50 Meter KölnVon Dönerspießen und Diskokugeln im Kwartier Latäng

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Das Oruc Kebap in der Kyffhäuserstraße

Das Oruc Kebap in der Kyffhäuserstraße

Köln – Wer in der Kyffhäuserstraße an bestimmten Stellen stehen bleibt, kann leicht einem Irrtum aufsitzen. Dem nämlich, dass hier etwas auf seltsame Weise stehengeblieben ist. „Tankstelle“ heißt eine Kneipe, „Furchtbar“ eine andere Lokalität, in der geistige Getränke über den Tresen gehen. Das ist 80er-Jahre-Humor, in etwa so lustig wie das aktuelle Bühnenprogramm von Otto Waalkes. Also gar nicht.

Wer jedoch das kurze Stück Köln zwischen Barbarossaplatz und Zülpicher Straße einmal hoch- und runterläuft, kriegt schnell etwas anderes spitz. Und zwar das: In der Kyffhäuserstraße stimmt im Moment die Mischung.

Ein Mix aus Alt und Neu

Da ist zum einen allerhand Neues, was in den letzten Jahren dazugekommen ist. Fabio De Nittis mit seinem „Café Barista“, in dem die Kaffeebohne aus der Schamong-Röstung veredelt und eine kleine, feine italienische Küche angeboten wird. Ein paar Meter weiter befindet sich der famose Burger-Laden „Freddy Schilling“, und zwischen beiden der Edel-Pizzabäcker „485 Grad“.

Der aktuell unvermeidliche Barber-Shop und vegetarisch-vegane Küche? Sind mit dem „Gentlemen“ und dem „Kochsyndikat Cuisine“ ebenfalls vorrätig in der Kyffhäuserstraße.

Und dann gibt es dort etwas, was man im Leben unbedingt braucht: Konstanten. Verlässliche Fixpunkte im Einkaufs- und Ausgeh-Leben, Orte des Vertrauens. „Manni’s Rästorang“, eine Lokalität, in der schon diverse Generationen Kotelett-Knochen freigelegt haben.

Der „Al-Aksa Markt“, in dem es seit über 20 Jahren Obst und Gemüse gibt. Und natürlich „Oruc Kebab“ und das „La Société“. Hier der Imbiss mit hervorragender, saftig-leckerer Drehspießware. Dort das Sterne-Restaurant mit seiner so lockeren wie eleganten Melange aus edler französischer Küche und lockerer Ansprache.

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Seit 1987 gibt es das La Société, ein Jahr später hat Oruc eröffnet. Gegründet haben den Imbiss zwei Onkel der heutigen Inhaber, bis heute ist er ein Familienbetrieb.

Serdar Ökmen, gelernter Koch, führt ihn seit 2011 zusammen mit seinem Bruder Ahmet, gelernter Industriemechaniker, und der Mutter Gülistan Ökmen (im Bild mit Sohn Serdar), dazu kommen sieben Angestellte.

Zu jeder Tages- und Nachtzeit brummt der Laden, und das Erfolgs- und Beständigkeitsgeheimnis ist für Serdar Ökmen schnell erklärt. „Wir haben Lust auf unseren Döner-Imbiss, und das merken die Leute. Es geht locker zu vor unserer Theke, es treffen sich Jung und Alt. Tradition ist uns wichtig, wir setzen auf Qualität und bleiben wie wir sind.“

Übersetzt in ein soziales Netzwerk liest sich dieses Credo so: „Don’t stop the Döner“, steht auf der Oruc-Facebook-Seite.

Familientradition und Geheimrezepte

Die türkischen Pizzen werden genauso selbst gebacken wie die Dönertaschen und Sesamringe, und die frisch geschnittenen Salatberge in der Theke sehen so appetitlich aus, dass man es am liebsten dem berühmtesten Beagle der Welt gleichtun möchte: In einer „Peanuts“-Folge hüpft Snoopy mit Schmackes in einen Laubhaufen.

„Wir bereiten jeden Tag alles frisch zu“, sagt Serdar Ökmen. „Die Spieße kaufen wir nicht fertig und tiefgefroren, sondern bauen sie morgens selber auf. Einen mit Lamm und Rind, den anderen mit Hähnchen. Die Gewürzmischung für das Fleisch ist so geheim wie die Rezeptur für Coca-Cola. Die kennen nur meine beiden Onkel, meine Mutter und ich.“

Erfahren Sie auf der nächsten Seite mehr zum „La Société“, einem Restaurant mit Herz und Flair

Straßenseitenwechsel, schräg gegenüber. „Ich gehe sehr gern und regelmäßig zu Oruc“, sagt Stefan Helfrich, Geschäftsführer und Restaurantleiter im La Société (im Bild sitzend neben dem stellvertretenden Küchenchef Hendrik Olfen). „In ihrer Liga bieten die genauso hochwertige Waren an wie wir in unserer. Oruc ist in der Kyffhäuserstraße ein Fels in der Brandung.“

Helfrich, Anfang 50, muss es wissen. Der Mann – besondere Kennzeichen: viele – ist quirlig, energiegeladen und permanent voller Leidenschaft auf Sendung. Seit 1988 arbeitet er im La Société, sein Berufsweg ist der eines klassischen Quereinsteigers.

Als gelernter Fremdsprachenkorrespondent und verhinderter Sozialpädagogik-Student galt für ihn „learning by doing“. Anfangs hat er ausschließlich gekellnert, heute kümmert er sich darum, dass Service und Küche beherzt und charmant zusammenarbeiten. „Applaus ist das Brot des Künstlers, und den bekomme ich stellvertretend für das Team von den Gästen. Auch als Restaurantleiter bediene ich mit und drehe keine Pirouetten. Das ist nicht mein Stil.“

„Heimelig, schräg, extraordinär“ - eine Atmosphäre wie bei Elton John

Wie sich Stefan Helfrichs Stil optisch entfaltet, kann man im La Société in jedem noch so kleinen Winkel bestaunen. Von der Decke hängen umgekehrte Regenschirme, illuminiert wird das Restaurant unter anderem von kunterbunten Lichterketten, und das Highlight des visuellen Erlebnisparks ist ohne Frage der Zweiertisch hinter einer Säule.

„Puschelecke“ nennt der Restaurantleiter den Platz, der aussieht, als hätte Elton John mit Liberace erfolgreich einen Deko-Workshop bei jemandem absolviert, der in der Gothic-Szene unterwegs ist. Federboas hängen von der Decke, Diskokugeln glitzern fröhlich vor sich hin und werden flankiert von burlesken Figürchen und Plastik-Totenschädeln.

„Heimelig, schräg, extraordinär“ findet Helfrich das Ambiente und erzählt, dass er mit dem Look schon so manchem Gast die Angst genommen hat, in ein Sterne-Restaurant zu gehen. Im La Société gebe es keinen kulinarischen Quickie, sagt er, hier gehe man ernsthaft essen.

„Wir umgarnen den Gast, und wenn er will, kann er sich auch umarmen lassen. Das Pils darf man bei uns aus der Flasche trinken, und wenn ein Gast mit unserem selbst gebackenen Brot die Soße dippt, macht er uns damit ein großes Kompliment. Ich verbiete doch keinem den Spaß am Essen.“

Lesen Sie weiter: Von Heiratsanträgen in der „Puschelecke“

Zurzeit sorgen drei Festangestellte und sieben Aushilfen im Service dafür, dass der Spaß erhalten bleibt, in der Küche arbeiten fünf ausgelernte Köche und sechs Azubis. „In meiner Anfangszeit war die Kyffhäuserstraße ein schäbiger, manchmal trostloser Ort. Das hat sich geändert“, sagt Helfrich.

Der Handel mit Drogen spiele keine Rolle mehr, seit man nicht mehr mit dem Auto vom Barbarossaplatz zur Zülpicher Straße durchfahren kann. Wichtig sei auch, „dass sich die Leute seit zehn, fünfzehn Jahren mehr durch Essen definieren. Das hat die Kyffhäuser aufgewertet. Unter uns Geschäftsleuten war die Atmosphäre schon immer gut. Die Straße kennt sich, man gönnt sich einander. Wir sind Kollegen, keine Konkurrenz.“

Dass es in der Straße mittlerweile freundlicher zugeht, findet auch Serdan Ökmen. „Die Kleindealer sind weg, und selbst, wenn es an Weiberfastnacht extrem abgeht und bei uns im Schaufenster DJs auflegen, ist es bisher friedlich geblieben. Wir hatten noch keine Schlägerei, vielleicht haben wir auch einen guten Schutzengel.“

Warten auf Heiratsantrag Nummer 70

Beats, Bass und Börek passen im Oruc perfekt zusammen, und als der Fotograf und der Reporter zum Ortstermin vorbeischauen, kommt Stefan Helfrich zufällig herein, füllt die gute Nachbarschaft mit Inhalt und ordert einen Döner. Später wird er die besondere Geschichte der „Puschelecke“ erzählen – anhand seiner eigenen Statistik.

„69 Heiratsanträge sind bisher an diesem Tisch gemacht worden, ich bekomme das mit. Immer ganz klassisch vom Mann, und erstaunlicherweise nur zwischen Hetero-Pärchen, bisher waren keine Schwulen oder Lesben dabei.“ 65 seien angenommen worden, vier Frauen hätten Nein gesagt.

Bei einem Heiratswilligen sei es besonders dramatisch gewesen: „Er kniet vor ihr nieder, das komplette Programm mit Ring, das ganze Restaurant bekommt es mit. Und sie lehnt ab. Da kann man auch als Profi nichts mehr retten. Wir haben beide dann nacheinander durch den Notausgang nach draußen gebracht.“

Heiratsantrag Nummer 70, so viel ist klar, wird kommen. Und die Diskokugeln in der „Puschelecke“ des La Société drehen sich genauso weiter wie die Dönerspieße bei Oruc. Das sind Nachrichten, die vor allem eins sind: sehr gut.

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