Erzbistum KölnProteste am Tag vor Veröffentlichung des Missbrauchs-Gutachtens

Lesezeit 4 Minuten
Woelki weiß

Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki

Köln – Zu Füßen des Doms schläft der Bischof in einer Hängematte, die zwischen zwei angebrochenen Kreuzen hängt. „11 Jahre schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle“ steht auf der großen Pappskulptur des Düsseldorfer Karnevalswagenbauers Jacques Tilly. Das bundesweite Aktionsbündnis der Betroffeneninitiativen hat die Skulptur quasi als Auftaktkulisse für die lange erwartete Vorstellung des Missbrauchsgutachtens des Strafrechtlers Björn Gercke am Donnerstag vor dem Dom postiert. Davor verteilen Antonius Köck und Nicole Sacha, beide Betroffene kirchlichen Missbrauchs, die Flyer des Aktionsbündnisses der Betroffeneninitiativen.

Sie freuen sich über die Aufmerksamkeit der vielen Passanten, die ihre Handys zücken. Ein Grundschüler mit seiner Mutter fragt forsch, ob er denn hier nicht irgendwo auch gegen Kinderschänder in der Kirche unterschreiben könne. Gleich neben der Tilly-Skulptur hat die Giordano-Bruno-Stiftung symbolisch eine lange Bank aufgestellt: „Das ist die katholische Kirche: Missbrauch vertuschen, Entschädigung auf die lange Bank schieben“, steht auf dem großen Aufsteller daneben, daneben steht der Bus der Stiftung mit der Aufschrift „KirchenStaat – nein Danke“.

tilly2

Tilly-Skulptur zum Missbrauchsskandal in Köln zu Gast vor dem Dom

Sie alle wollen mit ihrer Mahnwache Gesicht zeigen, wenn am Donnerstag nach monatelangem Streit im benachbarten Maternushaus das Missbrauchsgutachten vorgestellt wird und die katholische Welt nach Köln blickt. Dann sollen auch endlich klar Namen benannt werden auf der Suche nach Verantwortlichen für sexuellen Missbrauch und Vertuschern unter den Verantwortlichen im größten deutschen Bistum.

Der erwartete Andrang ist groß. Nicht nur Betroffeneninitiativen, sondern auch Journalisten aus der ganzen Republik wollten dabei sein, wenn die Kanzlei ihre Ergebnisse um 10 Uhr in einer Pressekonferenz vorstellt. Wegen der Corona-Pandemie musste der Zutritt stark begrenzt werden.

Pressekonferenz wird live gestreamt

Per Los wurden letztendlich die zwölf Journalisten bestimmt, die live dabei sein können. Für alle anderen Interessenten wird die Pressekonferenz live gestreamt über die Website des Erzbistums und des Domradios. Vor dem Maternushaus werden kirchliche Würdenträger Position beziehen.

Direkt im Anschluss an die Pressekonferenz erhalten die Mitglieder des Betroffenenbeirats den ersten Einblick in das Gutachten, das 700 Seiten stark sein soll. Danach wird es auf der Website des Erzbistums veröffentlicht.

Auch wenn in dem Gutachten Verantwortliche benannt werden: personelle Konsequenzen wird Kardinal Rainer Maria Woelki am Donnerstag wohl noch nicht verkünden. Zunächst werde Woelki in verschiedenen Gremiensitzungen die Ergebnisse des Gutachtens vorstellen und beraten, erklärte das Erzbistum.

Am 23. März, also fünf Tage nach der Vorstellung des Gutachtens, will der Kardinal dann in einer weiteren Pressekonferenz die Konsequenzen aus dem Gutachten vorstellen. Woelki hatte vorab angekündigt, etwaige Verantwortliche von ihren Aufgaben zu entbinden, und auch sich selbst zur Disposition gestellt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Bereits im Vorfeld wurde bekannt, dass der Gutachter rund 200 Beschuldigte – Priester und Laien – sowie etwa 300 Opfer feststellte. Es handelt sich um die zweite Ausarbeitung für das Erzbistum - ein erstes Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wurde zunächst nicht wie vorgesehen veröffentlicht, weil Kardinal Woelki es für mangelhaft hält. Kritiker warfen ihm deshalb mangelnden Aufklärungswillen vor.

Wahrheitskommission gefordert

Die Erwartungen der Betroffenen sind indes gedämpft. „Ich erwarte nicht allzu viel. Es handelt sich ja um eine rein juristische und nicht um eine moralische Prüfung“, sagte Antonius Köck vom Aktionsbündnis Eckiger Tisch. Die Namen der in Rede stehenden Betroffenen seien ja ohnehin schon im Vorhinein durchgesickert.

Statt eine Gutachtens fordern die Betroffeneninitiativen, dass die Aufarbeitung nicht länger nur den Verantwortlichen der katholischen Kirche überlassen werde. Es brauche die Einsetzung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission durch das Parlament, die die Aufarbeitung des „jahrzehntelange systematische institutionelle Versagen in den Kirchen begleitet.

Außerdem helfe es nicht, einfach nur Personen auszutauschen. Es gehe um die dahinter liegenden Strukturen, die aufgebrochen werden müssten, betonen Köck und Sacha. Der „Hängemattenbischof" bleibt noch bis einschließlich Freitag auf der Domplatte.

Die katholische Reforminitiative Maria 2.0 wird am Freitag um 17 Uhr auf dem Roncalliplatz vor dem Kölner Dom eine Solidaritätskundgebung unter dem Motto: „An eurer Seite für Gerechtigkeit“ veranstalten.

KStA abonnieren