Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Imam der Ahmadiyya-Gemeinde in Köln„Ich erwarte von den Islamverbänden viel, viel mehr“

Lesezeit 8 Minuten
Mahmood Malhi, Imam der Ahmadiyya-Gemeinde in Köln, im Gespräch mit einem Gemeindemitglied.

Mahmood Malhi, Imam der Ahmadiyya-Gemeinde in Köln, im Gespräch mit einem Gemeindemitglied.

Vor einem Jahr organisierte Mahmood Ahmed Malhi nach Terrordrohungen eine Menschenkette am Dom. Über einen Geistlichen, der gegen Radikalisierung und für Zusammenhalt kämpft. 

Als islamistische Terroristen im Dezember 2024 einen Anschlag auf den Kölner Dom planten, schützten Hundertschaften die Kathedrale. Rund um die Uhr wachten schwarz uniformierte Polizisten vor dem Eingang, vermummt mit Sturmhaube, in den Händen Maschinengewehre. 

Auf den Treppen zur Domplatte versammelte sich damals aber auch eine Gruppe von mehr als 100 Männern in blauen Fahrradtrikots. Sie bildeten eine Menschenkette, auf ihrer Brust stand der Schriftzug „Muslime für den Frieden“, in den Händen hielten sie Plakate. „Ich bin Muslim und stehe ein für den Schutz der Kirche“, stand dort. Mittendrin reihte sich Mahmood Ahmed Malhi ein, Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Köln und Initiator der Demonstration. 

Fein schwingt Stolz mit, wenn Malhi von der Aktion erzählt. Passanten blieben stehen und schüttelten jedem einzelnen Gemeindemitglied die Hand. Eine evangelische Pastorin auf der Durchreise suchte das Gespräch und habe sich bedankt. Später rief ihn der deutsche Botschafter in Georgien an: „Selbst hier in Tiflis spricht man darüber“, habe er gesagt.

Wer ist der Mann, der im vergangenen Jahr beharrlich versuchte, öffentliche Zeichen zu setzen? Nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim, nach dem Anschlag auf das Solinger Stadtfest. Tötete jemand in Deutschland im Namen seiner Religion Menschen, fühlte er sich in der Pflicht. Der Imam trommelte seine Gemeindemitglieder zusammen und schwang sich im Friedenstrikot auf sein Rad. Als könne er gegen das Gefühl des Misstrauens, der Spaltung, der Unsicherheit anstrampeln. Malhi beschreibt sich als Mensch, der Brücken bauen möchte. Selbst dann noch, wenn er sie einstürzen sieht.

Wenn Michael Ballack zum Tor sprintete, hob Malhis Mutter die Hände zum Himmel und betete

Mahmood Ahmed Malhi wuchs in Mannheim auf, als Kind pakistanischer Einwanderer. Religion prägte den Alltag der Familie; schon sein Vater arbeitete für die örtliche Ahmadiyya-Gemeinde.

Die Ahmadiyya Muslim Jamaat ging im 19. Jahrhundert in Nordindien als Reformbewegung aus dem Islam hervor, gegründet von Mirza Ghulam Ahmad, der sich als Prophet verstand. Einige Schiiten und Sunniten sehen Ahmadis deshalb als Ungläubige und Sektenanhänger, weshalb sie bis heute ausgegrenzt und verfolgt werden. Ähnlich wie die katholische Kirche hat auch die Ahmadiyya ein internationales Oberhaupt. Die Gemeinschaft mit weltweit zwölf Millionen Mitgliedern wird von einem Kalifen geleitet, der momentan in London lebt. In Deutschland blickt die Gemeinde auf eine verhältnismäßig lange Geschichte zurück: Bereits vor über 100 Jahren bauten Ahmadis hier ihre erste Moschee. Als erste muslimische Gemeinschaft in Deutschland verlieh man der Ahmadiyya in Hessen und Hamburg den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, welche ihr dieselben Rechte einräumt wie einer Kirche. Sie bezeichnet sich selbst als „liberal, aber wertkonservativ“. Ihr Motto lautet: „Liebe für alle, Hass für keinen.“

Wenn Malhi von seiner Kindheit spricht, verbindet er seine Geschichten mit Glaubensleitlinien. Er erzählt, wie seine Mutter stets zu viel Essen gekocht und eines der Kinder mit einem Teller zu den Nachbarn geschickt habe, denn nach islamischer Lehre müsse man auf seine Mitmenschen achten. Davon, wie seine Mutter ihre Kinder morgens ermahnte, Lehrern mit Respekt zu begegnen, da sie im Koran denselben Rang einnähmen wie die Eltern. Laut seinem Glauben, sagt Malhi, müsste er als Muslim die erste Verteidigungslinie bilden, wenn eine Kirche oder eine Synagoge angegriffen wird.

Bei WM- und EM-Fußballspielen hängte der Vater eine schwarz-rot-goldene Fahne aus dem Fenster. „Deutschland hat euch ein Dach über dem Kopf gegeben, Bildung und vieles mehr“, habe er dann gesagt. „Also sollte euer Herz auch beim Sport für Deutschland schlagen.“ Wenn Michael Ballack mit dem Ball am Fuß zum Tor sprintete, erzählt Malhi, habe seine Mutter die Hände zum Himmel gehoben und gebetet. 

In seinem Elternhaus empfing der Vater regelmäßig Imame. Für den Sohn waren sie eine Inspiration; ein Imam sei schließlich eine Leitfigur, die über eine gewisse Autorität verfüge. Jemand, der Veränderung bewirken könne, sagt Malhi, innerhalb seiner Gemeinde bis hin zur islamischen Welt. Nach dem Abitur studierte er islamische Theologie, im Dezember 2016 schickte die Religionsgemeinschaft ihn nach Köln. Als er durch die Straßen seines neuen Zuhauses ging, blickten viele Kölner neugierig auf seine Jinnah Cap, Malhis Kopfbedeckung.

Köln wurde seine neue Heimatstadt. Ihm gefalle die kölsche Kultur, sagt Malhi, die Offenheit, die Mentalität von: Ihr gehört alle dazu. Wenn er heute den Kölner Dom erblicke, fühle er sich zu Hause. 

Junge-Union-Chef: „Wenn eine muslimische Gemeinde sich schützend vor eine Kirche stellt, muss ich als Christ dasselbe für sie tun“

Ein Nachmittag Anfang des Jahres. Mahmood Ahmed Malhi sitzt neben Kevin Gniosdorz, Chef der Jungen Union in NRW, in einem Nebenraum der Bait-un-Nasr Moschee in Köln-Nippes. Die beiden Männer kennen sich, Gniosdorz hatte Malhi nach der Menschenkette vor dem Dom eine lange Mail geschrieben. Es war Gniosdorz, der den „Kölner Stadt-Anzeiger“ einlud, ihn zu dem Treffen in der Moschee zu begleiten. 

Wer sich für Zusammenhalt so engagiere wie Malhi, verdiene mehr Aufmerksamkeit, begründete der CDU-Politiker. „In Deutschland leben sechs Millionen Muslime. Wir können nicht immer über Spaltung reden und nichts dagegen machen.“ Wenn eine muslimische Gemeinde sich schützend vor eine Kirche stelle, sagt Gniosdorz, müsse er als Christ für die Gemeinde dasselbe tun, wenn sie es brauche. 

Mahmood Malhi, Imam der Ahmadiyya Gemeinde in Köln, mit Kevin Gniosdorz (CDU) in der Bait un Nasr Moschee in Köln-Nippes

Mahmood Malhi, Imam der Ahmadiyya Gemeinde in Köln, mit Kevin Gniosdorz (CDU) in der Bait un Nasr Moschee in Köln-Nippes

Sie wollen an diesem Nachmittag darüber reden, wie man es vermeiden könne, dass Menschen sich radikalisierten, über Soziale Medien wie TikTok, in denen ein Großteil der islamischen Inhalte von Salafisten verbreitet werden. Seine Gemeinde überlege, ebenfalls einen Account zu erstellen, sagt Malhi. Er würde in Videos gerne „die Inhalte dieser Möchtegern-Prediger“ entlarven. „Oder man spricht einfach über die friedlichen Botschaften der Religion.“ Erst kürzlich habe ein Jugendlicher aus der Gemeinde ihn auf die Koranverse angesprochen, laut denen auch Christen und Juden ins Paradies kommen können. Ob Malhi ihm diese Verse schicken könne, fragte er. „Ich glaube, er hat mit jemandem gesprochen, der eine andere Meinung hatte.“

„Wenn eine Mehrheit der Muslime laut wird, können wir die wenigen Radikalen vielleicht übertönen“

Im Jahr 2023 gründete Malhi den Verein „Friedens-Fahrradclub Köln“ und bestellte für alle Mitglieder die blauen Fahrradtrikots, mit dem Schriftzug „Muslime für den Frieden“ auf der Brust und den Deutschlandfarben auf dem Ärmel. Sie trugen die Trikots auf den Treppen vor dem Kölner Dom, als sie nach dem Anschlag auf dem Stadtfest nach Solingen radelten und dort Gebete sprachen und als sie im Rahmen einer Gedenkaktion für den getöteten Mannheimer Polizisten Rouven Laur durch Köln fuhren. 

Gespräch mit Mahmood Malhi, Imam der Ahmadiyya-Gemeinde in Köln

Gespräch mit Mahmood Malhi, Imam der Ahmadiyya-Gemeinde in Köln

Malhis Reaktion auf islamistische Angriffe ist offensiv und symbolträchtig. Unverdrossen versucht er, eine positive, muslimische Gegenöffentlichkeit zu erzeugen. Ähnlich reagierten weitere Ahmadiyya-Gemeinden: Nachdem ein mutmaßlich psychisch kranker Afghane in Aschaffenburg zwei Menschen tötete, erteilte die Stiftskirche bei einem Gedenkgottesdienst dem Imam und Ahmadi Zischan Mehmood das Wort. Am Redepult vor dem Altar verurteilte Mehmood als muslimischer Vertreter die Tat, er rief zu Zusammenhalt auf, mahnte vor „Spaltern und Scharfmachern“. Der Respekt vor den Opfern verbiete eine „derartige unterkomplexe politische Instrumentalisierung“. Viele geladene Gäste in der Kirche applaudierten.

Das Vorgehen der Ahmadiyya unterscheidet sich von dem großer Islamverbände, die die Anschläge zwar verurteilten, den islamistischen Hintergrund aber nur selten erwähnten. Es schimmerte der Tenor durch: Wenn ein Mensch einen Anschlag begeht, müssen wir doch nicht erklären, dass er nicht für eine ganze Religion steht. Stattdessen warnten viele vor einer Diskriminierung von Muslimen als Folge.

Die Sorge teilt Malhi, den Weg nicht. „Anschläge zielen darauf ab, einen Riss durch die Gesellschaft zu ziehen“, sagt er. „Deshalb erwarte ich von den Islamverbänden viel, viel mehr. Wenn eine Mehrheit der Muslime laut wird, können wir die wenigen Radikalen vielleicht übertönen.“

Gefühl des Auseinanderdriftens

Spricht Malhi von seinem Glauben, verknüpft er ihn häufig mit ehrenamtlichem Engagement für seine Heimat. Er erzählt dann, wie seine Gemeinde nach der Katastrophe im Ahrtal dutzende Male ins Flutgebiet fuhr, von Tür zu Tür ging und warme Mahlzeiten verteilte, wie sie jedes Jahr nach dem Neujahrsgebet Kölner Straßen sauber fegen. Malhi spürt Veränderung. Er spricht von einem Gefühl des Auseinanderdriftens, schleichend, aber spürbarer mit jeder Gewalttat und jedem Prozentpunkt mehr für die AfD. Einige Kölner schauten heute anders auf seine Jinnah Cap, seinen Bart, seine dunklen Haare, sagt er. „Ihre Blicke sagen mir, dass wir hier nicht willkommen sind.“

Da war der ältere Mann an der roten Ampel, wenige Wochen zuvor. Malhi radelte wieder im blauen Friedenstrikot mit seinem Fahrradclub durch Köln. Der Mann blickte zu ihnen herüber. „Ihr habt euch verfahren“, sagte er. „Geht wieder zurück.“ Oder der Mann, der sich den Ahmadis kurz nach einer Offensive der israelischen Armee im Gazastreifen näherte. „Jetzt habt ihr auf die Fresse bekommen“, habe er gesagt. Nicht immer könne Malhi den Frust seiner Gemeindemitglieder auffangen. 

Es gebe aber auch die positiven Erfahrungen. Der Imam erzählt von einer Kassiererin im Supermarkt gegenüber, die ihn jedes Mal mit einem strahlenden Lächeln begrüßt, seit sie ihn von der Menschenkette vor dem Dom erkannte. Von Autofahrern, die den Daumen hochrecken würden, wenn sie den Schriftzug auf seinem Trikot lesen. Von dem Messeleiter der St. Ursula Kirche, der ihn umarmte, nachdem Malhi ein Kondolenzschreiben zum Tod von Papst Franziskus überreicht hatte. Davon, wie er sich jede dieser Begegnungen einpräge.

Nun habe er wieder ein neues Projekt. Über die Homepage der Stadt erfuhr er, dass die Freiwillige Feuerwehr engagierte Ehrenamtliche suche. Malhi hat kurzerhand seinen Fahrradclub überzeugt und die ersten Telefonate mit der Feuerwehr geführt. Der Mann am Apparat habe sich sehr gefreut, als er ankündigte, mit mindestens 25 Menschen zu den Einführungsseminaren zu kommen. „Wir sind alle motiviert.“