SynagogengemeindeLehrer beklagt „Alltagsantisemitismus“ in Köln

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SGK-Vorstand Abraham Lehrer

Köln – Überschattet von Erschrecken und Betroffenheit über wachsenden Antisemitismus in Deutschland hat die jüdische Synagogengemeinde Köln (SGK) ihren Jahresempfang gegeben. „Unruhe und Unsicherheit haben sich breitgemacht“, sagte SGK-Vorstand Abraham Lehrer in seiner Begrüßungsrede vor mehr als 200 geladenen Gästen aus Politik und Gesellschaft. Als Beispiel für Ausfälle gegen Angehörige der jüdischen Gemeinschaft hatte Lehrer bereits Mitte März im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ von Anfeindungen gegen Gemeinderabbiner Yechiel Brukner berichtet. Als dieser in einer Bahn der KVB seinen Sitzplatz einem Mitfahrenden anbot, habe der geantwortet: „Das wird am Hass gegen euch auch nichts ändern.“ Ein anderer Passagier habe Brukner mit den Worten angepöbelt: „Du wärst besser tot.“

Lehrer nahm solche Vorkommnisse, die andere Gemeindemitglieder „fast identisch“ erlebten, als Indiz für einen „Alltagsantisemitismus“, der in der Kriminalstatistik oftmals nicht auftauche, weil die Betroffenen auf eine Anzeige verzichteten. Jedoch verzeichneten die Behörden in NRW auch bei den einschlägigen Delikten einen deutlichen Anstieg von 324 im Jahr 2017 auf 350 im Jahr 2018. Ein neues Phänomen aus jüngerer Zeit sei die Vielzahl von Tätern oder Tatverdächtigen „mit arabischem Migrationshintergrund“ oder „aus Teilen der muslimischen Community“.

Starker Wind von Rechts

Von Rechts wehe ein starker Wind, der eine „Welle von Hass gegen Minderheiten“ zur Folge habe, konstatierte Lehrer. Angesichts dessen sei es für entschlossenes Handeln „höchste Eisenbahn“. Anders als in früheren Jahren, vermisse er heute „den Aufstand der Anständigen“, sagte Lehrer. „Die Mehrheit der Gesellschaft weist Nazis in den Reihen der AfD nicht in die Schranken.“ Demgegenüber dankte er der Landesregierung sowie besonders der Stadt Köln und der Kölner Polizei als „zwei wesentlichen Partnern“ für Solidarität und Schutz.

Alles zum Thema Henriette Reker

Synagogenverband JAhresempfang

Jahresempfang der Synagogengemeinde: Abraham Lehrer, Bettina Levy, Henriette Reker, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (v.l.)

Oberbürgermeisterin Henriette verurteilte antisemitische Angriffe scharf und forderte die Kölner auf, allen Formen von Judenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten. „Schweigen kann verletzen, und eine schweigende Mehrheit ist bedrohlich“, warnte sie. In einer „gefühlsbetonten Situation zwischen Trauer und der Hoffnung auf Freundschaft und Frieden“ hob die OB auch Entwicklungen hervor, die es rechtfertigten, den zum zweiten Mal stattfindenden Jahresempfang als „Festversammlung“ zu bezeichnen. Sie nannte die Vorbereitungen für das Jubiläumsjahr 321, das an die erste urkundliche Erwähnung einer jüdischen Gemeinde in Köln erinnert, die früheste nördlich der Alpen.

„Kölsche Kippa Köpp“ im Zoch

Als Erfolg wertete Reker die Absichtserklärung für den Bau eines jüdischen Gymnasiums auf dem Helios-Gelände in Ehrenfeld. Der Schulbetrieb soll 2023/24 starten. Kommendes Jahr soll es eine weitere Premiere geben: Der 2017 gegründete jüdische Karnevalsverein „Kölsche Kippa Köpp“ wird 2020 erstmals im Rosenmontagszug mitgehen.

Die Antisemitismus-Beauftragte der Landesregierung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), forderte Meldestellen zur breitest möglichen Erfassung antisemitischer Delikte in allen Bundesländern. In NRW solle eine „Bedarfsstudie Aufschluss über die notwendige Infrastruktur geben“. Unter den Gästen waren der rheinische Präses Manfred Rekowski, Weihbischof Rolf Steinhäuser vom Erzbistum Köln, Jürgen Wilhelm von der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Ex-OB Jürgen Roters (SPD) und die alternative Ehrenbürgerin Hedwig Neven DuMont.

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