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„Er hat keine Ehre“Schmerzensgeldklage gegen Erzbistum – Schlagabtausch vor Gericht

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Außenansicht des Landgerichts Köln

Außenansicht des Landgerichts Köln

Eine heute 39-Jährige verlangt vom Erzbistum Köln Schmerzensgeld wegen Missbrauchsvergehen eines Messdienerleiters. Das Landgericht sieht die Kirche in Amtshaftung. Strittig sind die Zahl der Taten und die Folgen. 

Im Rechtsstreit vor dem Landgericht Köln über die Schmerzensgeldklage eines Missbrauchsopfers gegen das Erzbistum Köln ist es in der Verhandlung am Dienstag zu einem Schlagabtausch zwischen den Anwälten der Klägerin mit dem Vorsitzenden Richter einerseits, dem Rechtsvertreter des Erzbistums andererseits gekommen.

Klägerin-Anwalt Eberhard Luetjohann warf der 5. Zivilkammer unter dem Vorsitz von Jörg Michael Bern vor, das Verfahren einseitig zulasten seiner Mandantin zu führen. Die heute 39 Jahre Sarah F. war Anfang der 1990er Jahre als Sechsjährige von einem zum Tatbeginn 18 Jahre alten Messdienerleiter schwer missbraucht worden. F. macht geltend, die Verbrechen hätten über vier Jahre hinweg regelmäßig in den wöchentlichen Gruppenstunden stattgefunden. Sie verlangt vom Erzbistum einen Betrag in Höhe von 850.000 Euro.

Fall F. im Missbrauchsgutachten des Erzbistums Köln

Vergehen an Sarah F. als solche sind unstrittig. Ihr Fall ist als „Aktenvorgang 167“ auch im Missbrauchsgutachten von 2021 enthalten, das der Kölner Strafrechtler Björn Gercke im Auftrag des Erzbistums erstellt hat. 1998 wurde der Täter wegen Missbrauchs von insgesamt acht Kindern zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Mit Bezug auf F. wurden damals aber nur vier Taten verhandelt, von denen zwei nicht im kirchlichen, sondern im familiären Kontext geschehen waren. Vor Gericht gab der Täter zwar zu, über seine Grenzen gegangen und die Opfer „wohl berührt“ zu haben. Das sei aber „nicht bewusst“ geschehen.

Anders als in anderen Fällen sieht das Landgericht eine Amtshaftung der Kirche für die Taten als gegeben an: Der Oberministrant sei als Verantwortlicher in der Kinder- und Jugendarbeit der örtlichen Gemeinde gewissermaßen verlängerter Arm des Pfarrers und damit der Kirche gewesen. Daher müsse das Erzbistum für seine Vergehen einstehen.

Erzbistum sieht Oberministrant nicht in amtlicher Funktion

Dagegen argumentieren die Bistumsanwälte, als Messdienerleiter sei der Täter weder als Seelsorger anzusehen, noch sei er in einer amtlichen Funktion für das Erzbistum tätig gewesen. Darüber hinaus bestreitet das Erzbistum „mit Nichtwissen“ die Häufigkeit der Taten und die von der Klägerin vorgetragene Traumatisierung als Folge.

Im Zivilprozess ist die Klägerin für ihre Angaben beweispflichtig. Die Kammer hatte deshalb zunächst ihre Vernehmung über den Hergang der Taten beschlossen.

Für den Vernehmungstermin benannte das Erzbistum seinerseits zum Gegenbeweis den Täter als Zeugen. Doch direkt zu Beginn der Verhandlung machte Richter Bern klar, dass der Mann aus Sicht der Kammer das Recht habe, die Aussage zu verweigern, da sie ihm „zur Unehre gereichen“ könne.

„Er hat keine Ehre, er ist ein Kinderschänder“, blaffte Klägerin-Anwalt Luetjohann und warf dem Richter vor, dem Zeugen geradezu „in den Mund gelegt“ zu haben, wie er einer Aussage entgehen könne. Dagegen verwahrte sich Bern und erwiderte, er sei „schockiert“, aus dem Mund eines Juristen zu hören, wie jemandem die Ehre abgesprochen wird.

Klägerin-Anwalt nennt Täter „hauseigenen Kinderschänder“ des Erzbistums

Bistumsanwalt Jörn Quadflieg zeigte sich überrascht über die Ansage des Gerichts zum Zeugnisverweigerungsrecht. Er verwies darauf, dass diese Frage in einem vergleichbaren Prozess vor dem Landgericht Essen kürzlich keinerlei Rolle gespielt habe und der Täter in dem dort verhandelten Fall umstandslos vernommen worden sei.

Luetjohann wiederum attackierte die Bistumsseite mit dem Vorwurf, seine Mandantin schockieren zu wollen. „Als sie erfahren hat, dass das Erzbistum den hauseigenen Kinderschänder als Zeugen benannt hat, ist sie zusammengebrochen.“ Quadflieg wies sowohl die Wortwahl als auch die unterstellte Absicht in scharfen Worten zurück.

Da der Täter erwartungsgemäß das ihm zugestandene Recht auf Aussageverweigerung in Anspruch nahm, blieb es in der rund anderthalbstündigen Verhandlung bei der Befragung der Klägerin.

Emotionale Schilderung der Klägerin

Sarah F. erklärte zu Beginn, wie angefasst sie vom Prozessverlauf sei. Ihre Darstellung der Geschehnisse musste sie immer wieder unterbrechen, weil die Emotionen sie übermannten. Sie schilderte dem Gericht, wie stolz sie – als jüngstes von drei Kindern einer stark in der Pfarrei verwurzelten und engagierten Familie – gewesen sei, schon als Sechsjährige Messdienerin werden zu dürfen. In den wöchentlichen Gruppenstunden im Pfarrheim habe der Täter, den sie als einzige für die Gruppe und damit auch für sie zuständige Leitungsfigur wahrgenommen habe, eine „falsche Vertrautheit aufgebaut und in perfider Weise ausgenutzt“, ebenso wie das Vertrauen ihrer Eltern.

Er habe ihr erklärt, in der Gruppe von 15 bis 20 Messdienern sei sie „sein Lieblingskind“. Ständig habe er körperlich ihre Nähe gesucht, sie in jeder Gruppenstunde auf seinen Schoß gehoben und mit der linken Hand festgehalten, um dann mit der rechten in sie einzudringen.

Klägerin: Ich bin im Zickzack auf die Toilette gerannt und habe mich eingesperrt

Dasselbe habe sich regelmäßig nach dem Ende der Gruppenstunden auf Sofas in einem der Gruppenräume fortgesetzt. Während alle anderen Kinder dann schon gegangen waren, so die Klägerin, wartete sie noch darauf, dass der Täter sie – wie mit den Eltern vereinbart – nach Hause bringen würde. Unbeobachtet von anderen Kindern, sei der Täter „rabiater“ gewesen und habe auch laut gestöhnt. Sie habe „fürchterlich geweint“ und sich auch gewehrt. Manchmal sei es ihr dann gelungen, „im Zickzack auf die Toilette zu rennen und mich einzusperren“. Dort habe es ihr nicht nur „unfassbar weh getan“, sie habe zudem auch Blut in ihrer Unterwäsche bemerkt. Der Täter habe ihr „als Mantra“ eingetrichtert, sie dürfe niemandem etwas sagen, und es werde auch nicht mehr vorkommen, „was aber nicht stimmte“.

Da die Abläufe jede Woche gleich gewesen seien und der Täter wie selbstverständlich vorgegangen sei, ohne dass dabei groß gesprochen worden wäre, sei ihr das Ganze „quasi ritualisiert“ vorgekommen. „Das gehörte für mich dazu, es wurde eine schreckliche Normalität, ich kannte es ja nicht anders.“

Sarah F. nicht das einzige Opfer

Erst 1996 auf einer Messdienerfreizeit in Österreich kam F. im Gespräch mit anderen Kindern darauf, dass sie nicht als Einzige missbraucht worden war – und dass „wir das sagen müssen, weil das ja nicht richtig ist“.

Aufschluss über die nach Darstellung der Klageschrift gravierenden seelischen Langzeitschäden soll nun ein Gutachten geben. Richter Bern warb bei F. um Verständnis, „dass wir der Klage nicht sofort im ersten Termin entsprechen können“. Dabei gehe es nicht um ihre Glaubwürdigkeit, sondern um die „Spielregeln“ im Zivilverfahren. Sie verlange Geld vom Erzbistum und müsse „darlegen, was passiert ist – und wenn es bestritten wird, müssen Sie es beweisen“. F.s Anwalt Luetjohann hingegen forderte das Gericht auf, eine Waffenungleichheit zulasten seiner Mandantin dadurch zu beheben, dass es ihre Darstellung als hinreichend erachtet.