Kölner Kinderarzt über die Corona-Krise„Für manche Familien ist das kaum auszuhalten“

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Anselm Bönte, Kinderarzt

  • Kinderarzt Anselm Bönte aus Köln-Weiden bekommt die Auswirkungen der Coronakrise in seiner Praxis deutlich zu spüren.
  • Kinder kommen kaum noch, dafür laufen die Telefone heiß mit verzweifelten Eltern.
  • Besonders für Familien mit psychisch kranken Kindern sei diese Zeit kaum auszuhalten, sagt er. Aber auch Teenager kämen an ihre Grenzen.
  • Ein Gespräch.

Kinderarzt Anselm Bönte hat eine Praxis in Köln-Weiden. Bei ksta.de erzählt er in regelmäßigen Abständen, wie sich das Virus auf seine Arbeit auswirkt und welche Tipps er Familien mit Kindern während der Corona-Krise geben kann.

Herr Bönte, zu Beginn der Krise sagten Sie, in Ihrer Praxis sei die Hölle los. Wie sieht es derzeit aus?

Ganz anders. Wir haben viel weniger Patienten. Alle Termine mit größeren Kindern haben wir abgesagt, wir behandeln derzeit vor allem Säuglinge, kleine Kinder, natürlich schwer kranke Kinder. Verschiebbare Impfungen, viele Vorsorgeuntersuchungen und die meisten psychosozialen Gespräche fallen weg. Außerdem haben sich auch die normalen Infektionen durch die Kontaktsperren verringert. Wenn Kinder nicht mehr in die Kita oder Schule gehen, kriegen sie auch seltener eine Bronchitis oder einen Schnupfen. Hier in der Praxis herrscht manchmal Geisterstunde.

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Was machen Sie mit der freien Zeit?

Wir putzen oft, wie das ja gerade alle Menschen auch zu Hause zu tun scheinen. Wir haben eine Spuckscheibe am Empfang angebracht, obwohl ich mich lange dagegen gewehrt habe. Aber als ich merkte, dass sich die Preise dafür auf dem Markt langsam verdoppeln, habe ich doch zugeschlagen. Wir haben Abstandhalter auf den Boden geklebt. Die Sprechzeiten sind verkürzt, dafür haben wir die Telefonsprechstunde ausgeweitet.

Rufen Eltern jetzt nur wegen Krankheiten an, oder auch aus Verzweiflung, weil die Kinder rebellieren?

Diese Anrufe gibt es natürlich. Und sie machen mir große Sorgen. Da gibt es verzweifelte Eltern von hyperaktiven Kindern oder Jugendlichen, die gerade jetzt in die totale Opposition gehen. Das ist kaum auszuhalten für alle Beteiligten. Letztens rief ein Elternpaar an, dessen Teenager ohnehin eine Angststörung hat, die nun während der Ausgangsbeschränkungen völlig eskaliert. Vielleicht müsste das Kind sogar stationär aufgenommen werden. Aber das ist im Moment wohl nur im absoluten Notfall möglich. Für solche Familien sind die Coronazeiten eine immense Belastung.

Rufen auch Eltern an, die Panik haben, ihr Kind könnte sich anstecken?

Ja. Ich hatte eine Mutter eines Säuglings, der sollte zur 3-Monats-Untersuchung kommen. Sie bestand darauf, dass ich den Kleinen per Telefon und Video untersuchen sollte. Aber ich musste ablehnen und sie überzeugen, doch zu kommen. Die Videosprechstunde hat Grenzen. Wir müssen sehen, wie die Kinder auf uns reagieren. Und sie - salopp gesagt - in der Hand haben. Letztlich hat sie sich darauf eingelassen und ist mit ihrem Baby zur Untersuchung gekommen.

Tragen Sie in der Praxis immer Mundschutz?

Ja, eigentlich schon. Das ist für die Kinder auch nicht gerade einfach. Wir Kinderärzte leben ja davon, dass die Kinder uns vertrauen, uns nett finden, keine Angst haben. Das wird durch so eine Maske schon erschwert. Manchmal stelle ich mich deshalb ans andere Ende des Raumes und nehme die Maske ab, damit die Kinder sehen: Ach, das ist ja der Doktor Bönte. Den kenn ich.

Aber Nähe zulassen geht gerade nicht.

Nein. Das ist auch ein Problem. Manche Kinder wollen uns umarmen oder auf unseren Schoß klettern. Früher habe ich auch einem Vater oder einer Mutter mal aufmunternd auf die Schulter geklopft. Das geht gerade nicht. Enger - auch mal körperlicher - Kontakt zu ansonsten infektfreien Kindern ist mir bei meiner kinderärztlichen Arbeit wichtig.

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Auch für Teenager ist die Corona-Krise eine schwierige Zeit: Sie vermissen soziale Kontakte oft besonders.

Sie sind Arzt und haben gerade in der Gesundheitskrise wenig zu tun. Ist das nicht seltsam?

Auf jeden Fall. Wir können nicht so einfach Abstriche oder dergleichen machen, weil wir nur wenig von der notwendigen Schutzausrüstung und nicht die Infrastruktur vor Ort haben. Aber eigentlich will ich helfen! Eigentlich will ich sofort loslegen!

Gibt es da nicht Möglichkeiten? Ich habe gehört, dass schon Ärzte im Ruhestand wieder angesprochen werden und Chirurgen in Kliniken jetzt den Internisten helfen müssen.

Ja. Ich habe der Klinik signalisiert, dass sie mich jederzeit anrufen können und ich am nächsten Nachmittag bei denen auf der Matte stehe. Bei einfachen ärztlichen Tätigkeiten könnte ich helfen, spezielle intensivmedizinische Kenntnisse habe ich jedoch nicht mehr. Das wird auch wohlwollend zur Kenntnis genommen. Aber im Moment haben die die Lage ja noch im Griff. Da herrscht ja eher so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm. Das ist ja auch gut so.

Sie haben selbst eine 16 Jahre alte Tochter. Wie läufts?

Meine Tochter reißt sich sehr zusammen. Aber das ist natürlich eine Zumutung für einen Teenager. Es ist sehr schwer, sich einen strukturierten Alltag zu stricken und nicht dauernd bis elf zu schlafen. Meine Tochter hat sich so eine Art Scheinunterricht aufgebaut. Der dauert etwa drei Stunden am Tag. Das finde ich schon toll. Aber ihr fehlen natürlich die sozialen Kontakte.

Was ist mit Medien?

Klar. Das geht. Das ist aber auf Dauer auch nicht das selbe. Wir haben letztes Mal darüber gesprochen, dass Kinder jetzt auch mal überspitzt gesagt bis zum Umfallen vor der Glotze hängen dürfen. Aber ich fürchte, auch das verliert nun langsam an Reiz.

Also eher analoge Tätigkeiten?

Naja. Wir haben gebacken, wir haben gekocht. Von der Schule gibt es ein Kunstprojekt zu Corona. Ich hoffe, das hält uns alles noch eine Weile bei Laune. Meine nächste Idee ist, meine Tochter ein Schild für die Praxis malen zu lassen. Da soll draufstehen: „Bitte Abstand halten“

Und wie motivieren Sie sich?

Ich freue mich auf die Zeit, in der ich wieder ohne Mundschutz arbeiten kann. Nicht dauernd dran denken muss: Wo stehe ich? Bin ich zu nah dran? Auf Urlaub auch, klar. Aber ich glaube, das Virus wird uns noch lange beschäftigen. Zumindest wird erstmal sowas wie eine Narbe bleiben. Die Angst, dass es wieder kommt.

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