Köln – Am Ende wollte die Bundespolizei nicht länger warten: Samstagmittag stürmten Beamte der Anti-Terror-Einheit GSG 9 mehrere Wohnungen im Uni-Center in Sülz. Die Elitepolizisten werden nur in besonders gefährlichen Situationen gerufen. Seit August waren die Ermittler der Bundespolizei vier Männern aus Köln und Berlin auf der Spur, die im Verdacht stehen, Fahrkarten der Deutschen Bahn gefälscht und verkauft zu haben. „Im Zuge der Ermittlungen wurde dann kürzlich festgestellt, dass die Täter im Besitz von Waffen sind“, sagte Bundespolizei-Sprecher Jens Flören dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Einsatzleitung entschied sich zum Zugriff – offenbar keine Sekunde zu spät.
Sprengstoff gefunden
In keinem anderen Gebäude in Köln wohnen mehr Menschen als im Uni-Center an der Luxemburger Straße in Sülz – insgesamt 1600 Menschen aus etwa 60 Nationen. Das Hochhaus hat 45 Stockwerke, zehn Aufzüge und fast tausend Wohnungen zwischen 23 und 186 Quadratmetern Größe. Ein Großteil der Appartements ist im Besitz des Kölner Studentenwerks.
Fertiggestellt wurde das Uni-Center 1973. Mit 134 Metern ist es eines der höchsten Wohngebäude Europas.
Im Herbst 1977 gab es schon einmal einen Einsatz der GSG 9 im Uni-Center: Die RAF hatte dort eine Wohnung angemietet, um die Entführung von Hanns Martin Schleyer vorzubereiten. Im Oktober 1977 durchsuchte die GSG 9 mehrere Wohnungen in dem Gebäude, während zeitgleich die Lufthansa-Maschine Landshut entführt wurde. (ts)
In einer Wohnung des Hochhauses fanden die Beamten eine manipulierte Handgranate und eine so genannte Anti-Personen-Mine. Ein Entschärferteam der Bundespolizei rückte an. Kurzzeitig überlegten die Einsatzkräfte, das komplette Uni-Center zu evakuieren. 1600 Menschen aus 45 Etagen hätten am Abend ihre Wohnungen verlassen müssen. „Aber die Mine stellte sich als ungefährlich heraus“, berichtete Flören.
Die Entschärfer brachten die Handgranate zunächst in den Keller, machten sie dort „transportfähig“, wie ein Ermittler verriet, und luden sie auf einen speziellen Anhänger, mit dem Bomben sicher vor Erschütterungen transportiert werden können. Währenddessen sperrte die Polizei gegen Mitternacht die Luxemburger Straße in Höhe der Universitätsstraße. „Die Handgranate wird zurzeit kriminaltechnisch untersucht“, sagte Flören. Noch sei unklar, ob sie detonationsfähig gewesen wäre.
Der Polizeieinsatz war am Wochenende Gesprächsthema Nummer eins im Uni-Center. So schnell wie an diesem Morgen seien die Sonntagszeitungen noch nie ausverkauft gewesen, erzählt der Verkäufer eines Kiosks im Erdgeschoss. „Die Leute wollten unbedingt wissen, was am Samstag in ihrem Haus passiert ist.“
Aber sie fanden keine Zeile über den Einsatz in Kölns größtem Wohngebäude. Denn die Bundespolizei machte zunächst ein großes Geheimnis aus der Razzia. Informationen drangen erst nur spärlich an die Öffentlichkeit. „Es standen noch weitere Maßnahmen aus“, sagte Behördensprecher Jens Flören zur Begründung. Der Portier im Uni-Center habe den beunruhigten Bewohnern nur mitgeteilt, es sei nichts Schlimmes passiert und es bestünde keine weitere Gefahr, berichtete eine Hausbewohnerin.
Bandenmäßigen Betrug und Urkundenfälschung
Erst am Sonntagabend teilte die Bundespolizei Einzelheiten mit. Demnach sind die vier beschuldigten Männer zwischen 21 und 43 Jahre alt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gewerbs- und bandenmäßigen Betrug sowie Urkundenfälschung in großem Stil vor. Die Männer sollen Blankofahrkarten der Deutschen Bahn gestohlen haben, indem sie zum Beispiel Fahrkartenautomaten aufbrachen. Das Originalpapier sollen sie nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit täuschend echt aussehenden Daten bedruckt haben. Die so gefälschten Tickets sollen sie über das Internet, aber auch von Hand in Bahnhöfen verkauft haben. Nach Erkenntnissen der Ermittler haben sie manche der nachgemachten Fahrkarten auch in Reisezentren der Deutschen Bahn AG gegen Barauszahlung eingetauscht. Wie hoch der Gesamtschaden ist, steht noch nicht fest. Die vier Männer wurden auf Antrag der Staatsanwaltschaft Köln einem Haftrichter vorgeführt.
Insgesamt sechs Wohnungen hatten die Fahnder am Wochenende in Köln durchsucht, weitere im Raum Berlin. Nach Polizeiangaben fanden die Beamten mehrere Waffen sowie nachgemachte Reisepässe, Fälscherutensilien, kleine Mengen Rauschgift, Schutzwesten und 20.000 Euro Bargeld.