OB Reker und Jacob über die Corona-Krise„Jetzt werden Ordnungskräfte angespuckt“

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Polizeipräsident Uwe Jacob (l.) und OB Henriette Reker beim Interview.

  • Am Wochenende lösten Polizei und Ordnungsamt mehrere Personenansammlungen in der Innenstadt auf, weil die Abstände zu gering waren.
  • Kölns OB Henriette Reker und Polizeipräsident Uwe Jacob erklären im Interview unter anderem, was die Konsequenzen daraus sein werden.
  • Sie sprechen auch über die strengen Maßnahmen der Corona-Krise und darüber, wann die Stadt aus dem Krisenmodus wieder herauskommt.

Köln – Frau Reker, Sie haben kurz vor Ostern Platzsperren noch eine Absage erteilt. Wenige Wochen später wurde der Aufenthalt auf dem Rheinboulevard und dem Brüsseler Platz verboten. Nun entwickelt sich der Stadtgarten zum Hotspot. Erwägen Sie dort auch eine Sperrung?

Henriette Reker: Dass wir den Stadtgarten bisher offen gehalten haben, hat ja seine Gründe. Im Gegensatz zum Brüsseler Platz ist der Stadtgarten noch etwas lockerer von den Begebenheiten. Wir schauen uns die Lage immer wieder an. Und wie am vergangenen Wochenende kann es dort nicht bleiben. Also müssen wir irgendwann auch eine Sperrung des Stadtgartens in Erwägung ziehen. Ich möchte aber gar nicht in die Situation kommen, wieder darüber nachzudenken. Man kann nicht dauernd nur die Verantwortung auf Polizei und Stadt schieben. Jeder muss für das Gemeinwohl seinen Teil der Verantwortung übernehmen.

Aber was können Sie noch tun, wenn die Appelle nicht mehr helfen?

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Uwe Jacob: Die Stadt wird dann vermutlich weitere Plätze sperren. Diese Entscheidungen trägt die Polizei mit und setzt sie um. Wir werden schon am kommenden Wochenende zusätzliche Kräfte der Bereitschaftspolizei in der Stadt im Einsatz haben, um noch präsenter zu sein und Maßnahmen noch konsequenter durchzusetzen. Ich appelliere an die Partyszene: Zeigt Respekt und folgt den Anweisungen der Einsatzkräfte!

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Was können Platzsperren bewirken? Wenn Sie jetzt den Stadtgarten sperren, gehen die Menschen woanders hin – sie bleiben ja deswegen nicht zu Hause. Was ist der Plan hinter solchen Maßnahmen?

Reker: Es ist ja nicht jeder Platz gleich attraktiv. Es wird immer Ausweichmöglichkeiten geben, aber wichtig ist, dass nicht so große Ansammlungen zustande kommen. Der Rheinboulevard zum Beispiel ist nicht auszuweiten. Wir werden mithilfe der Polizei den Leuten dort Platzverweise erteilen müssen, wenn es zu voll ist.

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Jacob: Aber wir wollen die Leute ja nicht ärgern. Wir wollen sie schützen. Es geht um den Schutz der schwachen Menschen, die eine Infektion nicht überleben. Ich finde, mehr als 100 Tote in der Stadt sind schon eine bedrückende Anzahl. Kennen Sie ein vergleichbares Ereignis in der jüngeren Geschichte?

An welchen Orten war es denn in den vergangenen Wochen so voll, dass Sie eingeschritten sind?

Jacob: Wir waren immer wieder am Rheinboulevard, am Zülpicher Platz und in der Schaafenstraße.

Reker: Auch am Beethovenpark war viel los am vergangenen Wochenende. Etwa 300 Menschen waren dort über den Park verteilt. Da haben wir noch von Maßnahmen abgesehen, aber die Menschen aufgefordert zu gehen.

Können Sie nachvollziehen, dass nicht mehr so viele Menschen die Akzeptanz für die Einschränkungen aufbringen wie im März und April? Die Zahlen über neue Infektionen und Erkrankungen wirken auf den ersten Blick nicht gerade so, als bestünde in Bezug auf das Virus eine akute Verbreitungsgefahr?

Reker: Das kann man so nicht sagen. Niemand weiß, ob derjenige, der einem gerade begegnet, zu den Infizierten gehört oder nicht. Aber es ist völlig klar, dass man die Einschränkungen irgendwann hinter sich lassen will.

Jacob: Wenn ein paar Ausgeflippte, ich muss das wirklich mal so sagen, sich nicht an die Abstandsregeln halten, dann gefährden sie alle anderen. Nicht nur deren Leben, sondern auch deren freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Reker: Wir müssen alles tun, um eine zweite Welle zu verhindern.

Jacob: Wenn wir am Anfang der Krise die Leute aufgefordert haben, sich von bevölkerten Orten zu entfernen, sind sie dem nachgekommen. Jetzt werden wir angepöbelt. Jetzt werden Reifen von Streifenwagen zerstochen, Bierflaschen geschmissen, jetzt wird gespuckt.

Reker: Früher war Anspucken nur widerlich, heute ist es lebensgefährlich. Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes fahren seit Beginn der Corona-Krise Überstunden ohne Ende und müssen sich jetzt solche Übergriffe gefallen lassen. Ich muss das wirklich verurteilen.

Wie erklären Sie sich das aggressive Verhalten?

Jacob: Ich bin kein Psychologe, ich kann ja nur die Auswirkungen feststellen, wenn die Kollegen von ihren Einsätzen zurückkehren. Reker: Die Infektionszahlen sind nicht mehr so hoch, und deswegen ist das Risiko nicht mehr so hoch. Das ist der Trugschluss, dem offenbar ein Teil der Bevölkerung erliegt.

Die Szenen in Stuttgart, wo auch Gewalt gegen Polizisten eskalierte, wurden auch mit dem Corona-Frust in der Bevölkerung erklärt. Die Menschen begehren offenbar vermehrt gegen die so starken Beschränkungen auf. Fürchten Sie solche Szenen in Köln auch?

Jacob: Was wir in Stuttgart gesehen haben, hat mit Partyszene und Alkoholmissbrauch nichts mehr zu tun. Das geht weit darüber hinaus. Wir müssen schon lange zurückdenken, dass es Vergleichbares gab in Deutschland, wie etwa beim G20-Gipfel in Hamburg. In Köln befürchten wir das noch nicht. Trotzdem reden wir jetzt mit Ihnen, damit wir solche Szenen in Köln nicht erleben. Denn die ersten Andeutungen haben wir schon gesehen: Beleidigungen, Bespucken, Zerstören von Einsatzmitteln. Aber wenn sich Ähnliches wie in Stuttgart anbahnen sollte, werden wir als Polizei konsequent dagegenhalten. Und zwar mit allen Kräften, die wir haben. 

Wann kann man denn überhaupt irgendwann einmal Entwarnung geben, wenn nicht jetzt, da wir seit Wochen geringe Ansteckungszahlen haben, mit Ausnahme örtlich begrenzter Infektionsherde wie in Gütersloh?

Reker: Wir werden uns auf Abstand begegnen müssen, bis es einen Impfstoff gibt und alle geimpft worden sind. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das noch ein Jahr dauern kann. Also stellen wir uns doch bitte alle auf die Situation ein und versuchen, an die zu denken, die um ihren Existenz fürchten müssen, zum Beispiel Künstler und Kulturschaffende.  

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