„Arbeiten wie im Mittelalter“Diese Kölner Dom-Handwerker sind die letzten ihrer Art

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Domschmied Thomas Hecker

  • Nicht nur die Art zu arbeiten, auch viele Berufe, die die Handwerker in der Kölner Dombauhütte ausüben, sind vom Aussterben bedroht.
  • „Wir arbeiten hier teilweise noch genauso wie die Kollegen im Mittelalter“, sagt etwa Domschmied Thomas Hecker.
  • Die Handwerker stellen sich in den Dienst des Kölner Doms, wohl wissend, niemals fertig zu werden. Ein Blick hinter die Kulissen.

Köln – Manchmal fasst ein einziger Satz die ganze Geschichte zusammen. Über dem Tor der Dombauhütte haben die Mitarbeiter den Satz aufgehängt, der wie eine Losung über ihrer Arbeit schwebt: „Gott schuf die Zeit. Von Eile hat er nicht gesprochen“. Grinsend weist Domschmied Thomas Hecker (50), der seine Werkstatt gleich vorne links hinter dem Eingang hat, mit der Hand in Richtung des Schildes.

Er wird nicht der einzige Handwerker der Dombauhütte bleiben, der bei der Beschreibung seiner Arbeit vielsagend in diese Richtung weist. Mit einer derben Lederschürze steht der letzte Schmied der Kölner Innenstadt, der noch am offenen Feuer arbeitet, breitbeinig wie ein Baum vor den glühenden Kohlen. Den Blick hat er fest auf die acht in der Glut liegenden Meißel gerichtet, um geduldig zu warten, bis sie schließlich orange glühen, um sie dann mit dem Hammer in regelmäßigen Schlägen auf dem Amboss zu bearbeiten. „Wir arbeiten hier teilweise noch genauso wie die Kollegen im Mittelalter“, sagt er und ist stolz darauf. Hier in der Dombauhütte darf er sich noch Schmied nennen und nicht „Metallbauer/Fachrichtung Gestaltung“, wie sein Handwerk in der Welt der Effizienz und Schnelligkeit da draußen heißt.

Mit der Kölner Dombauhütte in eine vergangene Welt

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Hüttenmeister Uwe Schäfer sichert die hohen Qualitätsstandards.

Wer die Kölner Dombauhütte am Domhof betritt, wechselt mit wenigen Schritten vom wuseligen Treiben auf dem Roncalliplatz in eine andere vergangene Welt. „Wir sind hier ein eigener Kosmos, aber in die Gegenwart gestellt“, fasst Hüttenmeister Uwe Schäfer die Atmosphäre zusammen. Der Dom vereint nicht nur Baukunst und Handwerk so vieler Generationen unter seinem gotischen Dach. Er beschäftigt auch 100 Handwerker, die unter anderem als Bildhauer, Glasmaler, Steinmetze, Schlosser oder Schmiede tagtäglich dafür sorgen, dass das künstlerische Erbe von Generationen und die bauliche Qualität des Kulturdenkmals Kölner Dom erhalten werden.

Dabei bewahren die Handwerker, die hier arbeiten, nicht nur Handwerkskünste, die es nur noch in Dombauhütten gibt. Sie arbeiten unter einer Maxime, die einer Welt, in der alles schnell und preiswert produziert wird, fremd geworden ist: Hier zählt nämlich statt Preis- und Zeitdiktat nur exzellente Handwerksqualität. „Bei uns geht es nicht darum, wie schnell wir arbeiten, sondern wie gut“, fasst der Hüttenmeister zusammen. Auch mit diesen Prioritäten sei man sich seit dem Mittelalter treu geblieben. „Daher ist es meine zentrale Aufgabe, Zeitdruck von den Handwerkern fernzuhalten.“

Kölner Handwerker müssen perfektes Ergebnis abliefern

Der Druck, der hier herrscht, ist ein anderer: ein perfektes Ergebnis abzuliefern. Steinmetz Thomas Kaintoch (60) arbeitet gerade mit einer feinen Feile an der Frisur eines namenlosen Friedensengels. „Die wallenden Locken sind die meiste Arbeit. Die haben einen ganz eigenen Schwung“, erklärt der Steinmetz, während er ein ums andere Mal die Feile wechselt. Ein Dutzend Feilen liegen vor ihm. Allein die Haare kosten den Steinmetz mehrere Wochen Arbeit. Der Engel, der da überlebensgroß vor ihm steht, hat seinen Platz eigentlich im Nordturm.

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Steinmetz Thomas Kaintoch in seiner Werkstatt

Dadurch, dass derzeit am Nordturm ein Gerüst steht, ergab sich die Gelegenheit vier der 16 durch die Witterung bis zur Unkenntlichkeit mitgenommenen Engel abzunehmen und aus französischem Kalkstein neu nachzubilden. Und zwar exakt gleich.

Punktiermaschine funktioniert wie zur Zeit der Renaissance

Dazu hat Kaintoch mittels einer mechanischen Punktiermaschine, die im Grunde noch genau so funktioniert wie zur Zeit der Renaissance, anhand von Bildern und dem Torso ein originalgetreues Modell aus Gips gefertigt, nach dessen Vorbild er den neuen Engel formt. Mehr als ein Jahr dauert es, bis eine einzelne der vier Himmelsgestalten fertig ist. „Da entwickelt sich schon so etwas wie eine Beziehung“, meint er grinsend. Und zwar eine Art Idealbeziehung, in der keiner auf die Uhr schauen muss, man es aber miteinander gut aushalten können muss.

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Mit einer Punktiermaschine wird ein Modell aus Gips gefertigt.

„Ich bin dann fertig, wenn ich selbst definiere, dass das Ergebnis wirklich gut ist.“ Das empfindet Kaintoch neben der Perfektion, die ihm hier handwerklich abverlangt wird, als den größten Schatz seiner nun bereits 36 Jahre währenden Arbeit für die Dombauhütte: „Dass man sich hier nicht aus der Ruhe bringen lässt und für Details noch Zeit hat.“ Bevor er sich dem Engel zuwenden durfte, hat er sich neun Jahre mit so genannten Werkstücken befasst. Also Teilen aus Säulen oder Verzierungen, die ausgebessert werden mussten. Auch da arbeite man schon zehn bis elf Monate an einem einzigen Werkstück. „Aber jetzt brauchte ich dringend mal was Gegenständliches.“

Denn: So sehr es ein Privileg ist, jenseits von Getriebenheit und Preisdiktat der freien Wirtschaft seine Arbeit tun zu dürfen, so enorm sind die Anforderungen an Eigenmotivation und Ausdauer. „Es ist jedenfalls keine Arbeit für Menschen, die schnelle Ergebnisse haben wollen“, fasst Kaintoch die Herausforderung zusammen. Das sei besonders für Jüngere eine Hürde, da es eben so gar nicht in den Zeitgeist passe. Früher hat er in einem Grabmalbetrieb gearbeitet, das ging zack, zack. Alle paar Tage ein Neuanfang in Form eines neuen Steines. „Das hier ist dagegen museales Arbeiten. Ein fremdbestimmtes Arbeiten im Dienste der Kunst anderer. Man schafft ja keine eigene Kunst.“

Glasgemälderestaurator: „Dienst einer höheren Sache stellen“

„Man muss dem etwas abgewinnen können, sich in den Dienst einer höheren Sache zu stellen“, bekräftigt Glasgemälderestaurator Peter Berenkopf. „Und man muss akzeptieren, sich mit dem Unvollkommenen, niemals Fertigen zufrieden zu geben“. Der Restaurator sitzt im weißen Kittel im dämmrigen Licht gebeugt über einem von einer Speziallampe erhellten mittelalterlichen Fenster aus dem Christuszyklus, dem Einzug Christi in Jerusalem.

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Glasrestaurator Peter Berkenkopf in seiner Glaswerkstatt.

Mit einer feinen, spitzen Feder und einem Pinsel trägt er in Millimeterarbeit kleine Verkrustungen ab. Ziel ist, die „Fenster für den Betrachter wieder lesbar zu machen“, wie er sagt. Etwa sechs Wochen sitzt er an einem Fenster, danach ist das Fenster im Schnitt 30 Prozent heller. Die Rechts und links von ihm arbeiten Kollegen an weiteren Fenstern aus dem Christuszyklus. Die Atmosphäre hat etwas Konzentriertes, fast Meditatives.

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In minutiöser Kleinarbeit werden die Kirchenfenster gereinigt.

Vielleicht ist es so etwas wie eine positive Form von Demut einerseits und Respekt vor dem, was andere geschaffen haben andererseits, das die Menschen charakterisiert, die hier arbeiten. Die Bereitschaft, sich in den Dienst eines Bauwerks zu stellen, wohl wissend, niemals fertig zu werden. Und die Bescheidenheit in Zeiten der Selbstdarstellung auch niemals persönlich mit der eigenen enorm niveauvollen Handwerksleistung identifiziert zu werden. Wer von unten den Nordturm emporblickt und aus der Ferne die Engelsfiguren sieht, wird diese niemals mit Steinmetz Kaintoch identifiziert. Ihre Kreativität leben die Handwerker der Dombauhütte dann zu Hause teilweise in eigenen Ateliers aus, beim Malen oder Gestalten. 

Symbiose mit dem Kölner Dom

„Wer hier arbeitet, dem ist die Symbiose mit dem Bauwerk am wichtigsten“, sagt Schmied Hecker. Seit 26 Jahren arbeitet er hier für den Dom, den er als „riesige Wundertüte“ bezeichnet. Als Notre Dame brannte, da blutete ihm das Herz. Voller Trauer über die Zerstörung dessen, was seine Kollegen in Jahrhunderten kontinuierlich erarbeitet und erhalten hatten, sei er gewesen. „Wer kann schon ermessen, wie viele Hände beteiligt waren?“

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Mit dem Feuer macht Domschmied Thomas Hecker hartes Material „gefügig“.

Das Element Feuer, das habe ihn schon von Kind auf fasziniert – damals als sein Großvater noch eine Dorfschmiede in Worringen hatte. Da ist zum einen die faszinierende lodernde, tanzende Glut und zum anderen „die Faszination daran, sich durch das Feuer das Material, das so hart ist, gefügig zu machen.“ Dabei müsse man den Meißel im Kopf schon fertig haben, um innerhalb eines kleinen Zeitfensters dem Eisen in in mehreren Schritten die gewünschte Form abzuringen. Dabei benutzt der Schmied immer noch das Werkzeug seines Ur-Großvaters.

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Ein Teil des Werkzeugs von Domschmied Thomas Hecker

Hier werden Werkzeuge, wie auch Kompetenzen noch von Generation zu Generation weitergegeben, erklärt Hüttenmeister Schäfer. Als sei die Entfremdung der Moderne an der Dombauhütte vorbeigeweht.

Dombauhütten sollen immaterielles Kulturerbe der Menschheit werden

Nicht nur die Art zu arbeiten, auch viele Berufe, die die Handwerker in der Dombauhütte ausüben, sind vom Aussterben bedroht. Daher haben die Münster- und Dombauhütten aus Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz und Norwegen im Februar bei der Unesco in Paris beantragt, dass Dombauhütten immaterielles Kulturerbe der Menschheit werden.

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Zusammen mit den anderen Dombauhütten Europas. Dabei geht es darum die – wie nicht zuletzt der anstehende Wiederaufbau von Notre Dame zeigt – nötigen, oft Jahrhunderte alte Techniken von Steinmetzen und Baumeistern zu bewahren, zu pflegen und mit modernsten Verfahren in Einklang zu bringen. Es soll aber auch die Akzeptanz der durch die enormen Qualitätsstandards hohen Kosten dauerhaft stärken.

Dass der Dom nicht nur für die Handwerker der Dombauhütte zu einem solch großen Identifikationssymbol geworden ist, ist für Dombaumeister Peter Füssenich ein Faszinosum: „Der Dom ist ein Gesamtkunstwerk aus über 1000 Jahren Kunstgeschichte. Auch wer sich damit nicht detailliert auseinandersetzt, spürt diese unglaubliche Geschichte: dass sich Menschen über Generationen für ihn eingesetzt haben.“ Gleichzeitig sei er als Generationenprojekt zum Symbol geworden für eine Aufgabe, die über den einzelnen hinausweise und nie an ein Ende komme. „Er ist eine fortwährende Ermutigung dafür, was man nie alleine, aber wohl als Gemeinschaft schaffen kann.“ 

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