht man schon, dass zu viele Leute die Warnungen nicht ernst nehmen. Das liegt aber in der Verantwortung der Gäste, nicht der Gastwirte. Besonders viele junge Menschen scheinen zu denken, dass sie halt nicht betroffen sind. Der Club Bahnhof Ehrenfeld zum Beispiel hatte in einem Facebook-Post ja geradezu darum gebettelt, dass die Clubs geschlossen werden. Zuvor gab es nur Checklisten und Empfehlungen, man sollte besser absagen. Damit aber hat man die Verantwortung uns in die Schuhe geschoben. Für einen Veranstalter kann es einen großen Unterschied machen, ob er eine Veranstaltung absagt oder ihm der Betrieb vom Amt untersagt wird, weil er dafür gegebenenfalls versichert ist.

Ihr Brauhaus darf noch geöffnet bleiben. Wie macht sich die Krise dort bemerkbar?

Es kommen viel weniger Gäste. Das ist eklatant und schon jetzt wirtschaftlich nicht mehr tragbar. Wir reduzieren darum jetzt die Öffnungszeiten extrem und stampfen den Mittagstisch ein, bieten ab Dienstag einen Lieferservice an. Wir haben außerdem die Tische ausgedünnt, damit genug Zwischenräume entstehen. Aber die Situation ist schizophren: Ich freue mich über jeden Cent Umsatz, andererseits fühlt es sich nicht gut an, was gerade passiert. Vom Gefühl her ist es gerade alles andere als toll, Gastgeber zu sein, wenn alle sagen, dass Menschen-Ansammlungen vermieden werden sollen. 

Plädieren Sie also für eine Schließung von Restaurants?

Nein! Ich bin mir der Verantwortung bewusst, dass wir als Gastronomen auch eine Aufgabe haben: Restaurants bleiben geöffnet, weil sie zur Nahversorgung in Köln beitragen. Sonst hätte es am Wochenende noch viel mehr Hamsterkäufe gegeben, weil die Menschen Panik bekommen hätten, wenn sie zur Not noch nicht einmal mehr ins Restaurant essen gehen können. Ich rechne allerdings schon damit, dass es uns auch noch treffen wird, wenn ich in andere Länder wie Belgien, Italien oder Österreich gucke. Denn wenn die Infektions-Kurve weiter abflachen soll, ist das eben auch ein Mittel. In der IG Kölner Gastro diskutieren wir sehr kontrovers über das Thema Schließung. Klar ist: Man kann eine Schließung nur mit der Ankündigung echter wirtschaftlicher Unterstützung kommunizieren. Denn die Schließung wird für fast alle Gastronomen der finanzielle Ruin sein. Viele können schon in normalen Zeiten erst von ihrem Umsatz am Abend davor am nächsten Tag einkaufen gehen.

Haben die Gastronomen denn gar keine finanziellen Polster, mit denen Sie die Situation wenigstens für ein paar Wochen auffangen können?

Null! Wir haben für unseren Facebook-Post, in dem wir finanzielle Hilfen gefordert haben, viel Kritik geerntet. Der Tenor war, dass es doch wohl dazu gehört, dass Gastronomen Rücklagen bilden. Die haben wir aber nicht. Die Gastronomen haben in den vergangenen fünf Jahren unter anderem die Einführung des Mindestlohns zu spüren bekommen, außerdem leiden wir unter Fachkräftemangel, weshalb die selteneren Kräfte ebenfalls teurer werden. Gleichzeitig konnten wir unsere Preise nicht im gleichen Maße erhöhen, weil die Gäste das nicht akzeptiert hätten. Deutschland ist eins der ausgabeunfreudigsten Länder.

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Till Riekenbrauk

Die Bundesregierung hat umfangreiche Hilfen angekündigt. Wie bewerten Sie diese?

Ich werfe der Pressekonferenz mit Olaf Scholz und Peter Altmaier konkret vor, dass die Maßnahmen, die sie vorgestellt haben, für Gastronomen wenig hilfreich sind. Die Kurzarbeiter-Regelelung nützt Gastronomen ohne eine schnelle Reform gar nichts, da diese meistens zu wenig sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter beschäftigen um davon Anspruch nehmen zu dürfen. Dass man seine Steuern stunden und Steuervorzahlungen aufschieben kann, ganz ehrlich, das habe ich schon vorher mit meinem Steuerberater beantragt. Das war ein bereits existierendes Mittel. Das einzig wirklich Neue in der Konferenz war, dass man jetzt leichter Kredite beantragen kann. Auch da war ich schon längst mit meiner Hausbank in Kontakt.

Sind diese Kredite nicht eine Erleichterung?

Kredite sind schön und gut, aber meistens muss ich die dann auch privat absichern und persönlich dafür haften. Dabei kann gerade niemand absehen, wie lange wir noch in dieser Situation sein werden. Wenn der Kredit in einem Jahr verbraucht ist und wir alle noch in der gleichen Situation stecken, bin ich ja immens verschuldet. Gastronomen kurbeln in guten Zeiten die Wirtschaft enorm an und geben vielen Menschen Arbeit. Dafür muss es doch jetzt eine Kompensation geben – in Form von Hilfspaketen.

Wie lauten als IG ihre Handlungsempfehlungen konkret an Gastronomen?

Sie müssen gucken, dass sie zahlungsfähig bleiben und ganz schnell von ihren laufenden Kosten runterkommen. Ich habe zum Beispiel meinen Stromabschlag bereits reduziert und versucht, ein Kassensystem mit eigentlich sechsmonatiger Kündigungsfrist schon jetzt zu kündigen. Wir reden da wohlgemerkt von nur 70 Euro im Monat, aber jeder Beitrag zählt. Einige meiner Kollegen haben Sicherungen in ihren Laden eingebaut und Wertsachen wie Plattenspieler abgebaut, falls jetzt Diebe in die wochenlang leerstehenden Räume einbrechen.

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Das Brauhaus Johann Schäfer in der Kölner Südstadt.

Haben Sie eine Forderung an die Stadt Köln?

Ich finde die Ankündigung, einen Runden Tisch für die Wirtschaft und die von der Krise am schlimmsten Betroffenen einzurichten, sehr gut. Am Mittwoch soll es den ersten runden Tisch geben. Wir hoffen, dass wir als IG dabei sein dürfen und nicht nur der große Dehoga-Verband, der oft vor allem auf die Hoteliers unter seinen Mitgliedern guckt.

Sie wirken erstaunlich gefasst in diesem Gespräch.

Ja, aber das nur, weil der größte Schock schon verdaut ist. Am Freitag saß ich mit meinem Geschäftspartner im Büro und habe mein zweites Büro online zur Vermietung angeboten, um von den Kosten runterzukommen. Und dann haben wir darüber gesprochen, wie lange wir selbst noch klarkommen, wie viel Geld wir überhaupt noch auf dem Konto haben. Lange wird es nicht reichen.

Aktuelle Fragen nach der Entscheidung zur Schließung aller Kölner Restaurants am Montagabend, 16. März: 

Herr Riekenbrauk, mehrere Stunden nach unserem Interview ist die komplette Schließung aller Restaurants angeordnet worden. Was haben Sie seitdem getan?

Wir hatten für nachmittags um 15 Uhr unser Personal einbestellt, um denen die Idee mit unserem Lieferservice zu präsentieren. Eine halbe Stunde davor haben wir im Internet dann die Nachricht von den Schließungen aller Kölner Restaurants erfahren. Ich musste jetzt weitere Menschen entlassen, knapp 30 Mini-Jobber und studentische Aushilfen. Da ist schon die eine oder andere Träne geflossen, das war ziemlich traurig.

Sie hatten mit einer baldigen Schließung ja bereits in unserem ersten Gespräch gerechnet.

Das stimmt, aber dass es so schnell gehen würde, war mir nicht klar. Ich finde, die Stadt Köln hat sehr gut reagiert, indem sie direkt die Schließung angeordnet hat, während Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür plädiert hat, die Restaurants bis 18 Uhr mit einem Mindestabstand der Tische von zwei Metern offen zu lassen. Das halte ich für Unsinn und versicherungstechnisch eine Katastrophe. Denn zumindest einige Gastronomen haben ja eine Versicherung, die dann hoffentlich auch irgendwann bezahlt. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Unser Lieferservice ist damit jetzt aber auch vom Tisch.

Wie voll sind denn jetzt die Lager der Kölner Gastronomen? 

Sehr voll leider, denn für alles andere kam die Schließung jetzt zu schnell. Bei mir wurden zum Beispiel gerade drei Tanks mit jeweils 1500 Liter Bier geliefert für rund 3000 Euro. Das hält sich nur wenige Wochen. Viel Frischware ist auch noch da, das wird sehr ins Geld gehen. Einiges davon haben wir an unsere Mitarbeiter gegeben.  

Das Gespräch führte Sarah Brasack 

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