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Liebfrauenkirche in KölnDie unheilige Wut des Pfarrers

Lesezeit 3 Minuten

Alkohol- und Drogensüchtige vor der Liebfrauenkirche: Für ihren Umgang mit dem Problem erntet die Gemeinde Kritik.

Mülheim – „Frau grölte besoffen undefinierbare Laute gen Himmel und nahm den fälligen Schluck aus der Pulle.“ Plastisch beschreibt Christian Weinhag, Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Clemens und Mauritius, die Szenerie an der Liebfrauenkirche in Mülheim. Von Drogenkonsum berichtet Weinhag in den Pfarrnachrichten, von Geschlechtsverkehr neben dem Gotteshaus, von Männern, die an die Kirchenmauer urinieren. „Was keine Nase jemals gerochen, lässt den Beter ersticken. Eine undefinierbare Melange von Männerpisse und verbranntem Koks erzeugt bei der Madonna Magenkrämpfe. [...] Da will selbst »der Herr« nicht mehr bleiben.“

Er schenke jedem Interessierten „ein Generalabo für vierundzwanzig Stunden Liebfrauen. Danach stifte ich einen edlen Cognac“, fügt Weinhag hinzu. Der Pfarrer erwähnt „Kippen, Plastik, Gummis und Erbrochenes“ und erbost sich über eine Frau vom Ordnungsamt, die sich nicht zuständig fühle, weil es sich um Privatgelände handele.

Mit seiner Beschreibung liege Weinhag durchaus nicht falsch, sagt Tobias Jacquemain, SPD-Ortsvereinsvorsitzender Mülheim-Buchforst. Auch an diesem Vormittag sitzt eine Frau auf der Kirchentreppe und trinkt Bier, gleich daneben hüllt sich ein Mann in eine Decke, um dicht an die Kirchenmauer gekauert Drogen zu konsumieren. Den Umgang der Gemeinde mit dem Problem hält der 25-Jährige aber für fragwürdig. Weinhags Beschreibungen seien verbales Ausgrenzen, der Ton menschenverachtend, der Ruf nach dem Ordnungsamt peinlich. Anstatt zu lamentieren solle die Gemeinde aktiv werden, sagt Jacquemain: „Pfarrer Meurer zeigt in Höhenberg und Vingst, dass Kirche viel Verantwortung übernehmen kann.“ In Mülheim tauche die Kirche als Sozialpartner nicht mehr auf. Das ungepflegte Grundstück rund um Liebfrauen unterstreiche diese „Egal-Haltung“. Es ziehe die Szene erst an.

Noch niemanden vertrieben

Das Erzbistum streitet den Vorwurf ab, die Gemeinde engagiere sich zu wenig. „Die Caritas ist vor Ort und bietet den Süchtigen Hilfe an. Doch oft wollen die eine solche Hilfe nicht“, sagt Sprecherin Sahra Meisenberg. Auch Gemeindemitglieder hätten die Menschen angesprochen. „Doch das kann auch Gefahren in sich bergen.“

Christian Weinhag war auf Anfrage nicht zu erreichen, der leitende Gemeindepfarrer Stefan Wagner hat Verständnis für dessen Ausführungen. Der öffentliche Raum in Mülheim „stellt sich mittlerweile so dar, dass wir an einigen Stellen an unsere Grenzen stoßen“, sagt Wagner. Weinhag habe auf pointierte Art eine Situation beschrieben, „wie sie ist“. Wagner selbst habe nach Gottesdiensten deeskalierend eingreifen müssen, damit Gottesdienst-Besucher und die Alkoholkonsumenten vor der Kirche nicht „aufeinanderprallen“. Vertrieben habe er aber noch niemanden. Vielmehr wolle er konstruktiv an der Lösung des Problems mitwirken – und zwar am besten gemeinsam mit den zuständigen Fachstellen.

Mittlerweile hat sich die Politik eingeschaltet. Nach dem Weinhag-Brief organisierte Mülheims Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs ein Treffen mit Vertretern von Polizei, Kirche, Ordnungs- und Gesundheitsamt sowie der KVB, um über das Problem der vielen Drogen- und Alkoholkonsumenten im Umfeld des Wiener Platzes zu diskutieren. Darüber hatte zuletzt auch die IG Buchheimer Straße geklagt. Die Leerstände dort hingen unter anderem mit dem schwierigen Umfeld zusammen. Konkretes kam bei dem Treffen nicht heraus. Vereinbart wurde nur, sich im November zu einem Ortstermin zu treffen.

Der Kirchenvorstand von St. Clemens und Mauritius diskutiert nun darüber, Liebfrauen beziehungsweise die kleine Josef-Metternich-Gasse daneben mit einem Zaun zu versehen. Ihr sei bewusst, dass das die Kapitulation vor dem Problem bedeute, sagt Bärbel Müller-Platz vom Kirchenvorstand: „Aber die Kirchenbesucher wollen auch nicht angepöbelt werden.“

Für das Erzbistum ist ein Zaun die letzte aller Lösungen. „Er ist zwar in der Diskussion, doch die Kirche sollte für alle offen sein“, so Sprecherin Meisenberg. Markus Wiesner, dessen Tochter den Kindergarten neben der Kirche besucht, sieht das ähnlich: „Ein Zaun ist ein Abgrenzen, damit ist den Leuten nicht geholfen.“ Die Kirche könnte zu den Süchtigen Streetworker schicken, sagt der 39-Jährige. Sich zu verbarrikadieren gehe am christlichen Gedanken vorbei.