VIATORI ILLEGALI – den unrechtmäßig Reisenden. Wie eine Mahnung funkeln die vergoldeten römischen Lettern in der Mittagssonne. Am Eingang der U-Bahn-Haltestelle Akazienweg. LANUA LUDICII – das Tor der Gesetzmäßigkeit – strahlt es golden vom Eingang gegenüber. An diesem Vormittag wirken die Inschriften der Skulpturen unfreiwillig zynisch. Ob der Bildhauer Heinrich Brummack sie nur Schwarzfahrern gewidmet hat?
Auch im weniger sonnigen Untergrund gibt es neuerdings Lettern in Gold. „Goldenboy“ hat sich dort mit einem Graffito verewigt. Zwei mal drei Meter, auf der frisch getünchten Betonwand. Keine zwölf Stunden ist das her. Auf dem Treppenabgang zum Tatort hat man den Gesetzeshütern eine Botschaft in rotem Lack hinterlassen: „You can’t stop me“ – ihr könnt mich nicht stoppen.
„Ironie des Schicksals“, kommentiert Kriminalhauptkommissar Dirk Schuster die Nachricht, während er gelassen daran vorbei läuft. Im Gleichschritt mit Kollege Andreas Schmitz. Und mit Oberwasser im Blick. Denn in der Nacht zuvor, Punkt 0.54 Uhr, haben Beamte Goldjunge gestoppt. Ein KVB-Mann hatte ihn per Videokamera beobachtet und die Polizei alarmiert. Noch in der Nacht landete die Anzeige gegen den 25-Jährigen im Büro der Kollegen Schmitz und Schuster.
156 Tatverdächtige wurden im Vorjahr auf diese Weise ermittelt – infolge von Observationen der Kripo oder weil Eigentümer, Angestellte der Stadt und andere Zeugen Anzeige erstattet haben. Gegen 61 Erwachsene, 25 Heranwachsende, 54 Jugendliche und 16 Kinder. 95 Prozent von ihnen sind männlich, die meisten Gymnasiasten und Realschüler. Seit 1998 arbeiten die beiden Graffiti-Fahnder Seite an Seite. Heute beim Kriminalkommissariat 57 – zuständig auch für jugendliche Intensivtäter und Jugendkriminalität. In den Neunzigern bei der „Ermittlungskommission Farbe“. Allein das Vokabular verrät: „Hier handelt es sich weder um Kunst noch um Kavaliersdelikte.“ Schuster wird nicht müde, das zu betonen. Hier geht es um Gesetzesbruch.
Sollte es zu einer Anklage kommen, kann sein Bombing Goldjunge teuer zu stehen kommen. Denn illegales Sprühen wird hierzulande als Straftat geahndet: Sprayer, die sich gegen den Willen der Besitzer an deren Eigentum zu schaffen machen, müssen sich wegen Sachbeschädigung verantworten, sobald sie 14 Jahre alt sind. Ein Vergehen, das mit Geldbußen und bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann.
Auch zivilrechtlich hat illegales Sprühen zum Teil gravierende Folgen. Schuster berichtet von zwei Jugendlichen, deren nächtliche Graffiti-Aktion 18000 Euro Schadensersatz nach sich zog. Sie hatten mehrere Streifenwagen der Polizei besprüht. Kinder ab dem siebten Lebensjahr sind für ihr Handeln zivilrechtlich haftbar. Da hilft auch keine Familienhaftpflicht. Vorsätzlich begangene Schäden werden nicht ersetzt.
Selbst wenn der Betroffene zum Tatzeitpunkt zahlungsunfähig ist: Ein zivilrechtlicher Anspruch ist 30 Jahre lang gültig.
Während Schmitz und Schuster den Tatort inspizieren, Fotos von dem Delikt in Gold einfangen und nach Beweismitteln suchen, lassen sie die Höhepunkte aus 20 Jahren Graffiti-Fahndung Revue passieren. Zum Beispiel jene Nacht im Jahr 2009, in der Sprayer in drei KVB-Depots 80 Straßenbahnen besprüht haben. Verraten ihr spektakulärstes Beweisstück: die Schablone eines bekannten Kölner Künstlers. Und ziehen Bilanz. Wie sich die Szene seit Mitte der Neunziger von der Subkultur zum Massenphänomen entwickelt habe. Dass in der Folge die Qualität der angezeigten Graffiti immer schlechter werde. Was auch der Dominanz einzelner Crews geschuldet sei. Ebenso wie der Tatsache, dass es in der Stadt keine legale Szene gäbe, die ihnen Paroli bieten könnte.
„Deshalb haben wir absolut kein Verständnis für die Diskussion um den künstlerischen Aspekt“, sagt Schuster. „Graffiti, mit denen wir zu tun haben, implizieren den Kick des Illegalen. Versprechen die höchste Anerkennung in der Szene“, fügt Schmitz an. Dabei hätten Sprayer seiner Meinung nach genügend legale Chancen, bei Projekten der Stadt oder Auftragsarbeiten zu beweisen, was sie künstlerisch drauf haben. „Da das aber als uncool gilt, müssen wir uns mit miesen Tags herumschlagen“, sagt Schmitz.
Ein Blick in die Kriminalstatistiken bestätigt: Während es die Polizei Köln seit 1998 mit der annähernd gleichen Anzahl von angezeigten Sachbeschädigungen zu tun hat – um die 2000 sind es pro Jahr –, hat sich die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen beinahe verdreifacht – auf 156 im Jahr 2012. Was die Qualität betrifft, spricht das gespeicherte Bildmaterial der Strafanzeigen für sich. Zwei Jahre werden Tatfotos von unbekannten Sprühern gespeichert, fünf Jahre von bekannten Schriftzügen. 90 Prozent dieser Bilder zeigen Tags und Bombings, ein- bis zweifarbige, mit Edding oder Sprühdose gefertigte Ziffern oder Zahlen. Auf den restlichen zehn Prozent sind mehrfarbig gesprühte Pieces zu sehen – an denen manch Streetart-Affiner kaum Anstoß nehmen würde.
Auf der Rückfahrt zum Kommissariat – mit Abstechern zu Kölner Graffiti-Brennpunkten – geraten die Kriminalisten ins Visionäre. „Unser größter Wunsch? Dass Kölns Kings realisieren, dass sie Schmierfinken sind. Dass sie auf legalen Flächen ihr Können üben und beweisen. Wie auf dieser hier“, sagt Schuster und stoppt den Wagen vor einem Hochhaus in der Trierer Straße. Hier gestaltet das Berliner Künstler-Duo Low Bros im Rahmen des Cityleaks-Festivals eine Fassade. Legal. Am helllichten Tag. Freigegeben von den Eigentümern. Vermutlich in der Hoffnung, dass das Kunstwerk renommierter Sprayer ihre Fassade vor weiteren Tags schützt.
Noch zwei Tage später, die Berliner haben ihr Werk vollendet, ist der Tag der „LTN“-Crew auf dem unteren Mauerabschnitt unangetastet (siehe Foto). „Ein bildlicher Beweis unseres Dilemmas“, sagt Iren Tonoian, Sprecherin von Cityleaks, die zwischenzeitlich auf Wunsch des Besitzers die Tags übermalen ließ. Dilemma, damit meint die Verfechterin der urbanen Kunst den Spagat, den die Veranstalter machen müssen, um ihrer Idee gerecht zu werden: Graffiti salonfähig zu machen. „Dazu zählt auch, bislang illegale Sprayer einzubinden. Ihnen die Chance zu geben, privilegiert zu malen.“
Im Hellen. Als Kunst für Jedermann. Und nicht allein mit dem Ansporn, eine Wand zu erobern.