Muezzin-Ruf in KölnAntrag der Ditib reißt alte Wunden auf

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Ditib Moschee SCHWAIGER 0410

Von der Zentralmoschee aus soll künftig der Muezzin-Ruf zu hören sein.

  • Ein Modellprojekt der Stadt Köln lässt den öffentlichen Muezzin-Ruf für zunächst zwei Jahre zu.
  • Unser Kommentar betont das Grundrecht auf Religionsfreiheit.
  • Zugleich kritisiert er das Agieren des größten muslimischen Verbands, einer Auslandsbehörde des Regimes Erdogan.

Schon in zwei Wochen könnte an der Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld der Muezzin zum muslimischen Gebet rufen. Die Aussicht darauf reißt alte Wunden und Konflikte auf. Ist der Muezzin-Ruf Ausdruck der Religionsfreiheit? Oder ein falsches Signal als Folge von Naivität und Gutgläubigkeit?

Das zentrale Argument der Befürworter vorneweg: Den Muezzin-Ruf zuzulassen, basiert auf einem in der Verfassung garantierten Grundrecht. Und natürlich muss es der Kölner Stadtgesellschaft darum gehen, den Zehntausenden Bürgerinnen und Bürgern muslimischen Glaubens größtmögliche Wertschätzung und Respekt entgegenzubringen.

Debatte um Muezzin-Ruf in Köln: Machtdemonstration der Ditib?

Jedoch kann der Muezzin-Ruf auch als Machtdemonstration, insbesondere der Türkisch-Islamischen Union Ditib verstanden werden. Der größte Islam-Verband in Deutschland ist bis heute eine Auslandsbehörde des türkischen Religionsministeriums, mithin des Regimes Erdogan. Lale Akgün, frühere Islam-Beauftragte der SPD-Fraktion im Bundestag, verglich die Erlaubnis des Muezzin-Rufs vor der Ehrenfelder Moschee mit einem „Knicks vor dem politischen Treiben Erdogans“.

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Im Gegensatz zum kirchlichen Glockengeläut enthält der Muezzin-Ruf auch ein sprachliches Glaubensbekenntnis. Ob dies dem Zusammenleben in einer pluralen, säkularen Gesellschaft wirklich zuträglich ist, ist zumindest zweifelhaft. OB Henriette Reker hatte das Modellprojekt im vergangenen Jahr als Zeichen der kölschen Toleranz und Vielfalt quasi im Alleingang auf den Weg gebracht. Die Kritik daran gilt auch heute noch: Vor der OB-Entscheidung gab es keine breit angelegte Debatte, nicht einmal im Stadtrat, aber auch nicht im Rat der Religionen.

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Zudem hatte es vonseiten der Ditib vor dem seinerzeit hochumstrittenen Bau der Moschee immer beschwichtigend geheißen, dass sie in Ehrenfeld auf einen öffentlichen Muezzin-Ruf verzichten werde. Nicht umsonst zieren das Gebäude nur stilisierte und nicht funktionsfähige Minarette. Nichts zwingt den Verband, für den zunächst auf zwei Jahre befristeten Modellversuch der Stadt ausgerechnet die Zentralmoschee auszuwählen. Es doch zu tun, hat etwas Rücksichtsloses und Provokatives. Das löst schon jetzt ein massives Störgefühl aus. Ginge es nur darum, im „hillije Kölle“ neben dem Christentum auch den Islam hörbar zu machen, stieße das – mit Einhaltung aller vereinbarter Auflagen – gewiss nicht auf unüberwindbare Hindernisse.

Eröffnung der Kölner Zentralmoschee: Propagandashow von Recep Tayyip Erdogan

Doch angesichts des seit Jahren fragwürdigen Agierens der Ditib ist und bleibt der Muezzin-Ruf ein Problem. Unvergessen sind die skandalösen Umstände der Eröffnung der Zentralmoschee im Jahr 2018, die der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan unter Ausladung der Kölner Stadtgesellschaft zu seiner persönlichen Propagandashow machte. Viele Kölnerinnen und Kölner sehen die Moschee seitdem erst recht eher als Trutzburg türkischer Staatsreligion denn als Stätte interreligiösen Dialogs. Die Ditib hat bislang wenig bis gar nichts getan, diesem Eindruck entgegenzuwirken.

Das Projekt ist auf zwei Jahre begrenzt, es läuft sozusagen auf Bewährung. Sollte sich herausstellen, dass es für den gesellschaftlichen Frieden kontraproduktiv ist, muss Köln in der Lage sein, es wieder zu beenden.

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