Köln – Bevor er mit Bus oder Bahn fährt, lässt Peter Goerke immer sein Nummernschild abschrauben. Das Schild steckt er in eine Stofftasche, im Fall eines Unfalls könnte er es zeigen, sonst verschweigt er es, „ohne Nummernschild hat mir noch nie ein Busfahrer gesagt, dass ich nicht mitfahren darf“. Mit Schild dagegen schon viermal.
Peter Goerke ist seit einem Autounfall querschnittgelähmt. Er fährt einen Elektrorollstuhl, der bis zu zehn Kilometer pro Stunde schnell ist und unter die Haftpflichtversicherungspflicht fällt – deswegen muss der Rollstuhl auch mit einem Nummernschild ausgestattet sein. Fahrzeuge mit Nummernschildern dürfen aber eigentlich nicht in Bussen und Bahnen fahren – so wollen es die Beförderungsbedingungen des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg (VRS). „Es sei denn, die Fahrer von Elektrorollstühlen verfügen über einen Schwerbehindertenausweis, dann müssen sie mitgenommen werden“, sagt KVB-Sprecher Stephan Anemüller. Peter Goerke hat einen Schwerbehindertenausweis. Warum er trotzdem viermal nicht mit dem Bus fahren sollte und der Fahrer ihn beim letzten Mal nur mitnahm, weil Goerke zuvor sein Nummernschild abschrauben ließ, erklärt Anemüller mit „Unsicherheiten, was die Mitnahme von Elektrofahrzeugen angeht“.
Es werde derzeit eine Novelle zur Mitnahme von Elektrofahrzeugen erarbeitet, da immer mehr sperrige sogenannte E-Scooter im Straßenverkehr unterwegs seien und die Fahrzeuge in vollen Bahnen schon öfter für Blockaden gesorgt hätten. „Anfangs haben die Fahrer restriktiv gehandelt, um Gefahren auszuschließen, inzwischen sind sie zu Kulanz angehalten.“ Restriktiv heißt: rauswerfen. Kulanz: mitfahren lassen.
Zur Kulanz überreden
Der Fahrer, der Peter Goerke nicht mitnehmen wollte, musste zu Kulanz erst überredet werden. Zuletzt überzeugte ihn nur noch, dass er kein Nummernschild sah. Seit Goerkes Erlebnissen sind viele Bewohner des Müngersdorfer Frida-Kahlo-Hauses verunsichert. „Einige nehmen nur noch mit Begleiter Bus oder Bahn“, sagt Sozialarbeiterin Iris Heinisch. „Für viele ist es eine enorme Leistung, sich überhaupt mit ihren Rollstühlen in der Öffentlichkeit zu bewegen. Mit Ansagen wie der des Busfahrers wird das Rad zurückgedreht, und das in Zeiten von Inklusion. Das finde ich schlimm.“
Auch Gülsen Inan, die seit ihrer Geburt auf einen Rollstuhl angewiesen ist, „hatte zuerst Angst, wieder Bahn zu fahren“, als Goerke von dem Busfahrer erzählte. Längst lässt auch sie ihr Nummernschild abschrauben, bevor sie Richtung Bahn rollt. Und Frau Inan hat der KVB einen Brief geschrieben: Wenn Rollstuhlfahrer aus der Bahn verwiesen würden, werde ihre Teilhabe an der Gesellschaft verhindert. „Wir sind gesunde Menschen mit Einschränkungen – erst durch eine Aktion wie die geschilderte machen Sie uns zu Behinderten.“ Inan ärgert sich darüber, dass die KVB sich noch nicht zurückgemeldet hat – den Brief hat sie am 6. September abgeschickt. „Mindestens unsensibel ist so eine Reaktion“, sagt Sozialarbeiterin Heinisch.
Handy-App für defekte Fahrstühle?
Stephan Anemüller versichert auf Nachfrage, dass sich sehr bald jemand mit den Bewohnern in Verbindung setzen werde – der Brief liege wohl noch beim Verbesserungsmanagement. Regelmäßig treffe sich ein Arbeitskreis mit Bus- und Bahnverantwortlichen, um über verbesserte Mitfahrmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung zu sprechen. Auch eine Handy-App für defekte Fahrstühle ist im Gespräch – die Bewohner des Frida-Kahlo-Hauses haben einen solchen Service angeregt, weil sie immer wieder vor defekten Fahrstühlen stehen.
Nicht wirklich zufriedenstellend findet Anemüller die Regelung, dass Radfahrer, Eltern mit Kinderwagen und Rollstuhlfahrer in Bussen und Bahnen prinzipiell gleichberechtigt sind. Wenn es zu voll wird, muss einer draußen bleiben. Oft ist das der Rollstuhlfahrer, weil der am langsamsten drin ist. „Die Höflichkeit würde es dem Radfahrer gebieten, den Wagen zu verlassen“, sagt Anemüller. „Wir versuchen mit Aufklebern, die Kunden dazu zu animieren.“ Die Elektrorollstuhlfahrer mit Nummernschild sind im Fall von überfüllten Bahnen freilich nicht gleichberechtigt. Theoretisch müssen sie weiterhin als Erste raus.