Interview mit Peter Brings„Die Jecken lassen sich das nicht nehmen“

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Brings IV Foto

Brings bei einem Autokinokonzert im April 2020 in Köln-Porz

  • Der Kölner Brings-Musiker Peter Brings spricht über fehlende Solidarität im zweiten Lockdown, die gespenstische Atmosphäre an Karneval und sein Leben auf Kosten der Umwelt.

Ein paar Tage vor Rosenmontag, mitten in der Pandemie. Wie fühlt sich das an? Peter Brings: Das ist spooky. Wir spielen in den Autokinos und das ist wie eine Nordpolexpedition. Andererseits ist das sehr emotional. Als beim Carnevalsappell der Traditionskorps in Porz das Dreigestirn in Pick-Ups stehend ins Autokino gefahren wurde, habe ich geheult. Der Prinz von hinten vor den Autos, das ist für mich das Bild der Session, das spricht Bände. Du merkst, dass der Karneval was grundsätzlich Anarchistisches hat. Die Jecken lassen sich das nicht nehmen, selbst wenn sie dafür in einem scheiß Auto sitzen müssen.

Es ist egal, was passiert, Hauptsache, es passiert was?

Richtig. Im ersten Lockdown war das noch anders, da wurde unsere künstlerische Arbeit gar nicht als solche wertgeschätzt. Nach dem Motto: Geh du erst mal arbeiten! Das war schon irritierend.

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Was fühlt sich jetzt, im zweiten Lockdown, negativ an?

Ich hatte in meinem jugendlichen Leichtsinn auf mehr Solidarität gehofft. Als Hundebesitzer kannst du ja den Gesprächen im Park kaum ausweichen. Im ersten Lockdown brach das aus den Menschen raus wie ein Wasserfall, die waren zu viel allein. Dann wurden die still, und jetzt ist das so, wie wenn jeder seinen eigenen Krieg kämpft. Da muss man natürlich sehen, dass die finanzielle Wahrheit der Pandemie sehr unterschiedlich ist. Ich kenne Leute, die haben mit Immobilien unfassbare Gewinne gemacht, und dann gibt es Leute aus unserer Branche, die sind an der Kotz-Grenze. Da schwingt bei mir die Angst mit: Was kommt danach? Wer baut dann noch eine Bühne auf? Gibt’s die Clubs noch? Was ist mit unserer Lieblingskneipe? Uns war schnell klar, dass wir reagieren müssen, raus müssen. Dann kam die Autokino-Idee, wir haben im Sommer rund 40 Gigs gespielt. Wir Musiker haben auf Kohle verzichtet. Mit den Einnahmen haben wir unsere Leute bezahlt. Aktuell haben wir fast 30 Autokinokonzerte, damit können wir unseren Laden bis Ende Mai finanzieren.

Ist die Pandemie also auch eine Chance zur Neubesinnung?

Ja. Der Wert dessen, was du hast, wird dir erst bewusst, wenn du es nicht mehr hast. Wir sind ziemlich privilegiert im Rheinland. Was kannst du in dieser Jahreszeit besseres machen, als abends ins Festzelt und ein paar Kölsch nehmen? Es ist dunkel, nur Scheißwetter. Die Leute hier machen das genau richtig. Die brauchen kein Vitamin D, sondern ein paar Gläser und dann isset jot. Das ist durch Corona gerade weg und fehlt total. Das kann man durch nichts ersetzen.

Vor einem Jahr haben wir unbelastet gefeiert. Jetzt schreit der Bio-Rhythmus wieder danach, aber es geht nicht wegen Corona. Hat das Folgen?

Das werden wir im Frühling sehen, wenn wir hoffentlich wieder ein bisschen zueinander kommen können. Wir haben Familie, aber viele Leute sind allein. Besonders Ältere. Nimm den Jürgen Zeltinger, ein guter Freund von mir: alt und allein. Was für ein Scheiß-Dasein gerade. Wir haben jetzt ein Video gedreht mit ihm, zwei Tage lang, da sitzt du abends zusammen und hast die Tränen in den Augen. Der kommt sonst nie raus.

In diesem Video geht es genau um diese Isolation, die Einsamkeit, die Langeweile. „Lang darf dat nimmi duure“ singt ihr da zu kreischenden Gitarren, es geht total die Post ab. Ist das der Frust, total in den Freiheiten eingeschränkt zu sein? Oder der Appell an die Politik, dass es jetzt reicht?

Das ist Punk. Den Frust rausbrüllen, dem Ärger Luft machen über die gesamte Situation. Dass wir nicht spielen können. Veröffentlicht wird das Video übrigens an Aschermittwoch. Ich bin kein Virologe, aber die ganze Angstmacherei nervt total. Ich habe die große Befürchtung, dass die Ängste in Wut umschlagen. Siehe Holland. Und wer geht dann auf die Straße? Das rechte Pack, Hooligans. Man muss uns erklären, warum wir mit den Impfungen hintendran sind. Sonst kann das böse enden.

Also doch Kritik an der Politik?

Natürlich war es richtig, aus dem europäischen Gedanken heraus über eine gerechte Verteilung des Impfstoffs zu verhandeln, und nicht wie Trump zu brüllen „Ich, ich, ich!“ Mit unserer Vergangenheit können wir uns Egotrips nicht leisten. Das solidarische Verhalten war richtig. Es werden aber auch Fehler gemacht. Die Digitalisierung stockt. In Israel geht das Impfen zack, zack. Eine SMS, und der Impfling weiß Bescheid. Tja, die entscheiden das einfach für sich. In Europa müssen so viele Interessen unter einen Hut gebracht werden, das ist viel komplizierter.

Gab es bei uns Versäumnisse beim Krisenmanagement?

Ich versuche mir immer vorzustellen, ich müsste das entscheiden, was Spahn oder Merkel entscheiden. Die sind ja auch abhängig von dem, was ihnen Mediziner oder Virologen sagen. Sicherlich sind Fehler gemacht worden, aber immer vor dem Hintergrund, das man es so gut wie möglich machen wollte. Die erste Hälfte der Pandemie haben wir super überstanden, mit den wenigsten Toten. Wir hatten halt eine Frau am Start. Wie die Mami, die auf ihre Pänz aufpasst. Ich mach mir Sorgen, wenn die aufhört. Ich komme ja aus einer politisch eher linken Familie, aber die jetzige CDU mit Frau Merkel ist die beste SPD, die wir jemals hatten. Seit der Flüchtlingskrise ist sie eine der wenigen Politiker, vor denen ich echt Respekt habe. Sehr gradlinig, sehr nüchtern. Sie tut, was sie sagt.

Was macht Ihnen Sorgen?

Die Generation, die jetzt Abitur macht, die jetzt zur Schule geht. Man hätte sich längst überlegen müssen, wie man Kitas und Schulen am Laufen hält und trotzdem geringe Infektionsraten hat. Meine Tochter ist zwölf, der kann man das mit der Maske erklären, aber sie acht Stunden isolieren, das geht nicht. Die ist kurz vor der Pubertät, natürlich nimmt die ihre Freundinnen in den Arm. Die größte Sorge macht mir, wenn Kohle verteilt wird, wie die verteilt wird. Beispiel Lufthansa: Neun Milliarden, das kann ich nicht verstehen. Da packst du dir doch an die Birne. Ich sorge mich auch um die Kneipiers, die teils Jahrzehnte erfolgreich gearbeitet haben und jetzt nicht mehr aufmachen können. Bei denen sind die Novemberhilfen oft immer noch nicht angekommen.

Was ist mit der vielbesungenen kölschen Solidarität?

Gab’s die jemals? (lacht) Das ist, wie wenn einer erzählt, bei euch in Köln sind die Menschen so nett, da kannst du dich in die Kneipe stellen und jeder redet mit dir. Klar, die reden mit dir, aber am nächsten Tag weiß keiner mehr, wie du heißt. Was ist das wert am Ende? Wir sind da nicht anders als Bayern oder Norddeutsche. Vielleicht ist die Situation im Karneval, in den Vereinen, noch mal was anderes. Die kennen sich aber auch untereinander. Insgesamt ist Köln nicht besser.

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In der Arena gab es ein großes Konzert für Notleidende der Branche. Wie groß ist die Not?

Ich kann ja nur für Bands reden. Jede Band hat ihre eigene finanzielle Wahrheit. Bei den Etablierten, die das seit 20 und mehr Jahren machen, ist das anders als etwa bei Miljö. Ne tolle Band, die riesig im Kommen ist, tolle Songs schreibt. Die haben ihre Berufe aufgegeben, Lehrer oder so, und sind jetzt Musiker geworden. Das ist natürlich heftig. Bevor wir mit Brings in den Karneval gekommen sind, waren wir schon einmal komplett am Arsch. Wir sind es gewohnt, mit Krisen umzugehen. Und wir hatten mehr Zeit zum Sparen. Aber je länger das dauert mit dem Lockdown, um so mehr muss jeder für sich gucken, dass er seinen Kamin am Rauchen hält.

Gibt es Themen, bei denen Corona wie ein Brennglas wirkt?

Die Digitalisierung auf jeden Fall. Ich hab in meiner Bude auf Mallorca besseres WLAN als in Ehrenfeld. Das ist ein Drama. Ein ganz anderes Thema: Mit Beginn der Pandemie haben sich die Arschlöcher auf diesem Planeten wie Trump oder Bolsonaro oder Orban so geoutet. Diese populistischen Jungs, die konnte man immer laut hören und sehen. Aber in deren Ländern sind die meisten Menschen gestorben.

Was lernen wir aus der Pandemie?

Ich merke, wie sehr mir die Nähe zu Menschen fehlt, Freunde zu umarmen. Mir war vorher nicht bewusst, wie wichtig das ist, weil es einfach da war. Wir müssen kapieren, dass das, was wir haben, der Lebensstandard, nichts selbstverständliches ist. Wir haben da keinen Anspruch drauf. Ich bin ja auch so – dicke Autos fahren, in den Urlaub fliegen, die Sau rauslassen, das machst du am Ende auf die Knochen von anderen Menschen.

Was wollen Sie persönlich ändern?

Ich werde nicht mehr für 49 Euro nach Mallorca fliegen. Wenn das Flugticket weniger kostet als der Taxitransfer zum Flughafen, ist doch eigentlich jedem klar, dass da was nicht stimmen kann. Ich fahr da in Zukunft mit Auto und Fähre hin. Dann weiß man, wie weit das weg ist, und dann bleibst du auch sieben Wochen da, weil du keinen Bock hast, für eine Woche die lange Reise zu machen. Wir müssen bescheidener werden und bewusster leben.

Brings im neuen Video, das Aschermittwoch veröffentlicht wird.

Brings im neuen Video, das Aschermittwoch veröffentlicht wird.

Wie geht’s mit der Band weiter?

Seit letztem April drehen wir eine Doku. Das sollte ein Film zu 30 Jahre Brings werden, wird jetzt aber eher Brings in der Pandemie. Der Film soll im August im WDR laufen, eventuell gibt es eine Kino-Version im Sommer. Und wir haben unsere größten Hits mit dem Beethovenorchester eingespielt. Das war eine Herausforderung, von uns kann ja keiner richtig Noten lesen. Noten im Proberaum? Da wird es ganz leise. (lacht). Aber das wird ein Knaller. Das Album wird demnächst fertig und wenn wir wieder dürfen, werden wir das auch vor Publikum aufführen.

Das Gespräch führten Carsten Fiedler und Stefan Worring.

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