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Kölner OB-Kandidaten„Geht es Ihnen vor allem um die Süchtigen oder um die Allgemeinheit?“

Lesezeit 4 Minuten
Auf dem Bild sind drei Kölner OB-Kandidaten der Grünen, SPD und CDU und die beiden Moderatoren des KSTA an einem Stehtisch zu sehen.

Podiumsdiskussion am Josef-Haubrich-Hof mit den Kölner OB-Kandidaten Berivan Aymaz (Grüne, l.), Thorsten Burmester (SPD, 2. v. r.) und Markus Greitemann (CDU, Mitte) mit den Moderatoren Sarah Brasack (2. v. l.) und Gerald Selch (r.) vom „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Die OB-Kandidaten Berivan Aymaz (Grüne), Torsten Burmester (SPD) und Markus Greitemann (CDU) sprechen über die Verelendung auf Kölner Plätzen. 

„Geht es Ihnen vor allem um die Süchtigen oder um die Allgemeinheit?“ – „Was werden Sie konkret gegen die Verwahrlosung tun, wenn Sie OB sind?“ – „Was sind Ihre Visionen, ich konnte Sie bislang nicht heraushören?“ Die Fragen, die die Menschen am Samstagmittag auf dem Josef-Haubrich-Hof an Berivan Aymaz (Grüne), Torsten Burmester (SPD) und Markus Greitemann (CDU) richteten, waren so emotional wie das Thema, um das es ging: die Verelendung und Drogenkriminalität auf Kölner Plätzen wie Neumarkt und Josef-Haubrich-Hof.

„Die Demokratie und der öffentliche Raum“ nannte das Haus der Architektur die Diskussion mit den drei Kandidaten, die im September die Nachfolge von Henriette Reker antreten wollen. Die Gesprächst-Runde fand anlässlich des Festes zum 20-jährigen Bestehen des Architektur-Vereins auf dem Neumarkt und Josef-Haubrich-Hof statt.

Kölnerin klagt: „Stadt bekommt die Kriminalität am Neumarkt nicht in den Griff“

Menschen rauchen und spritzen am Eingang zur U-Bahn Drogen, Hauseingänge sind mit Fäkalien verschmutzt, Passanten werden belästigt. Nicht nur bei Anwohnern und Geschäftsleuten ruft das starke Gefühle hervor: Irritation und Angst, Ratlosigkeit und Wut. Die Verelendung polarisiert. Wenige Themen zeigen die Probleme einer Stadt und einer Demokratie so drastisch und emotional. „Die Sucht- und Kriminalitätsproblematik gibt es rund um den Neumarkt seit Jahrzehnten – und die Stadt bekommt sie nicht in den Griff, das macht mich zornig“, sagte eine 70-jährige Zuhörerin.

So hört es sich an, wenn Politik Vertrauen verspielt – und sich Einfallstore für Populisten öffnen.

Architektin Dörte Gatermann vom Haus der Architektur eröffnete die Diskussion mit dem Hinweis, dass der Josef-Haubrich-Hof selten so sauber sei wie an diesem Tag. Gerald Selch, Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, der die Debatte gemeinsam mit Sarah Brasack, stellvertretender Chefredakteurin, moderierte, erinnerte eingangs daran, dass Henriette Reker vor genau 100 Tagen gegenüber dieser Zeitung nicht nur eingeräumt hatte, dass sie „eine zunehmende Verwahrlosung in der Stadt“ wahrnehme, sondern im nächsten Atemzug fast kapituliert hatte: „Mit den Mitteln, die uns aktuell zur Verfügung stehen, lässt sich keine Ordnung herstellen“, hatte Reker in dem bis heute viel diskutierten Gespräch konstatiert.

Berivan Aymaz warnt vor Vereinfachung und populistischen Ansagen

Aymaz, Burmester und Greitemann wollten das naturgemäß nicht so stehen lassen. Die Grüne OB-Kandidatin Berivan Aymaz warnte davor, die Dinge zu vereinfachen: Es gebe die Problematik der Verwahrlosung und Kriminalität, sagte sie, „es wird aber nicht nichts getan. Und ich warne vor populistischen Ansagen, dass wir diese Menschen aus der Innenstadt verjagen müssten – das macht diese Stadt nicht mit und hat nichts mit Demokratie zu tun“. Aus dem Publikum erntete Aymaz dafür nicht nur verhaltenes Klatschen, sondern auch Unmutsbekundungen.

Markus Greitemann (CDU), als Baudezernent seit sieben Jahren mitverantwortlich für die Stadtentwicklung, sprach davon, dass es „nicht länger hinnehmbar“ sei, dass Menschen Angst haben, abends Plätze wie den Neumarkt zu betreten. „Wir müssen unsere Haltung verändern und Druck aufbauen, präventiv arbeiten, aber auch repressiv mit verstärkten Ordnungseinsätzen.“ Es brauche mehr Angebote für Obdachlose und Suchtkranke – „dafür braucht es Geld und das muss Priorität haben“.

Die Diskussion im Josef-Haubrich-Hof war gut besucht.

Die Diskussion im Josef-Haubrich-Hof war gut besucht.

Er sei im Verwaltungsvorstand und trage dort und als Dezernent seit Jahren Verantwortung, „sie müssen diese Verantwortung auch übernehmen und das Thema im Verwaltungsvorstand in der Priorität nach oben setzen“, versetzte Torsten Burmester – ein Hinweis, dem die städtische Führungskraft Greitemann sich in den Monaten bis zur Wahl wohl noch oft wird stellen müssen.

Sollten Angebote für Drogensüchtige in Köln dezentralisiert werden?

Burmester erinnerte an den Fünf-Punkte-Plan, den er mit der Kölner SPD vorgeschlagen habe – mit der Einrichtung einer City-Wache, mehr aufsuchender Sozialarbeit, mehr Hilfen für Suchtkranke, mehr Reinigungseinsätzen sowie einer Aufwertung des Neumarkts durch Toilettenanlagen und Gastronomie. Einig war sich der SPD-OB-Kandidat mit Greitemann, dass „Angebote für Drogensüchtige dezentralisiert werden“ sollten und man dabei „auch im Umland nach Räumen suchen“ sollte. Berivan Aymaz wies darauf hin, dass es schon einmal einen Drogenkonsumraum im Deutz gegeben habe, dieser aber wieder geschlossen worden sei, weil nur wenige Menschen ihn genutzt hätten. „Ein Drogenkonsumraum muss dort sein, wo die Menschen sind. Und das ist zum Beispiel hier.“ Wichtig sei eine Tageseinrichtung in unmittelbarer Nähe – um den Betroffenen eine sichere Anlaufstelle zu geben.

Keine zwei Meinungen gab es darüber, dass es mehr Prävention und Ordnungseinsätze bedürfe, um die Kriminalität und Verelendung an den wichtigsten Kölner Plätzen besser in den Griff zu bekommen. Und dass es die Zivilgesellschaft mit ihren Ideen wie am Tag der Architektur brauche. So konnten sich die Kölnerinnen und Kölner am Samstag auf 100 Stühle auf dem Neumarkt setzen. Am Nachmittag startete das Projekt 1000 Bäume, 1000 Stühle unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeisterin Henriette Reker, mit dem die Begegnung auf Kölner Plätzen durch Bänke und Bäume gestärkt und das Stadtklima insgesamt verbessert werden soll. Auch die aktuelle OB tut also nicht nichts.

„Wenn eine OB sagt, sie könne nichts verändern, gefährdet das die Glaubwürdigkeit in die Lösungskompetenz einer Demokratie“, hatte Torsten Burmester indes gesagt und viel Applaus bekommen. Der oder die neue OB wird sich ab September an der Entwicklung von Plätzen wie dem Neumarkt messen lassen müssen.