Funktionsbereiche des Erzbistums Köln sollen messbare Größen für pastorale Wirksamkeit liefern – sogar das Museum Kolumba. Von Erfolgsmeldungen hängt viel ab.
Personal und GeldKardinal Woelki erfasst „Output“ und „Impact“ im Erzbistum mit BWL-Fragebogen
Im Haus des Erzbischofs von Köln sind Leihgaben zu bewundern: Werke der Gegenwartskunst, die der Hausherr aus den Beständen von Kolumba bekommen hat, dem Kunstmuseum des Erzbistums. Als Kardinal Rainer Woelki vor zehn Jahren seine Amtszimmer an der Kardinal-Frings-Straße bezog, wünschte er sich die Ausstattung nicht so plüschig-neobarock, weniger feudal-herrschaftlich als unter seinem Vorgänger Kardinal Joachim Meisner. Tatsächlich wirken die Räume seitdem sachlich, funktional, fast kühl. Kein Ambiente, das einem in Erinnerung bleibt.
Mit Ausnahme der Kunst aus Kolumba, zum Beispiel einem Zyklus von minimalistischen Zeichnungen der Kölner Künstlerin Monika Bartholomé. Was macht die Wirkung der Bilder auf die Besucher aus? Und ließe sich das irgendwie messen? Nach bestimmten Kriterien und Kennzahlen quantifizieren? Kaum. Oder könnte man erheben, wie viele Betrachter sich nach einem Besuch in Woelkis Büro zur Gemeinschaft der Kirche eingeladen fühlen, in eine vertiefte Beziehung mit Christus kommen oder gar eine geistliche Berufung verspüren?
Mit Consulting-Sprech aufgepimpter Fragebogen
Ein abwegiger Gedanke? Keineswegs, wenn man sich ansieht, womit Woelkis pastoraler Chefstratege Simon Schmidbaur, vor einem Jahr als „Senior Manager“ von der fürs Erzbistum tätigen Beraterfirma Deloitte herübergewechselt, derzeit in Woelkis Auftrag verschiedene kirchliche „Funktionsbereiche“ überzieht: Gemeinden, Tagungshäuser und Bildungsstätten, Schulen und Kitas, die Jugendpastoral, Erwachsenen- und Ausländerseelsorge, aber auch die Hohe Domkirche, das Historische Archiv – und Kolumba. Sie alle sollen in einem mit Consulting-Sprech aufgepimptem Fragebogen ausführlich ihren Beitrag zu vier „strategischen Zielen“ des Kardinals darlegen: Nachfolge leben, missionarisch Kirche sein, diakonisch wirken und generationengerecht handeln.
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Was die einzelnen Funktionsbereiche hier für das von Woelki vorgegebene „Oberziel der Evangelisierung“ tun und wie gut es ihnen gelingt, das soll anhand von drei Kriterien bewertet werden. Da ist erstens das „Proprium“. Hier wird darauf geschaut, ob die einzelnen Bereiche tun, „was so nur wir als Kirche tun (können)“. Danach geht es zweitens um die „Wirksamkeit“ und drittens um die „quantitative Veränderung“. Beides soll ausdrücklich messbar sein.
„Verändern“ wird kurz und bündig als „mehr werden“ präzisiert
Und damit es auch jeder begreift, wird „verändern“ kurz und bündig präzisiert: „mehr werden“, so ist das gemeint. Auch soll beim Beantworten der Fragen ja niemand auf die Idee von Luftschlössern oder Potemkinschen Dörfern kommen. Da bauen der „Bereichsleiter Strategie“ Schmidbaur und seine Berater vom Ex-Arbeitgeber KPMG direkt vor: „Da der Fokus auf der Bewertung von Realitäten und nicht Potenzialen liegt, wird das Kriterium Wachstum rückblickend über die letzten drei bis fünf Jahre betrachtet.“
Klare Kante, klare Ansage. Nun liefert mal schön! Mehr Messbesucher, mehr Teilnehmer an Gebetskreisen, mehr Taufen, mehr aktive Beteiligung am Gemeindeleben – das sind folgerichtig die Wachstumsvisionen, die in der Ausfüllanleitung zu Schmidbaurs Fragebogen am Beispiel Glaubenskurse entwickelt werden. Stets geht es um „Output“, „Outcome“ und „Impact“, um Indizes und Kennzahlen. Und am Ende des ganzen Unterfangens steht dann noch eine klare Ansage: Von den Ergebnissen der Erhebung wird abhängen, wie viel Personal und wie viel Geld die einzelnen Funktionsbereiche künftig erhalten.
Schon im Oktober will Woelki die künftigen Schwerpunkte festsetzen
Viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr. Wie zu hören war, tauchten Abgesandte der Bistumsverwaltung zur Vorstellung des Fragebogens vorige Woche sehr kurzfristig beim Team von Kolumba auf, mitten in dessen Vorbereitungen für die neue Jahresausstellung „Artist at Work“. Vernissage zur Eröffnung: 14. September. Fast parallel dazu soll laut Zeitplan des Erzbistums bereits der Rücklauf der Fragebogen-Aktion „validiert“ werden. Schon Ende Oktober will Woelki dann die künftigen pastoralen Schwerpunkte festsetzen. Die Umsetzungspläne sollen im November stehen.
Der Leiter von Kolumba, Stefan Kraus, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Zu beschäftigt mit der Ausstellung, lautete der Bescheid auf eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber es braucht nur wenig Fantasie, um sich auszumalen, dass Woelkis Pastoralplanung gegen alles läuft, wofür Kolumba als „Kirchenort anderer Art“ seit der Einweihung 2007 steht: für eine geistige und spirituelle Weite, die sich gerade nicht messen lässt.
Noch vor fünf Jahren schien Woelki das verstanden und goutiert zu haben. In dem voluminösen Kolumba-Band „Auswahl drei“ rühmte er das Museum 2019 in einem Grußwort als „mit Glauben getränkten Ort“, dessen größte Auszeichnung ihm – Woelki – „die Akzeptanz und die Resonanz bedeutet, die es bei den Menschen selbst findet“. Kolumba sei „ein ganzheitlich zu erlebender Raum, der seinen Besucherinnen und Besuchern in einer Welt, die von Ökonomie und Effizienzdenken dominiert wird, ein gegenläufiges Angebot macht“. Und was sie hier womöglich an Transzendenz erführen, „wollen und können wir nicht erzwingen“, so der Kardinal damals. Also auch nicht in Kennzahlen ausdrücken, auf Fragebögen übertragen und mit Wachstumsindizes versehen.
Bonner Theologe Gerhards kritisiert „ökonomisiertes Profitdenken“
Der Geist, der aus diesen Worten spricht, hat sich in Woelkis neuer Strategie verflüchtigt. Entgeistert und erbost zeigt sich der Liturgiewissenschaftler, Kunst- und Architektur-Sachverständige Albert Gerhards von der Universität Bonn. Woelkis Verständnis von Evangelisierung mit der „Vertiefung und Stärkung der Beziehung zu Christus“ als Maßstab allen kirchlichen Handelns hält der Theologe für anmaßend und autoritär: als ob die Kirche und ihre Akteure bei Christus angekommen wären und alle anderen nur noch dahin zu führen bräuchten, wo sie selbst längst ihren Platz hätten. Fragt uns! Wir zeigen euch, wo’s lang geht auf dem Weg zu Christus – „das zementiert das hierarchische Verständnis von Kirche in den Köpfen und hält die Kirche gefangen in Denkmustern des 19. Jahrhunderts“, sagt Gerhards.
Ein Ort wie Kolumba, wo sakrale Kunst früherer Zeiten und profane Gegenwartskunst im Dialog sind, stehe für ein anderes Verständnis: Die Kirche lässt Raum für authentische, geistgewirkte Erfahrungen der Gottesgegenwart, mit denen sie selbst gar nicht direkt zu tun haben muss. „Das entzieht sich jedem ökonomisierten Profitdenken.“
Auch die Kirche könne in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten mit absehbar sinkender Kirchensteuer die Zahlen und das Geld nicht außer Acht lassen. „Aber sie darf mit der Rede von der Evangelisierung nicht einen Sparkurs nach rein quantitativen Kriterien bemänteln.“ Neben dieser Instrumentalisierung ärgert Gerhards die bevormundende Attitüde der Bistumsleitung: „Die tun so, als wäre es ihr Geld, das sie nach Gutdünken verteilen könnten. Dabei haben sie nichts anderes als unser Geld.“
Im Erzbistum geht derweil die Sorge um, dass es längst beschlossene Sache sei, wo Gelder gestrichen und Stellen gekürzt werden sollen. Fragebogen hin, Messbarkeit und Validierung her. „Das ist Schattenboxen“, sagt eine leitende Persönlichkeit aus dem Bistumsestablishment.
Und sie verweist darauf, dass mindestens einer sich nicht interviewen lassen muss, wie messbar er wohl der vertieften Christusbeziehung dient und wie viele Menschen er der Kirche zuführt: Kardinal Woelki. Der „Funktionsbereich Bischöfe, Bischofsvikare, Offizialat, Erzbischöfliches Haus“, heißt es in der Präsentation zum Fragebogen, sei zusammen mit der Bistumsverwaltung „abhängig von der Bewertung“ der anderen Bereiche und – folge dieser.