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Sein oder NichtseinWie Künstler in der Region von ihrer Arbeit leben

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„Der Prozess" im Theater im Bauturm.

Köln – Freiberufliche Künstler verdienen oft deutlich weniger als 20.000 Euro im Jahr. Eine Schauspielerin, ein Musiker und eine Autorin erzählen, wie sie versuchen, von ihrem Traumberuf leben zu können.

Doris Plenert, Schauspielerin

Doris Plenert spielt aktuell fünf Theaterstücke. Sie arbeitet dabei sechs bis sieben Tage in der Woche.

Drei graue Türen rollen  über die Bühne. Nach links, nach rechts, dann verharren sie in der Mitte der Bühne. „Das ist zu weit vorne, oder?“, fragt eine Stimme hinter dem Grau. „Ja“, sagt eine zweite, und die dritte ergänzt: „Ich kann vorgehen.“ Die Türen rollen zur Seite. Drei Menschen in Pyjamas kommen dahinter zum Vorschein. Hier, im Theater im Bauturm, bereiten sie sich gerade auf eine Aufführung von Kafkas  „Prozess“ vor.

Einer der drei ist Doris Plenert. Sie geht  zurück in die Künstlergarderobe, um Make-up aufzutragen. „Ich kränkle ein bisschen“, sagt sie. „Aber zum Glück speichert der Körper Erinnerungen und Gefühle. Sobald ich im Bühnenbild stehe, macht es »peng«. Dann kommt das Adrenalin, und der Rest ist vergessen.“

Plenert muss es wissen. Die 64-Jährige schauspielert seit ihrer Jugend. Sie hat das geschafft, wovon so viele träumen: Die Schauspielerei sichert ihr den Lebensunterhalt. Aktuell probt und spielt sie fünf Theaterstücke: Den „Prozess“, das preisgekrönte Stück „Bilqiss“ im Theater der Keller, „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ am Stadttheater Aachen, zwei weitere in Bochum und Köln.  Zusätzlich unterrichtet sie an  Schauspielschulen, gibt Workshops, arbeitet als Simulationspatientin. Medizinstudenten lernen mit ihrer Hilfe, Todesnachrichten zu überbringen.

Bis zu sieben Tage die Woche

Die Menge der Engagements zeigt bereits, was es bedeutet, von der Schauspielerei zu leben: „Ich kann es“, sagt Plenert. „Aber nur, weil ich zu viel arbeite.“ Abseits einer kleinen Elite ist das Schauspielgeschäft ein hartes – gerade am Theater. Plenert arbeitet mindestens sechs Tage in der  Woche; manchmal alle sieben. Diese Woche sei besonders hart gewesen, sagt sie. Proben und Aufführungen, so verstreut, dass sie meist von acht Uhr am Morgen bis Mitternacht unterwegs gewesen sei. „Jetzt, wo ich 64 bin, geht das langsam an die Kraft. Aber die Freude an der Arbeit macht das wett.“

Plenert, die in der DDR aufwächst und dort eine Schauspielschule besucht, kommt 1986 ans Kölner Stadttheater.  Glücklich wird sie dort nicht. „An Stadttheatern gab es damals viel Geld und viel Macht. Ich wurde unmündig und fast wie eine Sklavin behandelt, und ich habe auch sexuelle Belästigung erlebt.“

1990 endet ihr Engagement dort mit einem Intendantenwechsel, von da an arbeitet sie hauptsächlich freischaffend. Ihre Arbeit am Stadttheater Aachen ist seitdem die erste Ausnahme. Sie sei gerne dort, sagt sie, die Zeiten hätten sich geändert. Und die Arbeit an freien Theatern, die sie so liebt, hat einen entscheidenden Nachteil: „Die Bezahlung ist unterirdisch. Manchmal weiß ich nicht, wie ich meine Miete bezahlen soll.“

Maximal 135 Euro bekommt Plenert aktuell für einen Auftritt. Hinzu kommt eine Probenpauschale von 1200 bis 2000 Euro für sechs Wochen – abzüglich Steuern. Im Sommer, wenn die Produktionen ruhen, beantragt sie jedes Jahr Hartz IV. „Ich habe im Arbeitsamt nie schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt sie, „aber trotzdem fühlst du dich wie ein Versager.“ Noch im Gespräch ruft eine Freundin an. Sie leiht der Schauspielerin Geld, das sonst  am Monatsende fehlt.

Und trotzdem: Plenert kann sich keinen anderen Beruf vorstellen. Schauspielern sei aufregend, sagt sie, aufregend und intensiv. Auch wenn die fehlende Sicherheit ein Problem sei, überwiegt für sie das Glück, das sie beim Spielen empfindet. Wenn sie über ihre Zukunft spricht, dann tut sie das sehr kompromisslos: „Ich werde arbeiten müssen, bis ich tot bin. Ich will aber auch arbeiten, bis ich tot bin.“

Laurenz Gemmer, Musiker

Laurenz Gemmer macht unter vielem anderem kölsche Musik.

Laurenz Gemmer sagt von sich, er habe ein hohes Sicherheitsbedürfnis. Von der Hand in den Mund zu leben – das könne er nicht. Vielleicht sei das feige. Aber glücklich könne ihn dieser Lebensstil nicht machen. Sein Minimalziel: Wissen, dass Miete und Lebensmittel für den Monat gesichert sind. Für die meisten Berufsfelder eine Selbstverständlichkeit – für einen Musiker etwas, über das er nachdenken sollte. „Ich kenne viele, die es genau so machen. Von der Hand in den Mund“, sagt Gemmer. „Aber ich glaube, für mich ist dieser Zug abgefahren.“

Spricht man mit dem 38-Jährigen über sein Arbeitsleben, unterteilt man es am besten in zwei Kategorien: Einen Teil, der die Sicherheit bringt – und einen kreativen, freien Teil. 24 Stunden in der Woche unterrichtet Gemmer an Universitäten und Musikhochschulen in Köln und Freiburg. Daneben widmet er sich Musikprojekten, fünf an der Zahl, bestehend aus Bands, Solo-Projekten, Komposition im Theater.Die Musikstile fallen dabei recht unterschiedlich aus. Seine Band „Das Ende der Liebe“ macht, so sagt er, „psychedelische Tanzmusik auf akustischen Instrumenten“.

Im Theater im Bauturm steht er auch mal mit Plenert auf der Bühne, wenn sie ihre Rollen und er das Klavier spielt. In diesem Jahr wird er unter dem Titel „Staubi[j]er Vo[r]el“ eine Platte mit kölschen Chansons veröffentlichen: Ostermann zum Beispiel, und Bläck- Fööss der 70er, 80er Jahre. Hörproben gibt es auf seiner Website.„Ich habe für mich einen Weg gefunden, ausreichend Geld zu haben und Künstler zu sein“, sagt Gemmer. Die beiden Lehraufträge sind dabei seine Einnahme-, die kreativen Projekte eher eine Ausgabenseite.

Teure Technik

Gelegentlich fragt das Finanzamt an, ob Gemmers freiberufliche Tätigkeit  nicht vielleicht nur ein Hobby sei. „Und ich möchte gar nicht erzählen, wie viel Geld bei einer Tour unterm Strich herumkommt“, sagt er. „Die Technik ist extrem teuer. Früher gab es Touren, da haben wir in zwei Wochen 2000 Kilometer abgerissen und am Ende blieben ... minus 100 Euro.“ Er lacht. „Da wir eine Band sind, konntest du das Ganze noch durch vier teilen. Also, im Endeffekt hat jeder 25 Euro gezahlt.“

Gemmer fällt niemand aus seinem Musiker-Bekanntenkreis ein, der sein Einkommen nicht mit Arbeiten neben der Bühne aufbessert: mit Unterricht oder als Techniker zum Beispiel. „Selbst die Musiker, die mit Sting, mit Mega-Pop-Größen auf Tour gehen.“ Auch er plant  weiterhin mit dem  Gleichgewicht aus Lehraufträgen und freiberuflichen Projekten.

Über ein bisschen mehr Raum für die Musikprojekte würde er sich dennoch freuen. Denn sie sind schließlich – auch wenn das Finanzamt das noch nicht erkennt – nicht nur irgendein Hobby.

Christine Lehnen (aka C.E. Bernard), Autorin

Autorin Christine Lehnen veröffentlicht 2018 ihre Debüt-Trilogie.

Wenn Freunde und Familie Christine Lehnen in der Vergangenheit fragten, ob sie eines Tages vom Bücherschreiben zu leben plane, dann winkte sie stets ab. Nein, natürlich nicht, das schaffe ja niemand. Konkrete Angaben sind schwer, aber es kursieren Zahlen: Nur etwa 100 bis 200 Schriftsteller in Deutschland verdienten genug dafür. „Das habe ich auch rational verstanden. Aber was ich gespürt habe, war immer eine feste Überzeugung, dass es trotzdem klappt.“

Die 27-Jährige schreibt schon ihr Leben lang Geschichten. Nie planlos; stets mit dem Gedanken, sie  zu veröffentlichen. Sie glaubt nicht an Talent. Motivation, Arbeit und Glück – das sind die drei Dinge, die sie für notwendig hält, um erfolgreich zu publizieren. „Allein Glück ist unfassbar wichtig“, sagt sie. „Die Verlagsbranche ist sehr subjektiv, und es gibt sehr wenige Gatekeeper – also Leute, die einem den Zugang dazu ermöglichen. Einem von ihnen muss das gefallen, was du schreibst.“

In 2016 hatte Lehnen das nötige Glück. Der Verlag Penhaligon sicherte sich die Rechte an ihrem Debüt: Eine Fantasy-Trilogie, deren erster Band heute, am 19. März, unter ihrem Pseudonym C.E. Bernard erscheint und „Palace of Glass“ heißt. Sie wird sich lange an den Tag erinnern, an dem sie erfuhr, dass ihre Geschichte gedruckt wird. „Es war der 9. November 2016. Um acht Uhr morgens war klar, dass Donald Trump die US-Wahlen gewonnen hat. Ich bin in die Uni gefahren und einer Partei beigetreten. Als ich später nach Hause kam, fand ich die E-Mail meiner Agentin.“

Danach  folgt Lehnens Arbeitsrhythmus ein Jahr lang einem strengen Schema: Fünf Tage in der  Woche schreibt sie je sechs Stunden an den zwei Fortsetzungsromanen; neben ihrem Doppel-Master,   Theaterengagement und einem Lehrauftrag für Kreatives Schreiben an der Bonner Universität. Mindestens zehn Seiten entstehen so täglich, an guten Tagen sind es  25. Ihre selbst gesetzten Deadlines hält Lehnen, so sagt sie, immer ein. Romane schreiben  hat viel mit Disziplin zu tun.

Geschrieben wie eine Wahnsinnige

Auch vor dem ersten Buchvertrag traf sie berufliche und akademische Entscheidungen stets mit dem Traumberuf im Hinterkopf: Nach der Schule schrieb sie  sich  zunächst für Journalistik in Dortmund ein, entschied sich dann aber doch  für ein Anglistik-Studium in Bonn – in der Hoffnung, dort mehr Freiräume für das Schreiben zu finden. „Ich wollte mir diese Möglichkeit unbedingt offenhalten. Ich habe  das ganze Studium über geschrieben wie eine Wahnsinnige.“

Die Tatsache, dass ihre Geschichten nun von Unbekannten gelesen werden, findet sie „absolut surreal“. Und dennoch bedeutet dieses erste Happy End keine gesicherte Zukunft. Damit Lehnen weiterhin vom Bücherschreiben leben kann, muss sie im Idealfall jährlich zwei Bücher nachlegen. Und das, sagt sie, könne nur funktionieren, wenn ihre Debüt-Trilogie gut ankomme.

Sie hat ihr deshalb  einen treffenden Spitznamen verpasst: BS – wie  Bullshit.  Und wie  Bestseller.

Die Branche in Zahlen

Durchschnittseinkommen freiberuflicher Künstler ermittelt  zum Beispiel die Künstlersozialkasse anhand ihres Versichertenbestandes.

Freiberufliche Musiker verdienten 2016 demnach durchschnittlich etwa 13.700 Euro im Jahr (Berufsanfänger: 9600 Euro), Freiberufler im Bereich darstellender und bildender Kunst etwa 16.100 bzw. 16.400 Euro (Berufsanfänger: 10.500 und 14.400 Euro).

Publizisten liegen bei 20.200 (17.200 Euro), diese Zahlen beinhalten neben Schriftstellern aber zum Beispiel auch Journalisten.

In Nordrhein-Westfalen waren 2017 etwa 4600 Künstler arbeitslos gemeldet. Das entspricht 0,6 Prozent der Gesamtarbeitslosenzahl (713.052). Wie viele Künstler nebenbei noch einer anderen beruflichen Tätigkeit nachgehen, lässt sich den Statistiken nicht entnehmen.