Erstmals Audio-MitschnitteWie falsche Polizisten am Telefon Senioren Angst einjagen

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Die Täter rufen vorwiegend aus Asien an.

Köln – Anneliese Kremer (Name geändert) und ihr Mann sitzen zu Hause und schauen fern, als das Telefon klingelt. Es ist nach 20 Uhr. Am anderen Ende meldet sich eine männliche Stimme:

Polizeiobermeister Peter Stahlberg am Apparat. Frau Kremer, können Sie bitte gerade den Fernseher etwas leiser stellen?

Die Rentnerin gehorcht.

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Wunderbar. Können Sie die Türen und Fenster von innen sofort verriegeln? Wir haben zwei Einbrecher festnehmen können.

„Polizeiobermeister Stahlberg“ kommt schnell zur Sache. Er spricht Deutsch mit leichtem Akzent, wählt hin und wieder eigentümliche Wörter und Formulierungen. Die rumänischen Einbrecher, so behauptet er, säßen gerade auf der Wache in Köln-Kalk in der Vernehmung. Man habe einen Zettel bei ihnen gefunden. Darauf stehe der Name von Frau Kremer samt Anschrift und Kontodaten. Man vermute, dass Kremer das nächste Opfer der Einbrecherbande werden könne – denn zwei Täter seien noch auf der Flucht.

Stahlberg: Haben Sie viel Bargeld oder Schmuck zu Hause, was jetzt in Gefahr sein könnte? Weil wir müssen jetzt entscheiden, ob wir da Provida-Fahrzeuge in die Nähe schicken oder es erstmal so lassen. Ja?

Kremer: Ja gut, Schmuck habe ich hier zu Hause, das ist klar. Stahlberg: Wie viel Schmuck haben Sie denn jetzt? 5000 Euro? Im Wert von 5000 Euro?

Kremer: Ja, das kann so ungefähr hinkommen.

Stahlberg: Was ist das denn? Sind das Ketten? Sind das Ringe?

Kremer: Ketten, Ringe, Armbänder, sowas.

Das Gespräch zwischen der Kölner Rentnerin und dem Betrüger, der sich als Polizist ausgibt, dauert etwas mehr als sieben Minuten. Am Ende wird Anneliese Kremer misstrauisch, der Täter resigniert und legt auf. Dass er teilweise polizeiliche Fachbegriffe falsch verwendet hat („Provida-Fahrzeuge“ sind spezielle Streifenwagen, die Temposünder jagen), dürfte Anneliese Kremer nicht einmal aufgefallen sein.

Der Kölner Kriminalpolizei ist es gelungen, das Telefonat vor einigen Monaten mitzuschneiden. Wie und warum – das soll aus ermittlungstaktischen Gründen geheim bleiben. Aber auf Anfrage hat die Polizei dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Audiodatei zur Verfügung gestellt. Nachzuhören ist das leicht gekürzte Gespräch auf dem Youtube-Link weiter unten im Artikel. Damit wird somit erstmals eine Unterhaltung zwischen einem „falschen Polizisten“ und seinem Opfer im Original veröffentlicht. Aus Datenschutzgründen sind lediglich die Stimmen verfremdet, Namen und Adressen wurden mit einem Piepton überlagert.

Deutlich wird, wie perfide der Täter vorgeht – aber auch wie routiniert. Manche Passagen klingen heruntergeleiert wie schon tausendfach vorgetragen. Der Täter jagt der Frau Angst ein, fragt sie über ihre Vermögensverhältnisse aus mit dem Ziel, dass sie einem angeblichen Zivilpolizisten Geld, Schmuck und Wertgegenstände übergibt, die er vor der Einbrecherbande in Sicherheit bringen soll. 

Einen dreistelligen Millionenbetrag haben die falschen Polizisten mit dieser Masche laut Bundeskriminalamt im Vorjahr in ganz Deutschland erbeutet. Allein in NRW sollen es mehr als sieben Millionen Euro gewesen sein. Ziel der Täter sei es stets, „alles zu bekommen, wirklich alles – vorher lassen sie nicht ab“, sagt Joachim Ludwig, der seit Jahren bei der Kölner Polizei gegen Trickbetrüger ermittelt.

Druck auf die Opfer wird erhöht

Teilweise ziehen sich die Telefonate über Stunden, manchmal sind es sogar mehrere Gespräche über Tage hinweg. Die Betrüger bauen Legenden auf, erhöhen stetig den Druck auf die Opfer, verbinden sie auch schon mal mit Komplizen, die sich als Staatsanwälte oder BKA-Ermittler ausgeben. „Der Täter will die totale Kontrolle über das Opfer“, sagt Ludwig. „Er versucht, den Eindruck zu erwecken, er sei der einzige, der jetzt noch helfen kann, Schaden abzuwenden.“ Dabei sind das in Wahrheit oft die Bankmitarbeiter, bei denen die alten Menschen vorstellig werden, um ihre Konten aufzulösen.

„Die Bank ist das letzte Glied in der Kette, das die Opfer noch retten kann“, sagt Christoph Heinen, Kommissariatsleiter bei der Polizei Köln. Immer häufiger funktioniert das auch und Bankangestellte rufen die Polizei, wenn ein alter Mensch sein gesamtes Vermögen ohne triftigen Grund auf einmal abheben möchte.

Besonders perfide: Weil die Täter das wissen, gaukeln sie den Opfern vor, die Bankmitarbeiter seien alle korrupt und steckten mit den Einbrechern unter einer Decke. Selten gelingt es der Polizei, Täter zu fassen. Manchmal geht den Beamten ein „Abholer“ ins Netz, dem die völlig verängstigten Opfer ihr Hab und Gut an der Wohnungstür übergeben wollen. Die Strippenzieher aber sitzen im Ausland, zum Beispiel in der Türkei, in Callcentern in Izmir oder Antalya. Die Polizei hat Hinweise, dass der ehemalige Präsident des inzwischen verbotenen Kölner Hells-Angels-Charters „C-Town“, Erkan A., einer dieser Strippenzieher sein könnte.

Ex-Rockerboss wegen Mordes gesucht

Nach A. wird seit Jahren mit einem internationalen Haftbefehl wegen Mordes gefahndet. Der ehemalige Rockerboss soll im November 2015 an der Erschießung eines Albaners in der Kneipe „No Name“ in Nippes beteiligt gewesen sein. Anschließend flüchtete er offenbar in die Türkei. Ein halbes Jahr später schnellte in Köln, aber auch anderswo in Deutschland die Zahl von Anrufen falscher Polizisten drastisch in die Höhe. Der Verdacht der Ermittler: In der Türkei soll Erkan A. unter anderem ehemalige Mitstreiter aus der Kölner Rockerszene um sich geschart haben, die nun deutsche Rentner am Telefon ausnehmen. Die Beuteerträge bei diesen Taten seien so hoch, schreibt Kriminalhauptkommissar Ludwig in einer Fachzeitschrift, „dass die in der Türkei aufhältigen Hells Angels diese Erwerbsquelle nicht mehr aus der Hand geben werden“.

Könnten die Ermittler freilich so, wie sie wollten, wäre die Aufklärungsquote ihrer Überzeugung nach deutlich höher. Aber: „Die gesetzlichen Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung erschweren die Ermittlungen enorm“, sagte Kripo-Gewerkschafter Sebastian Fiedler kürzlich dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Denn gerade bei diesem Delikt spiele die Auswertung von Standort- und Verbindungsdaten eine elementare Rolle. In einem internen Strategiepapier beklagt das Landeskriminalamt NRW zudem, dass es an zentralen Ermittlungen in Deutschland fehle. Stattdessen ermitteln manchmal verschiedene Polizeibehörden in verschiedenen Bundesländern gegen dieselben Täter, ohne voneinander zu wissen. „Wir haben in Deutschland kein einheitliches Fallbearbeitungssystem, sondern jedes Land wurschtelt unterschiedlich herum“, klagt Fiedler. Und so endet leider nicht jeder Anruf eines falschen Polizisten so kläglich wie der eines angeblichen Hauptkommissars kürzlich bei einem Kölner – auch dieses Gespräch ist auf dem Youtube-Video zu hören:

Anrufer: Meine Frage wäre an Sie: Möchten Sie mit dem Landeskriminalamt Köln, Betrugsdezernat, kooperieren?

Opfer: Nee.

Täter: Wieso nicht?

Opfer: Tschö. 

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