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Seit 56 Jahren ein PaarDer Geruch von Freiheit

Lesezeit 4 Minuten

Alfred Schiefer (links) und Ludwig Rubruck haben ehrenamtlich für ihre Rechte gekämpft, heute sind sie müde geworden.

Köln – „Wo hab ich dich denn? Du bist auf keinem einzigen Foto.“ Ludwig Rubruck blättert durch vergilbte Seiten seiner Fotoalben, und blickt dann zu Alfred Schiefer, der neben ihm sitzt. Das Seidenpapier knistert, Seite um Seite. Da ist zum Beispiel die alte Bordkarte der Deutschen Lufthansa, mit einem Firmenemblem, das seit rund 40 Jahren nicht mehr existiert. Für Rubruck scheint es erst gestern, vielleicht vorgestern gewesen zu sein, als er mit seinem Alfred an Bord ging, um Freunde in London zu besuchen. Seit 56 Jahren sind die beiden Kölner ein Paar, sie sind viel gereist in dieser Zeit.

Heute sitzen sie einträchtig auf ihrem grauen Sofa in der Südstadt und schauen lächelnd auf die alten Bilder. Immer mal wieder blitzt eine Erinnerung auf, dann unterbrechen sie sich gegenseitig in ihren Erzählungen. Meist ist es der 81-jährige Schiefer, der sich mit erhobener Stimme gegen den 83-jährigen Rubruck durchsetzt. Dabei wirkt der ältere Herr robust und willensstark, Rubruck eher still, er lässt seinem Partner gerne den Vortritt. „Warum bist du nie auf einem Foto?“, fragt Rubruck noch einmal. „Das weiß ich doch nicht, du bist doch der Fotograf in der Familie“, kontert Schiefer. Und schießt in kölschem Dialekt hinterher: „Warst mit deiner Linse wahrscheinlich wieder hinter anderen Jungs her.“

Als im August 2001 das Gesetz zur Lebenspartnerschaft in Kraft trat, waren sie eines der ersten Paare, das sich das „Ja-Wort“ zur sogenannten Homo-Ehe gab. Der damalige Regierungspräsident Jürgen Roters traute sie, doch Schiefer geriet mit ihm aneinander. „Der wollte Werbung für seine SPD machen. So nach dem Motto: Ist das nicht toll, was die SPD für Sie getan hat“, erklärt Schiefer mit ernster Miene. „Da hab ich gesagt: »Gar nix haben sie getan! Wir haben das hier möglich gemacht!« Ich bin nämlich ein Fighter. Wenn mir einer blöd kommt, kriegt er blöd zurück“, sagt er mit Nachdruck und wirkt dabei wie ein Mann, der um seine Art zu leben kämpfen musste. In seinem Blick liegt Stolz, in seinem Gesicht aber auch eine gewisse Härte. All das, was sie heute haben, ist hart erarbeitet. Winzige Schritte auf einem langen Weg, der noch nicht vollendet ist.

1956 haben sie sich kennengelernt, eine bleierne Zeit, wie Rubruck findet. Und wie haben sie sich getroffen? Da fällt Schiefer wieder neckisch ins Wort: „Ich habe dich getroffen! Sonst wär das ja nie was geworden.“ Er holt etwas aus: „Es war eine Zeit, die wahnsinnig steif war und gefährlich. Schwul, das gab es nicht.“ Eine Träne läuft aus seinem Auge. Rubruck zieht ein Taschentuch hervor. „Lass mich, ich kann das alleine.“ – „Du weinst, Alfred!“ – „Ich wein nur wegen dir.“ – „Das ist aber mal ein schönes Kompliment.“

Beide müssen lachen, das hilft über die Anspannung hinweg. Ihr Humor hat ihnen immer geholfen in einer Umgebung, in der sie als homosexuelle Männer verhasst waren. „Damals gab es bei der Polizei Funksprüche, die lauteten: »Ruhige Nacht. Wer hat Lust die Schwulen zu jagen?« Und dann kamen sie“, erzählt Schiefer weiter. „Es gab ja keine Klubs oder Discotheken für uns. Und das alles war strafbar. Dafür konnte man ins Gefängnis kommen. Seid ihr Freunde oder 175er Freunde“, fährt nun Rubruck fort. Der Paragraf 175 im Strafgesetzbuch stellte Homosexualität unter Strafe. Obwohl er im Laufe der Jahrzehnte immer weiter entschärft werden konnte, ist er erst 1994 ersatzlos gestrichen worden. Gleichgeschlechtliche Liebe galt außerdem als reguläre Krankheit; erst 1991 strich die Weltgesundheitsorganisation WHO sie aus dem Katalog.

Die beiden Männer begegneten sich erstmals in einer Kölner Bar. Offiziell keine „schwule Kneipe“, aber man wusste, wen man dort kennenlernen konnte. Dennoch tanzten die meisten vorsichtshalber lieber mal mit einer Frau, falls es Ärger gab.