Nachruf auf Marianne DickelDie Grande Dame der Kölner Kultur

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Marianne Dickel zu Hause

Trash People“ hat Aktionskünstler HA Schult seine mannshohen Skulpturen genannt, die aus Dosen und Computerschrott, Kanistern und anderen Abfällen zusammengesetzt sind. Auf ihrer Reise um die Welt standen sie unter anderem auf der Chinesischen Mauer, vor den Pyramiden von Gizeh, auf dem Roten Platz und auch auf dem Roncalliplatz. Doch wer stellt sich so eine Plastik ins eigene Heim?

Marianne Dickel, die langjährige Vorsitzende der Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstfördernden (Gedok) Köln, hat es getan. Mit 98 Jahren orderte sie beim Künstler eine Figur und sagte: „Schicken Sie sie bald, ich möchte noch viel davon haben.“ Was Schult beeindruckte: Marianne Dickel habe die Idee des Kunstwerks, das zum Nachdenken über die Konsumgesellschaft anregen soll, „wunderbar verstanden“.

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Marianne Dickel

Der „Trash Man“ fand seinen Platz in ihrem Haus in Marienburg. Inzwischen steht er in der Wohnung von Tochter Inga am Volksgarten, denn im März ist Marianne Dickel, die 101 Jahre alt wurde, gestorben.

Das Leben ist ein Geschenk, das man genießen soll

Wer war Marianne Dickel? „Was sie machte, machte sie mit Herzblut und Energie“, sagt Journalistin und Autorin Maren Friedlaender, die lange mit ihr befreundet war und häufig mit einer eisgekühlten Flasche Crémant bei ihr vorbeischaute. Ingeborg Arians, ehemalige Protokollchefin der Stadt Köln und gleichfalls eine gute Freundin, hebt hervor: „Sie hat nach der Devise gelebt: Das Leben ist ein Geschenk, das man genießen soll, trotz aller Unbill, die es bereithält.“ Eine solche „Unbill“ erlebte Marianne Dickel, als ihr Mann plötzlich starb und sie, bisher „die Frau an seiner Seite“, sich neu erfinden musste.

„Sehr behütet“ aufgewachsen

Geboren wurde sie 1920 in Niendorf an der Ostsee. Ihr Vater Johannes Mundt war in der Fischerei tätig, und die ganze Familie vermietete Pensionszimmer, Strandkörbe und Boote. Mutter Erna, bei der Geburt 19 Jahre alt, „schaffte die Erziehung ihrer Tochter wohl nur mit Strenge, was unsere Mutter immer in guter Erinnerung behielt“, sagt Inga Dickel. Ihre Mutter sei „sehr behütet“ aufgewachsen; vor allem zwei kinderlose Tanten hätten sich um sie gekümmert.

Nach einer kaufmännischen Lehre in Lübeck arbeitete sie als Bürokraft. 1939, im Jahr des Kriegsausbruchs, kam ihr Bruder Willi zur Welt. 1943 wurde sie nach Norwegen versetzt. Auf dem Holmenkollen bei Oslo, wo sie für ein Flak-Regiment der Luftwaffe tätig war, lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen, den Oberstleutnant Franz-Wilhelm Dickel. Kurz vor Kriegsende arbeitete sie beim Generalstab in Berlin.

Umzug nach Köln

Nachdem Franz-Wilhelm Dickel aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, heirateten sie Anfang 1948 und zogen nach Hannover. Dort hatte er, gleichfalls kaufmännisch ausgebildet, Arbeit bei der Firma Atlantis Export gefunden. Sie lebten in beengten Verhältnissen unter einem Dach mit seinem Vater, der „hohe Ansprüche an das tägliche Leben stellte“, erzählt Inga Dickel, die 1950 zur Welt gekommen ist, ein Jahr nach ihrem Bruder Johannes.

1953 zog die Familie nach Köln, wo Franz-Wilhelm Dickel bei Klöckner-Humboldt-Deutz zu arbeiten begann. Er leitete die Export-Abteilung, was ihn oft ins Ausland führte, und stieg schnell in den Vorstand auf. Anfangs wohnte die Familie in Lindenthal, seit 1961 dann in Marienburg im neugebauten Haus mit Garten und Schwimmbad. Die Position, die Franz-Wilhelm Dickel bekleidete, brachte es mit sich, dass er und seine Frau gern zu gesellschaftlichen Anlässen eingeladen wurden, etwa zu Empfängen mit Staatsgästen auf dem Petersberg.

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Leidenschaft für Golf und Bridge

1966 starb er, erst 52 Jahre alt. So groß die Trauer war – für Marianne Dickel sei der Schicksalsschlag „auch eine Chance gewesen, sich weiterzuentwickeln“, sagt Inga Dickel. Inzwischen hatte sich ihre Mutter ein Netzwerk von Nachbarn und Freunden geschaffen. 1962 hatte sie angefangen, Golf zu spielen; die ganze Familie machte mit: „Die Wochenenden verbrachten wir auf dem Marienburger Golfplatz, nur unterbrochen vom sonntäglichen Kirchgang“, erinnert sich die Tochter.

Im Laufe der Jahrzehnte betreute ihre Mutter die Kinder-, Damen- und Seniorinnen-Mannschaft. Außerdem widmete sie sich dem Bridge, auch dies mit Leidenschaft und bis kurz vor ihrem Tod. „Wenn jemand beim Golf oder Bridge nicht mit Engagement bei der Sache war, hatte sie dafür nur ein Wort übrig: grauenvoll“, sagt Maren Friedlaender.

Arbeit im Kulturmanagement

1967 begann Marianne Dickel auf den Rat von Freunden hin, im Kulturmanagement tätig zu werden; schon ein Jahr darauf wurde sie Vorsitzende der Gedok Köln, die sie bis 1990 blieb. Sie organisierte Ausstellungen, Lesungen, Konzerte und Kulturreisen. „Während sich viele andere damals röhrende Hirsche hinhängten oder Kopien von Altmeistern, interessierte sie sich für moderne Kunst“, sagt Maren Friedlaender.

Anfangs habe ihre Mutter kaum Ahnung davon gehabt, räumt Inga Dickel ein, doch dies habe sich rasch geändert: „Sie hatte ein gutes Gespür für Kunst und Kultur.“ Als Gedok-Vorsitzende habe sie „sehr viel für Kölner Künstlerinnen getan und sich dafür engagiert, dass sie wirtschaftlichen Erfolg hatten“, sagt Tremezza von Brentano als eine von ihnen. „Wir liebten sie alle.“

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Marianne Dickel

Zusammen mit den Fachbereichsleiterinnen, darunter Ruthilde Bürgers, stellte Marianne Dickel jährlich in der Handwerkskammer eine Weihnachtsausstellung auf die Beine und setzte sich dafür ein, dass die Kunstwerke Abnehmer fanden. In begrenztem Umfang sammelte sie selber Kunst.

1976 wurde sie „Soroptimistin“. Soroptimist International (SI) ist eine weltweite Serviceorganisation berufstätiger Frauen, die sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen starkmachen. Von 1980 bis 1982 war Marianne Dickel Präsidentin des SI Clubs Köln. In diese Zeit fiel der 12. SI-Europa-Kongress, zu dem rund 1500 Delegierte aus 23 Ländern nach Köln kamen. Am Vorabend empfing Marianne Dickel alle 56 angereisten Präsidentinnen zum Dinner in ihrem Haus.

Stets „ungezwungen und trotzdem stilvoll“

Auch sonst ging sie in der Rolle der Gastgeberin auf. „Sie hat ihr Haus für viele Menschen geöffnet“, sagt Soroptimistin Klara van Eyll, Honorarprofessorin für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Bei gemeinsamen Essen und Feiern sei es im Marienburger Haus stets „ungezwungen und trotzdem stilvoll“ zugegangen.

Ingeborg Arians, Vorsitzende des Fördervereins Soroptimist International Köln, betont, ihre Freundin habe den Club „mit sehr viel Eleganz und Durchsetzungsfähigkeit“ repräsentiert. Bei der Trauerfeier sagte sie: „Marianne war eine außergewöhnliche Frau: charmant, klug, diszipliniert, lebenbejahend, humorvoll, begeisterungsfähig, hilfsbereit und bis ins hohe Alter sehr engagiert.“

Auch äußerlich machte sie Eindruck. Klara van Eyll beschreibt sie als „zarte und trotzdem kernige Frau“, die bis zum Schluss ihren „Liebreiz“ bewahrt habe. Modische Kleidung gehörte dazu. „Sie war eine der bestangezogenen Frauen Kölns“, sagt Inga Dickel.

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Ingeborg Arians hat bei der Erinnerung an die Feier zum 100. Geburtstag dieses Bild vor Augen: „Ein verschmitztes fröhliches Lächeln auf den Lippen, superschicke Sneaker an den Füßen, Perlenkette und Perlen-Ohrclips, schlohweißes, modern frisiertes Haar, elegante Bluse mit sportlicher Hose – so empfing uns die »Grande Dame« unseres Clubs in ihrem Garten.“

Zweite große Liebe

In Bankier Herbert Momm fand Marianne Dickel die zweite große Liebe ihres Lebens. 20 Jahre, bis zu seinem Tod 1990, waren sie ein Paar. Zusammen bereisten sie die Welt. Marianne Dickel hielt es selten zu Hause, zu gerne war sie unterwegs. Mit ihrer Tochter reiste sie nach Venedig, am allerliebsten während der Biennale. Regelmäßig pilgerten beide zu den Festspielen in Bayreuth.

Am Kölner Kulturleben nahm sie teil, solange es ging; sie besaß Abonnements für Philharmonie, Theater und Oper, mit den Enkelinnen besuchte sie Jazzkonzerte. „Ich habe ihr ein Denkmal gesetzt“, sagt Maren Friedlaender, weil sie die Freundin in ihrem Krimi „Schweigen über Köln“ auftreten lässt, als agile Tante Clarissa von Kommissarin Rosenthal; das Kapitel „Hustenkonzert“ schildert einen gemeinsamen Besuch in der Philharmonie.

Im letzten halben Jahr ließen Marianne Dickels Kräfte nach. Bei einem schweren Sturz erlitt sie eine Hirnblutung. Sechs Tage lag sie im Krankenhaus, dann holte die Familie sie nach Hause, wo sie starb.

Im Schreiben, das der damalige Ministerpräsident Armin Laschet Marianne Dickel, die 1986 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, zum 100. Geburtstag schickte, würdigte er ihren „unermüdlichen Einsatz“ für die Kultur. „Es sind Menschen wie sie, die unser Land Nordrhein-Westfalen stark gemacht haben.“  

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